piwik no script img

Ludwig Erhards Fans

Fotografie Bernard Larsson ist nicht nur der Chronist des Westberlins der 1960er Jahre, das zeigt eine Ausstellung im Museum für Fotografie in Berlin

VON Brigitte Werneburg

Eine Fotografie von Bernard Larsson kennt jeder: Man sieht eine junge Frau, die Studentin Friederike Hausmann, die sich in der Charlottenburger Krumme Straße über ihren sterbenden Kommilitonen Benno Ohnesorg beugt, dem der Polizist (und wie sich später herausstellte Stasi-Spitzel) Karl-Heinz Kurras in den Kopf geschossen hatte. Die Aufnahme entstand am 2. Juni 1967, nicht weit entfernt von der Deutschen Oper, die der Schah von Persien, gegen den die Studenten demonstrierten, und seine Frau Farah Diba an diesem Abend besuchten. Die Tat führte zur Radikalisierung der Studentenbewegung und gilt als Zäsur in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Wer ist eigentlich der Autor des Bildes? Dazu kann man nun im Fotomuseum der Staatlichen Museen zu Berlin mehr erfahren. „Leaving is Entering. ­Fotografien 1961–1968“ heißt die Ausstellung in der Jebensstraße, und der Titel macht gleich klar, dass Berlin im Zentrum der Schau steht. Denn hier standen an der Sektorengrenze Warntafeln, die auf der einen Seite deutlich auf das Verlassen der amerikanischen Seite aufmerksam machten, auf der anderen Seite auf das Eintreten in den amerikanischen Hoheitsbereich.

Bernard Larsson, 1939 in Hamburg als Sohn eines schwedischen Vaters und einer deutschen Mutter geborenen, verstand die Dialektik von Ein- und Austritt allerdings etwas anders als die Westmächte. In dieser Haltung nahm er nicht die geteilte, sondern „Die ganze Stadt Berlin“ in den Fokus, wie der Titel seines 1964 erschienenen Bildbands lautete – mit dem Zusatz „Politische Fotos“. Politische Fotos, weil er den Alltag im Ostteil der Stadt mit der gleichen Hingabe dokumentierte wie den im Westen, er fotografiert mit kritischem Blick, aber ohne den Wunsch nach Beweisführung für die Überlegenheit des einen oder anderen Systems.

Bernard Larsson fotografiert deswegen aber keine Idylle, sondern den Kalten Krieg. Und den sah er durchaus auch in Ostberlin, auch wenn er dort nicht alles von vornherein als schlecht betrachtete. So sieht er im Schaufenster des Hauses der Stoffe in der Karl-Marx-Allee 1963 die Ware vor dem Großfoto eines siegreichen Sowjetpanzers aus dem Zweiten Weltkrieg drapiert. Er fotografiert den kalten Krieg und sein Personal: Bundeskanzler Konrad Adenauer (1962) und den Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht (1967), die berüchtigte Justizministerin der DDR Hilde Benjamin (1967) und Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (1967), den Zeitungszaren Axel Springer und den US-Vizepräsidenten Hubert Humphrey (1967).

Beim ersten Sit-in

Besonders ­eindrücklich ist die Intimität seiner Porträts, die ihm in aller ­Öffentlichkeit ­gelingen

Interessant sind die Aufnahmen, die Larsson vom 1. Mai in Berlin macht. 1962 ist er in Ostberlin und schaut sich die Mai-Paraden samt sowjetischen Raketenattrappen an. 1964 ist er im Westteil und beobachtet Bundeskanzler Ludwig Erhard von der CDU gemeinsam mit Berlins regierendem Bürgermeister Willy Brandt (SPD) auf der Festtribüne des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Erhard hat eine riesige Fangemeinde im Schlepptau, wie auf eine weitere Fotografie kenntlich macht. Heute kennt ihn kaum noch einer, wie schon die CDU zeigt, die sein Programm der sozialen Marktwirtschaft restlos vergessen und verdrängt hat.

Mehr und mehr drängt sich durch das pure Hinschauen der Systemvergleich auf. Und weil der Westen nicht nur Attrappen durch die Gegend fährt, sondern wirklich Bomben auf Vietnam abwirft, kommt es zu den Studentenprotesten in Westberlin, die Larsson über das ganze Jahr 1966 hinweg in einer Art fotografischem Tagebuch festhielt. Man begleitet mit ihm, der inzwischen für den Stern fotografiert, die Studenten beim ersten Sit-in, sieht Rudi Dutschke sprechen. Das zweite findet 1967 statt, nun ist es Bahman Nirumand, der am 2. Juni im Auditorium Maximum der FU spricht, und am Abend des gleichen Tages ist Benno Ohnesorg tot.

Doch Bernard Larsson ist nicht nur der Chronist des Westberlins der 1960er Jahre. Bevor er 1961 in die Frontstadt kam, war er zwei Jahre lang Assistent von keinem Geringeren als William Klein – der in seinem Leben nie etwas anderes gemacht hat als politische Fotografie. Selbst in Paris als Modefotograf bei der französischen Vogue. Der Kontrast war dann denkwürdig. Gerade noch hatte Larsson den Regisseur Alain Resnais bei den Dreharbeiten zu seinem Film „Letztes Jahr in Marien­bad“ (1961) fotografiert, ähnlich wie den Schriftsteller und Experimentalfilmer Peter Weiss oder in der Oper im Palais Garnier den französischen Kultusminister André Malraux. Nun fängt er eine wenig begeistert dreinschauende Helene Weigel in der Chausseestraße ein.

Wie bei „Außer Atem“

Immerhin, sein Freund, der Schriftsteller Peter Handke, hängt bei ihm in der Berliner Wohnung mit einem schönen Mädchen ab (1964). Dieses Foto ist groß abgezogen und thront über den Stellwänden im Kaisersaal, an denen die neuen Abzüge der Bilder einfach mit Stecknadeln angepinnt sind.

Bernard Larsson, der seine Ausbildung an der Bayerischen Staatslehranstalt für Photografie absolvierte, die aufgrund ihres Absolventen Juergen Teller wieder im Gespräch ist, fotografiert auf technisch wie journalistisch hohem Niveau. Besonders eindrücklich ist die Intimität seiner Porträts, die ihm in aller Öffentlichkeit gelingen, etwa das der jungen Verkäuferin der New York Herold Tribune auf den Champs Élysées (1961) im abendlichen Großstadtlicht. Sie könnte direkt Godards „Außer Atem“ entstiegen sein.

Überhaupt erscheint die Welt in seinen Bildern vertraut, auch ganz fremde Welten wie in Spanien oder Marokko; ersichtlich arme, von archaischen Regeln und autoritären Regimen geprägte Länder. Aber noch findet ein Arbeitsessen an der Costa del Sol (1961) vor einem endlosen, leeren Strand statt, vor dem der weiß gedeckte Tisch für die zwei Herren samt Hund platziert ist.

Bis 8. Januar 2017, Museum für Fotografie, Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen