piwik no script img

Hat nie funktioniert

LOKALPOLiTIK Die „Berliner Hefte“ diskutierten über die „Legende vom sozialen Wohnungsbau“

„Wer hat das Recht auf die Stadt?“ Mit dieser rhetorischen Frage endete das kurze filmische Intro zur Vorstellung der zweiten Nummer der Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt am Mittwochabend im ehemaligen Aquariumsladen auf der Südseite am Kotti.

Der filmische Anreißer mit Schnittstakkato von Mieterdemos aus den letzten Jahren machte gleich zu Beginn klar, worum es den Herausgebern Andrej Holm, Ulrike Hamann, Sandy Kaltenborn geht: Das Heftprojekt der Stadtaktivisten, Kreativen und Wissenschaftlicher versteht sich als Teil der Bewegung. Und Bewegung meint im Berlin unserer Tage den Kampf gegen Gentrifizierung und steigende Mieten. Wieder einmal ist Kreuzberg dabei das Zentrum jenseits von Parteipolitik.

Für viele Menschen geht es um etwas Existenzielles: Wohnen – oder genauer um die Frage, ob man sich als Mieter das Leben in Berlin in Zukunft noch wird leisten können. Nach der Fallgeschichte zum Mauerpark im ersten Heft geht es in der aktuell erschienenen zweiten Nummer der Berliner Hefte um „Die Legende vom sozialen Wohnungsbau“.

Der Zeitpunkt für das Thema sei im Hinblick auf die bevorstehende Wahl günstig, meinte einer der Initiatoren der Berliner Hefte, der Künstler Florian Wüst. Die „Wohnungsfrage sei zurück im gesellschaftlichen Diskurs“. Ob der soziale Wohnungsbau für die Versorgung der Berliner mit bezahlbarem Wohnraum etwas taugt? Und da kommt Andrej Holm, Stadtsoziologe an der Humboldt-Uni und Hauptautor in der aktuellen Ausgabe der Berliner Hefte, zu einem vernichtenden Urteil.

Am Mittwoch fasste er noch einmal zusammen, warum das Modell des sozialen Wohnungsbaus seinen Namen nicht verdient. Bei den Fördermodellen gehe es nicht darum, preiswerten Wohnraum für Bedürftige zu schaffen, vielmehr seien ­sogenannte „Sozialwohnungen subventioniertes Privateigentum mit antisozialen Effekten auf Kosten der Allgemeinheit und keine nachhaltige Wohnraumversorgung“. Die Rendite für die Investoren und Anleger hatte bei der Wohnbauförderung in Deutschland stets „den größeren Stellenwert als billiger Wohnraum“. Lang‑ und mittelfristig sind die Effekte des sogenannten sozialen Wohnungsbaus sogar antisozial. Die aktuelle Probe aufs Exempel bietet die Lage in Berlin, wo nach der Aufhebung der Sozialbindung die Mieten im ehemaligen sozialen Wohnungsbau sogar erheblich höher ausfallen können als etwa im Altbau. Preise von 13 Euro pro Quadratmeter sind dann keine Seltenheit. Folge unter anderem: Hartz IV-Empfänger würden diese Mietpreise vom Jobcenter nicht mehr bezahlt.

Konsequenz für Holm: Wirklich sozialen Wohnungsbau könne es eigentlich nur außerhalb von Marktlogik und Profitinteressen geben. Nur herrsche in der Pleitestadt Berlin unter den Parteien bis hin zur Linke immer noch die Ansicht, Wohnungsbau müsse mit privatem Kapital erfolgen. „Doch das Konzept, Milliarden an öffentlichen Geldern privaten Investoren zu geben, damit sie eine soziale Infrastruktur herstellen, hat noch nie funktioniert“, so die Kernaussage von Holm.

Immer nur Rendite

Nach jetziger Lage wird es schon bald, trotz des vom Senat angekündigten Wohnungsbaus, weniger Sozialwohnungen geben als derzeit, weil alte Bindungen auslaufen. Die vorgeschlagene Lösung von Holm, um die Zahl der 116.000 Sozialwohnungen in Berlin wenigstens zu halten: „Übernahme durch kommunale Wohnungsgesellschaften als soziale Infrastrukturmaßnahme und ein radikales Umgestalten der Fördersystematik im Neubau.“ Warum der soziale Wohnungsbau bislang immer nur Rendite gesichert habe und nicht die Mietpreise, sieht Holm in der Verflechtung von Politik und Kapital. Man war sich daher auf dem Podium und im Publikum am Mittwochabend einig: Um etwas politisch zu erreichen, muss man auf die Straße gehen.

Ronald Berg

„Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart“, 104 Seiten; www.berlinerhefte.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen