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Durchgerockte Riot Women über 50

Konzert L7 sind die Königinnen des Riot-Grrrl-Movements. Sie sind viel länger dabei als Sleater-Kinney, haben interessantere Songs als Hole und spielen viel besser als Babes in Toyland. Gestern im Columbia Theatre

Jennifer Finch von L7 am Bass in voller Aktion Foto: Christina Kratsch/pop-eye

von Jenni Zylka

„Wenn ihr schon Dienstags so gut drauf seid“, ruft Suzi Gardner, „dann möchte ich euch erst mal an einem Samstag sehen!“ Au ja. Dazu hätte die Crowd im nahezu ausverkauften Columbia Theatre garantiert auch noch Lust. Denn wenn man L7s Reunion-Tour im letzten Jahr verpasst hatte, durfte man ganz schön lange warten auf die Großmütter, Quatsch, die Königinnen des Riot-Grrrl-Movements, die viel länger dabei sind als Sleater-Kinney, viel interessantere Songs haben als Hole und immer schon viel besser spielten als Babes in Toyland.

Das mit dem Besser Spielen mag ein ambivalentes Kriterium sein – es geht nicht nur um Technik, Posen und Gniedeln. Aber jetzt, im Jahr 2016, in dem die Bandmitglieder Gardner und Donita Sparks (an den Gitarren), Jennifer Finch (am Bass) und die Schlagzeugerin Demetra Plakas gestandene, versierte, durchgerockte Riot Women über 50 sind, jetzt machen L7 sogar noch mehr Spaß. Denn nie hat ihr – neben „Pretend we’re dead“ – größter Hit „Shove“ vom zweiten, 1990 veröffentlichten Album „Smell the magic“ besser zu einer Situation gepasst. „Get out of my way or I’m gonna shove!“, geh mir aus dem Weg, sonst schubs ich dich weg!: Bei L7 gelangt man am Dienstag tatsächlich einwandfrei durch die voll besetzte, glückliche Halle und sogar wieder (mit Bier) zurück, ohne andauernd gegen zementhart und breitbeinig dastehende Männer zu stoßen, die sich weigern, auch nur einen Zentimeter zur Seite zu weichen. Welch ein außergewöhnliches Erlebnis für ein Rockkonzert! Nach wie vor sind im Rock zu wenig Frauen vor und auf der Bühne, dabei zeigte der Abend im Columbia Theatre wieder mal deutlich, wie großartig beides ist.

Und überhaupt: Hatte Donita Sparks (laut dem Lexikon „The Great Rock Discography“) nicht einst, 1992, beim Reading Festival aus Wut eines der „ most unsanitary pieces of rock memorabilia“ ins Publikum geworfen? (Ihren Tampon, OMG?!) Und dazu noch in einer britischen Fernsehsendung die Hosen runtergelassen? Und hatte Suzi Gardner nicht als erste Frau ihre Brüste von der berüchtigten Cynthia Plaster Caster in Gips abbilden lassen und damit die gesamte ungesunde Groupie-Rockgott-Chose samt dem ihr innewohnenden Phalluskult ad absurdum geführt? Und hatte Jennifer Finch übrigens nicht mal kurz bei der wunderbaren, kurzlebigen Frauen-Garagenband The Pandoras mitgespielt? L7 sind Heldinnen, das wurde im Columbia Theatre auch jenen klar, die vorher weder die Band noch ihre Geschichten kannten. Heldinnen des entschleunigten Hard-Garagen-Grungerock, deren drei fähige Sängerinnen (Sparks, Gardner, Finch) den charakteristischen Sound ausmachen, deren Mischung aus Aggressivität und Coolness, aus Können und Wollen unter anderem so überzeugend ist, weil man ihnen ansieht, wie merkwürdig es in den 80ern war. Als die Tatsache, eine reine Frauenband zu sein, noch viel mehr zählte, weil es kaum weibliche Vorbilder mit Gitarre/Bass/Schlagzeug (und nicht nur „female fronted“) gab, die Epigoninnen inspirierten.

Nach wie vor sind im Rock zu wenig Frauen vor und auf der Bühne

Etwa The Runaways, denen die heutigen L7 zumindest äußerlich allein durch die vielen Windmaschinen auf der Bühne gar nicht so unähnlich sind? Von denen hat es einzig Joan Jett geschafft, sich eine (bad) Reputation als echte Musikerin aufzubauen, den anderen hat man das männliche Strippenziehen im Hintergrund, das von Kim Fowley initiierte Bandformieren nach sexistischen Kriterien – vier junge Mädchen in Hot Pants, die auf „bad gal“ machen – stets angemerkt. Ansonsten: Die nicht immer geschmackssicheren, aber respekteinflößenden Heavy-Metallerinnen Girlschool aus Großbritannien. The Slits aus den USA und Mania D aus Deutschland, die beide hervorragend als Vorbilder getaugt hätten – allein, es haben zu wenig Fans zugehört und – geguckt.

L7 wurden dagegen im Zeitalter des Musikfernsehens groß. Als Teil eines medial stark begleiteten und beobachten feministischen „Movements“, das Gender als Grundzutat seiner musikalischen Inszenierung betrachten musste, um diese Tatsache überhaupt zu thematisieren. „Das ultimative Ziel ist es“, sagte Sängerin/Gitarristin Sparks in einem Interview mit einem Musikmagazin vor einem Jahr, „jemanden für seine individuelle Spielweise zu schätzen, nicht für sein Geschlecht“. Recht hat sie – wenn man doch nur endlich das „all female“ als Beschreibungskriterium unter den Tisch fallen lassen könnte! Wie drückten es L7 in ihrer letzten Zugabe am Dienstag aus, der 1990 erschienenen grandiosen Motor-Bike-Hymne „Fast and frightening“? „Throws her mini off in the halls / got so much clit she don’t need no balls“. Für die Band stimmt das allemal.

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