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Blind Date mit dem Visagisten

SOZIALES René Koch hat viele Jahre bei Mode- und Parfümunternehmen gearbeitet, er hat Prominente wie Hildegard Knef zurecht-gemacht und angezogen. Jetzt berät er in Wilmersdorf Blinde und Menschen mit Sehbehinderung, wie sie sich schminken können

von Ann-Christin Korsing

Wer das Wilmersdorfer Kosmetikzentrum betritt, taucht in einen Salon im Stil der 1920er Jahre ein. Es gibt viele Spiegel, Glasvitrinen und Lippenstifte. Hier, in der Helmstedter Straße, befindet sich das Berliner Lippenstiftmuseum und das Zuhause von René Koch.

Der 70-Jährige war 21 Jahre Chef-Visagist beim Modeunternehmen Yves Saint Laurent und bei einem namhaften Parfümhersteller. Nun bietet er einmal im Quartal kostenlos das ­„Ertastbare Schminken“ und das „Museum zum Anfassen“ für Blinde und Menschen mit ­Sehbehinderung an. „Das heißt, sie dürfen anfassen, riechen und fühlen“, erklärt René Koch.

Zum Anfassen gibt es jede Menge: Puderdosen und Lippenstifte aus verschiedenen Epochen – oder ein Kleid von Hildegard Knef. „Das wollen natürlich alle anfassen. Über 30 Jahre habe ich Knef geschminkt und angezogen“, erzählt Koch. Weiter hinten steht ein weißer Bär, der mit Kussabdrücken von Prominenten wie Klaus Wowereit und Harald Glööckler übersät ist.

Am Ende eines langen Gangs ist der Schminkraum. Hier sitzt Hannah Reuter. 2011 war sie das erste Mal bei Koch. Weil sie blind ist, habe sie sich vorher nicht getraut, sich zu schminken, erzählt sie. Nun tut es die 34-Jährige fast täglich: „Lippenstift mache ich oft, aber Wimpern tusche ich nur zu besonderen Anlässen.“ Reuter streicht mit geübten Pinselstrichen über Stirn, Nase und die Wangen.

Rouge wird verdünnt

Der Visagist hat Hannah Reuter beigebracht, den Pinsel einmal von links nach rechts über eine Camouflage-Palette zu führen. So wird das Make-up dosiert. Auch für das Rouge weiß Koch einen Trick: „Wenn man nur eine Farbe nimmt, kann es im Nu Apfelbäckchen geben. Fürs Rouge hier habe ich aber zwei hautfarbene Töne reingemacht. Geht man mit dem Pinsel durch alle drei Farben, wird es verdünnt“, sagt er. Das sei wie bei einem Rotwein, den man zur Schorle mische. Wichtig sei auch, dass die Blinden ihre Finger vor jedem Farbwechsel reinigen, um die Farben nicht zu vermengen, erläutert Koch.

Der Visagist

René Koch, heute 70 Jahre alt, jobbte ab 1963 als Tellerwäscher, Barkeeper, Modedesigner und Travestiekünstler in Berlin. Nach seiner Ausbildung zum Visagisten war er bei Charles of the Ritz und Yves Saint Laurent 21 Jahre lang Chefvisagist und schminkte Stars wie Jodie Foster oder Claudia Schiffer.

In seinem Cosmetic & Camouflage Centrum mit Lippenstiftmuseum berät er Menschen mit Brand- und Unfallnarben, mit Hautanomalien, sowie Muslime, Transgender und Transsexuelle. Einmal im Quartal bietet er „Ertastbares Schminken“ und das „Museum zum Anfassen“ für Blinde und Menschen mit Sehbehinderung an.

René Koch veranstaltet am 8. Oktober das nächste „Ertastbare Schminken“ in der Helmstedter Straße 16. Sonstige Sprechzeiten: Mittwoch bis Freitag 11 bis 19 Uhr, Telefon: (030) 8 54 28 29. (ack)

Mit Händen prüft Hannah Reuter nach, ob sich das Make-up gut anfühlt, und ist begeistert: „Wenn ich mich schminke, fühle ich mich schöner und bekomme viel positives Feedback. Ich finde gut, dass ich das, was andere Frauen können, auch machen kann.“ Ihren Mann freut das ebenfalls, auch wenn er selbst blind ist und es nicht sehen kann. Nach dem Schminken geht Hannah Reuter zu ihm und ihrer kleinen Tochter, die im großen Saal des Zentrums auf sie warten.

Dort unterhalten sich gerade mehrere andere Gäste, darunter auch Susanne Emmermann. Wegen einer Netzhautkrankheit kann die 57-Jährige nur schemenhaft sehen. Sie hat den Visagisten auf die Idee für das „Ertastbare Schminken“ gebracht. „Da ich René Koch aus den Medien kannte, habe ich geschrieben, er könnte ein bisschen Farbe in unser Leben bringen.“ Sie schlug ihm ein „Blind Date“ vor. „Erst hat er geglaubt, dass wir ihn veralbern wollen, aber dann hat er schnell begriffen, dass der Bedarf da war.“

Emmermann gründete auch die Gruppe „Maulwürfe on tour“, Blinde und Sehende widmen sich dabei gemeinsam Aktivitäten wie Reisen und Fotografie. Die anderen Frauen am Tisch, die alle nur eingeschränkt sehen können, mischen sich ein. Sie erzählen von ihren Erlebnissen mit den Maulwürfen, von gemeinsamen Konzertbesuchen. Eine Frau beginnt, ein Lied zu singen. „Es gibt bei uns welche, die waren in der Isolation mit ihrer Krankheit und sind jetzt sehr selbstständig geworden. Das erfreut mein Herz“, sagt Emmermann.

Berliner Salon

Tatsächlich wirken die Gäste wie eine große Familie. René Koch ist immer präsent, bietet ihnen etwas zu trinken an, unterhält sich. Neben Blinden berät er Menschen mit Brand- und Unfallnarben oder mit Haut­anomalien. Auch muslimische Frauen, Transgender und Transsexuelle gehören zu seinen Gästen.

„Wenn ich mich schminke, fühle ich mich schöner“

Hannah Reuter

In sein Lippenstiftmuseum werden nur ausgewählte Leute eingeladen. „Wir sind ja kein normaler Laden. In den 20er Jahren nannte man so etwas Berliner Salon. Hier gibt es noch Kaffee und Kuchen – altmodisch!“, sagt Koch. Und es stimmt; es gibt keine Musik, keiner schaut hier auf sein Handy.

Der Visagist ist überzeugt von seinem ehrenamtlichen Engagement: „Mit zunehmendem Alter brauche ich nicht mehr die große Karriere.“ Reichtum und Ruhm, das habe er alles gehabt, sagt Koch, der unter anderem Träger des Bundesverdienstkreuzes ist.

„In den jungen Jahren kann ich nur sagen: nehmen, nehmen, nehmen! Wissen, Bildung, alles. Wenn man alt ist, muss man geben“, so Kochs Credo. Er habe so viel erlebt. „Es wäre doch schade, wenn ich das alles für mich behalten würde.“

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