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Ein überdimensioniertes Kuscheltier

Familienfilm Erfrischend altmodisch: das Disney-Remake „Elliot, der Drache“ verzichtet auf Ironie, aber nicht auf Computereffekte

Auch computeranimiert immer noch flauschig und als Familienersatz geeignet: „Elliot, der Drache“ Fotos: WDS

von Michael Meyns

Eigentlich gibt es Filme wie „Elliot, der Drache“ nicht mehr. Denn die großen Hollywood-Studios wie Warner Brothers, Fox oder in diesem Fall Disney produzieren fast nur noch zwei Arten von Filmen: gigantomanische Blockbuster, die inzwischen oft Produktionskosten von 200 Millionen Dollar haben und dementsprechend auf ein globales Publikum zielen müssen, um rentabel zu sein, und Prestigefilme, die wichtige Themen behandeln und auf Erfolge bei den Dutzenden jährlichen Filmpreisen abzielen, vor allem natürlich den Oscar.

Zwischen diesen Extremen gibt es wenig, aus verschiedenen Gründen: Zu riskant erscheint zunächst die Produktion eines Films, der wie „Elliot, der Drache“ dezidiert als Familienfilm intendiert ist und eindrucksvolle Schauwerte zu bieten hat, diese aber anders als beim Blockbuster-Kino nicht als zentrales Verkaufsargument aufbietet. Zudem stehen hier nicht aufwendige Actionszenen oder überbordende Fantasy-Landschaften im Mittelpunkt; vielmehr ist die schlichte, fami­lienfreundliche Geschichte von Figuren bevölkert, die keinerlei Superkräfte haben und sich vor allem durch ihre Normalität auszeichnen. All das macht dieses Remake von „Elliot, das Schmunzelmonster“, der 1978 auch in Deutschland erfolgreich lief, zu einem ungewöhnlichen Fall in der Reihe von Realverfilmungen bekannter Animationsfilme, die Disney seit einigen Jahren konsequent betreibt.

Im Versuch der finanziellen Risikominimierung hat Disney mit Remakes von „Maleficent“, „Cinderella“, „Alice im Wunderland“ und zuletzt dem „Dschungelbuch“ große Erfolge gehabt, für die nächsten Jahre sind unter anderem Realfilm-Remakes von Animationsfilmen wie „Die Schöne und das Biest“, „Dumbo“, „Mulan“ oder „Peter Pan“ geplant, größtenteils als aufwändige Spektakel.

Magie im Alltag

Ganz anders „Elliot, der Drache“, den Regisseur David Lowery trotz seines durch die Lüfte schwebenden Titelwesens nicht heimeliger hätte inszenieren können. Gut, dass gleich in der ersten Szene die Eltern des kleinen Pete bei einem dramatischen Autounfall sterben, zählt zu den traumatischsten Momenten in einem Disney-Film seit dem Tod von Bambis Mama, aber von da an wird es beschaulicher. Denn im tiefen, aber nicht finsteren, sondern magischen Wald begegnet Pete einem flauschigen Drachen, den er Elliot nennt.

Jahrelang leben Pete und Elliot unbescholten in der unberührten Natur, bis die Zivilisation ihnen auf die Pelle rückt. Holzfäller dringen immer tiefer in den Wald vor und machen auch vor uralten Bäumen nicht Halt, sehr zum Unwillen der Försterin Grace, gespielt von Bryce Dallas Howard. Anders als ihr Name verheißt ist Grace eine durch und durch pragmatische Person. Ganz im Gegensatz zu ihrem Vater, dem Robert Redford mit seinen immer noch strahlenden blauen Augen, seiner auch mit 80 Jahren noch erstaunlich jugendlich wirkenden Frische reichlich Neugier und den Glauben an das Fantastische verleiht.

Dieses Remake von „Elliot, das Schmunzelmonster“ ist be­völkert von Figuren ohne Superkräfte

Als junger Mann, so erzählt er einer Schar von Kindern, die gebannt seinen Worten lauschen, ist er tief im Wald einmal einem Drachen begegnet, für einen kurzen Moment stand er Aug in Aug mit dem Fabelwesen – und hat diesen Moment zeit seines Lebens nicht vergessen. Grace hat diese Geschichte oft gehört und nie geglaubt, ein familiärer Konflikt zwischen Ratio und Magie, der sich zum zentralen Thema des Films entwickelt.

Um wirkliches Sehen geht es, um das Wahrnehmen von Magischem im Alltäglichen. Schwer fällt es Grace dann allerdings nicht, ihren Augen zu trauen, als sie Elliot das erste Mal begegnet, zumal der Drache kein echsenartiges, feuerspeiendes Wesen ist, sondern ein grünliches, flauschiges, etwas überdimensioniertes Kuscheltier.

Ein wenig erinnert dieses Wesen an Fuchur aus der „Unendlichen Geschichte“, doch während damals ein handgemachtes Modell durch die Lüfte schwebte, ist Elliot ein computergeneriertes Wesen von atemberaubender Perfektion. Im Gegensatz zu allzu vielen zeitgenössischen Blockbustern, in denen modernste Computertechnik oft Selbstzweck ist, geht Regisseur David Lowery jedoch einen anderen Weg. Im besten Sinne altmodisch ist seine Inszenierung – nicht von einem nie endenden Vorwärtsdrang geprägt, immer auf der Suche nach noch spektakuläreren Momenten –, sondern mit Gespür fürs Innehalten.

Lust am Fantastischen

In seinen besten Momenten erinnert „Elliot, der Drache“ an frühe Spielberg-Filme, die ihre geradezu kindliche Lust am Fantastischen mit im Kern konservativen Familiengeschichten verknüpften. Dass sich nicht nur Spielberg inzwischen verändert hat (was seinen jüngsten Film „The BFG“ in seinem Oeuvre so anachronistisch wirken ließ), sondern auch Hollywood, mag den relativen Misserfolg von Lowerys Film in Amerika erklären. Zu anachronistisch wirkt ein Film, der so unverhohlen, so völlig ohne Ironie Werte beschwört, die oft als altmodisch bezeichnet werden.

Dieser Elliot ist ein Wesen von atemberaubender Perfektion. Für aufwendige spektakuläre Effekte setzt Regisseur David Lowery ihn jedoch nicht ein

Von heilen Familien ist die Kleinstadtwelt des Films geprägt. Grace ist liebevolle Ehefrau und Mutter einer reizenden Tochter, selbst ihr Bruder Gavin, der aus schnödem Profitdenken Jagd auf Elliot macht und nominell der Antagonist der Geschichte ist, besinnt sich rasch eines Besseren.

All dies trägt dazu bei, dass „Elliot, der Drache“ betont unaufgeregt und auf das Nötigste reduziert wirkt. Nicht um die Rettung des Universums oder doch zumindest der Erde, wie in gefühlt jedem zweiten modernen Hollywoodfilm geht es, sondern um ebenso einfache wie universelle Themen.

Die Suche nach einer wahren Familie, nach Geborgenheit, wurde im amerikanischen Kino immer wieder durchgespielt. So nostalgisch und kitschig David Lowerys stilistisch moderner, inhaltlich betont konservativer Film auch wirken mag: Wenn am Ende nicht nur Pete eine richtige, menschliche Familie gefunden hat, sondern auch Elliot eine Drachenhorde, die Musik sich zu exaltiertem Pathos aufschwingt, kann man sich der Kraft dieser Szenen kaum entziehen. Modern oder besonders reflektiert ist „Elliot, der Drache“ zwar nicht, aber gerade das lässt die schlichte, magische Geschichte im momentanen Einerlei des Hollywood-Main­stream­kinos so ungewöhnlich erscheinen.

„Elliot, der Drache“. Regie: David Lowery. Mit Bryce Dallas Howard, Robert Redford u. a. USA 2016, 103 Min.

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