: Niederlage am Viktoriapark
„Kunst und Leben“ lautete einmal das Motto für das neue Quartier in der einstigen Schultheiss-Brauerei in Kreuzberg. Von Kunst ist nichts zu sehen. Auch das Luxuswohnkonzept wurde abgespeckt
von TINA HÜTTL
Im Oktoberwind wehen von weitem sichtbar gelb-rote Fahnen. Schon beim leichten Anstieg auf der Kreuzberger Methfesselstraße erinnert das Viktoria-Quartier an eine mittelalterliche Burg auf einer Höhe. Neben den mächtigen Rundtürmen der backsteinroten Sixtus-Villa liegt versteckt das Eingangstor. Doch das Gefühl, eine Festung zu betreten, wird durch moderne Stadthäuser zunichte gemacht. Sie säumen den Weg ins Innere der Anlage, den Schmiedehof. Auch der Wegweiser zu Beratung und Verkauf passt nicht so recht ins historische Bild.
Das Schild und die Fahnenmasten rund um das Areal hat die Baywobau aufgestellt, eine bayerische Bauträgergesellschaft, die hier mit der ehemaligen Schultheiss-Brauerei ihr Geld verdienen will. Die Bayern sind nicht die Ersten, die sich an der Entwicklung des 50.000 Quadratmeter großen Geländes versuchen. Seit die Brauerei 1993 ihre Brauanlagen, Heiztürme und Kühlhäuser zugunsten eines anderen Standorts stilllegte, hat es dem Areal an Investoren mit ambitionierten Projekten nicht gemangelt. Doch davon später. Die neuen Hausherren drängen zum Rundgang.
Stolz präsentiert Steffen Hanschmann, Geschäftsführer der Baywobau, den neuesten Bauabschnitt. Marketingwirksam hat er ihn „Park Quartier“ getauft. Das liegt im nördlichen Teil der Anlage, eingeklemmt zwischen dem historischen Tivoli-Gebäude und dem Schinkel-Denkmal im angrenzenden Viktoriapark. Das Hochglanzprojekt der Firma preist es als „attraktives Ensemble“ aus „zwei modernen Torhäusern mit großzügigen Eigentumswohnungen und zwölf attraktiven Stadthäusern“. Noch stehen rohe, würfelartige Ziegelbauten. Im nächsten Frühjahr soll die schlichte „Bauhausarchitektur“ jedoch vollendet sein, versichert Hanschmanns Projektentwicklerin, Annette Tipp. Und bereits über die Hälfte der Wohnungen und Häuser sei verkauft – zumeist an Kreuzberger mittleren Alters und darüber. Das hat wohl auch etwas mit dem Preis zu tun.
Für den Quadratmeter Wohnfläche legen Singles oder Paare, die mitten in der Stadt, aber doch weit ab von Lärm, Schmutz und der sozialen Härte in Kreuzberg wohnen wollen, mindestens 2.400 Euro hin. Die zwischen 150 und 200 Quadratmeter großen Häuser, die vor allem Familien anziehen, kosten mindestens 300.000 Euro. Dafür gibt es Parkettböden, italienische Markenfliesen und Bäderarmaturen des französischen Designers Philippe Starck. Nur einen Keller haben die neuen Eigentümer hier nicht. Denn unter der Neubauanlage schlummern für die Nachwelt versiegelt die alten Bier- und Eiskeller der Brauerei.
Sie sollten einmal das unterirdische Kunstarchiv mit über 10.000 Gemälden der Berlinischen Galerie beherbergen. Im historischen Tivoli-Gebäude mit seiner wunderschönen Backsteingotik sah der Senat den idealen Standort für die Ausstellungshallen des Kunstmuseums. Die Stadt hatte ihre Planungen für die Berlinische Galerie so gut wie unter Dach und Fach – und bereits 24 Millionen Mark als Kostenbeteiligung überwiesen.
Aus für Berlinische Galerie
Doch dann wurde die Trockenlegung der Keller weitaus teurer als geplant. Die Investoren kamen in Schwierigkeiten. Zuerst zog sich ein Partner zurück, im Herbst 2001 war das gesamte Entwicklungsprojekt insolvent.
Als die Baywobau das Areal 2003 zusammen mit dem kleineren Partner, der Artprojekt GmbH, ersteigerte, rechnete sie noch mit dem Einzug der Galerie. Dann bekam auch der Senat angesichts des Risikos mit den nassen Kellern kalte Füße und suchte sich einen neuen Standort. Heute befindet sich die Berlinische Galerie in einer ehemaligen Glasfabrik in Kreuzberg.
Die Stahl- und Betonträger, die einmal die neue Decke des Kunstarchivs tragen sollten, sind wieder verschwunden, die freigelegten Kellergewölbe wieder zugeschüttet. Über ihnen wachsen die Häuser. Was die ganze sinnlose Aktion gekostet hat, will keiner genau berechnen. Der Senat jedenfalls bekam seine Investition dank einer Bürgschaft zurück, hört man vom Kreuzberger Baustadtrat Franz Schulz (Grüne). „Mit der Galerie zugleich gestorben“, sagt er aber auch, „ist die Attraktivität des Quartiers als kultureller Standort.“
„Kunst und Leben“ lautet die ursprüngliche Idee der Deutschen Bank und des Immobilienunternehmens Viterra, die das Quartier von Schultheiss für – wie man munkelt – knapp 60 Millionen erwarben. Ein Luxusdorf war geplant, in dem sich Künstler, Kreative und Innovative – Leute also aus der Film- , Musik- und Werbewelt – neben betuchten Bürgern tummeln. Doch zusammen mit der Berlinischen Galerie und der New Economy, die etwa zeitgleich von den Börsen und aus Hochglanzmagazinen verschwanden, begrub man das Konzept der modernen Mischung aus Leben und Kultur.
Hanschmann spricht jetzt lapidar von einem „veränderten Nutzungsmix“ – und der heißt klassischer Wohnungs- und Hausbau. Baustadtrat Schulz, der nach der Insolvenz fürchtete, künftig ein totes Quartier im Bezirk zu haben, erhebt dagegen keinen Einspruch. Er findet es gut, dass sich neue Bewohner in Kreuzberg ansiedeln.
Mit den Neubauten auf dem Viktoriagelände geht es immerhin voran. Sie sind jedoch viel preiswerter und rechnen sich für die neuen Immobilienhändler. Für kommenden Frühjahr planen sie den Baubeginn eines weiteren Quartiers. Vor allem mehrgeschossige Wohnhäuser für nicht ganz so betuchte Familien sollen entstehen.
Was aber geschieht mit den rund 20.000 Quadratmetern Altbausubstanz? Das Tivoli-Gebäude blieb nach dem Sterben des Galerietraums unverändert. Allein hier warten fast neuneinhalbtausend Quadratmeter des ehemaligen Veranstaltungslokals, das 1873 von der Berliner Brauerei-Gesellschaft Tivoli als „Vergnügungsort für die gebildeteren Stände eingeweiht“ wurde, auf ihre neue Bestimmung. Der Prospekt verspricht einen „lebendigen zukünftigen Treffpunkt im Zentrum“. Doch lebendig sind bisher nur die wild wuchernden Gräser und Farne im alten, gotisch anmutenden Backsteingemäuer. Durch das Haus weht der Wind; beinahe alle Scheiben sind eingeschlagen.
Der Erhalt des historischen Bestands ist keine Kür, sondern Pflicht bei der Entwicklung des gesamten Areals. „Aber ohne Nutzungsangebote kann man die Investoren zu nichts zwingen“, sagt Schulz. Ein verbindlicher Zeitplan zur Restaurierung existiert nicht. Versprochen hatte die Baywobau, bis zum Ende des Jahres 2004 mindestens 100 Millionen Euro zu investieren. Gerade mal 40 Millionen sind es fast zwei Jahre später nach Angaben von Hanschmann. Allein 20 Millionen kostete das Park Quartier. Der Rest floss in Infrastruktur sowie die Sicherung und Fertigstellung von Bauprojekten, die noch von den alten Investoren stammten.
Mit insgesamt 140 Millionen will die Baywobau das ganze Quartier neu beleben. „Investiert wird jedoch nur, was bereits verdient wurde“, erklärt Hanschmann trocken die Unternehmenspolitik. Sprich: Ohne Zusagen von künftigen Käufern oder Kooperationen mit anderen Investoren fließt vorab nichts in den Erhalt. Oder kaum etwas: Zumindest die Fassade des alten Tivolis will man nun optisch aufbessern und sichern – den Kindern der neuen Park-Quartier-Bewohner darf schließlich nichts passieren. Angeblich schätzten die neuen Besitzer aber den Anblick der bröckelnden Außenwände wegen ihrer Verfallsromantik, sagt Projektentwicklerin Tipp. Und angeblich gebe es auch konkrete Gespräche mit Investoren über eine künftige Nutzung. Die Ideen für einen „Fitness-Wellness-Anbieter“ sowie für eine „kulturelle Nutzung in Richtung Cabaret“ klingen allerdings noch mehr als vage. Die Finanzierung sei noch unklar, gibt Hanschmann zu. 15 bis 20 Millionen Euro würde die Entwicklung des Tivoli kosten, schätzt er. Jede Menge Geld also, das da „versenkt werden kann“. „Die alten Gebäude sind halt nicht so geschäftsfähig“, sagt er schließlich.
Anders sieht das Thomas Hölzel von Artprojekt, dem einstigen Partner der Baywobau, der sich wegen Differenzen im Juli 2004 aus dem Projekt zurückzog. Hölzels Vision für einen lebendigen Kultur- und Lebensstandort lautete „Querfinanzierung“: Die historischen Flächen werden entwickelt und zum Teil extrem günstig, notfalls umsonst, an Galerien, Museen und Künstler abgegeben. Im Gegenzug beflügelt die Kultur den Standort und treibt die Preise bei den Neubauten in die Höhe. Ein Konzept, das beispielsweise beim Pariser Centre Pompidou mühelos aufging. In Paris zahlen Anwohner horrende Summen für eine Wohnung, weil sie in der Nähe des Kulturzentrums liegt.
Doch funktioniert so etwas auch in Kreuzberg? Hölzel sagt von sich, er sei viel in der Kunst- und Kulturszene unterwegs. Und er glaubt an die Strahlkraft Berlins in Sachen Kultur. Nun bedauert er die vertane Chance für Kreuzberg, denn es gab viele Interessenten für den Standort.
Doch die Baywobau tut sich schwer, in der Kulturlandschaft Kontakte und Konzepte zu entwickeln. Ebenso wie das Tivoli-Gebäude verfällt das im Westen des Areals gelegene historische Maschinen- und Kesselhaus mit seinem überragenden Schornstein immer mehr. Auch dieses Industriedenkmal ist für die Bayern eine eher unrealistische Investition.
Vor dem Maschinen- und Kesselhaus erstreckt sich das in den Boden abgesenkte Dach einer riesigen Tiefgarage. Sie wurde gebaut, um künftig einmal über 600 Autos der kulturbeflissenen Besucher des Viktoria-Quartiers verstauen zu können. Ein Millionengrab auch sie. Nun staut sich das Wasser auf ihrem Dach, das provisorisch mit Holzplanken und schwarzen Folien begehbar gemacht wurde.
Hoffnung auf Kultur
Die einzige Altbausubstanz, die heute strahlt und glänzt, ist der historische Schmiedehof samt seinen Stallungen und Werkstätten. Sie wurden zu komfortablen Penthouses, Lofts, Büros und Ateliers ausgebaut. Er ist eine Hinterlassenschaft der vorigen Investoren, die ihn für dutzende Millionen sanierten. Die Deutsche Bank hatte bereits einige der fertig gestellten Wohn- und Büroeinheiten für viel Geld an den Mann gebracht. Bis zu 7.000 Mark zahlten Käufer damals für den Quadratmeter. Ein Beweis für Hölzel, dass das Konzept des besonderen Kulturstandorts griff.
Längst sind die einstigen Besitzer ihr Eigentum aber wieder los. Wer nach dem Warum forscht, stößt auf eine etwas unschöne Geschichte: Nachdem die Baywobau das gesamte Viktoria-Quartier für 15,6 Millionen Euro erwarb – gerade einmal ein Zehntel der offenen Rechnungen, die bei Insolvenz ausstanden –, wickelte sie alle Kaufverträge wieder ab. Das war möglich, weil die Käufer noch nicht im Grundbuch eingetragen waren. Einige der vermeintlichen Eigentümer hatten ihre Wohnungen bereits vermietet. Und die Baywobau klagte diese Mieter auf ziemlich rabiate Weise raus. Heute sind wieder neue Mieter eingezogen. Denn der Plan, die Einheiten einzeln zu verkaufen, ging nicht auf. „Hätten wir die weise Voraussicht gehabt, wäre uns viel Ärger erspart geblieben“, sagt Hanschmann heute. Bei so viel Einsicht kann man nur hoffen, dass die Baywobau die Kultur am Ende doch noch als lohnenswerte Investition begreift.