piwik no script img

Ballettstange und Spiegel, nichts ist, wie es ist

Porträt Die Choreografin Kat Válastur ist schon lange kein Geheimtipp mehr. Aber etwas Geheimnisvolles hat sie sich bewahrt. Nun wartet die Tanzszene gespannt auf ihre Uraufführung beim Tanz im August

von Astrid Kaminski

Es wurde einmal kolportiert, dass Kat Válastur ketterauchend und Kekse essend choreografiere. Ein reines Gerücht, aber, darauf angesprochen, gefällt es ihr. Es passt tatsächlich nicht schlecht, trifft das quirlig Konzentrierte an ihr, eine Ausstrahlung zwischen Pina Bausch und Alice im Wunderland.

Sie ist in Athen aufgewachsen, aber sieht aus, als würde sie unter Kunstlicht leben: Polarzonenblässe und Augen, deren Farbe an den Berliner Novemberhimmel erinnern. So verwundert es nicht, dass die Abwesenheit von natürlichem Licht eine der Konditionen ist, die sie zum Choreografieren braucht. Im Studio, hinter zugezogenen Vorhängen, versucht sie, leer zu werden, den Informationszufluss zu kappen. Sie erlaubt sich, lange zu warten, so lange, bis die Chemie des eigenen Seins oder auch des Eigenseins eine Wahrnehmungsfährte öffnet. Dann kommt der Moment, in dem sie aufspringt, und ab da geht alles ganz schnell.

Die Unruhe kanalisieren

Als Kind war sie hyperaktiv. Als sie mit sechs die ersten Ballettstunden bekam, fand sie darin ein Mittel, die Unruhe zu kanalisieren, sich aus dem eigenen Körper ein Haus zu bauen. „Das Skelett ist die Trägerstruktur, darum herum bilden das Fleisch, die Muskeln, die Haut, die Wahrnehmungen und Emotionen all die anderen Lagen. Es macht mich glücklich, all dies sichtbar zu machen.“ Dass sie im Ballett den ersten Baumeister fand, schlug sich in ihren Stücken – so virtuos sie auch sind – bislang nicht nieder. Nun aber trifft sie in ihrer aktuellen Auftragsarbeit „Those specks of dust“ für das Ensemble Dance on, die als Uraufführung zum Festival Tanz im August eingeladen wurde, auf Tänzer*innen, die ebenfalls eine fundierte Ballettausbildung als Grundlage haben. Denn das Dance On Ensemble wurde gegründet, um mit TänzerInnen über vierzig ein eigenes Repertoire aufzubauen. Und so wurde Kat Válastur von Erinnerung heimgesucht.

Wer Kat Válastur, von der niemand weiß, wie sie richtig heißt, kennt, weiß, dass jetzt keine Tutus und Ports de bras folgen. Vielmehr entwirft sie ein absurdes Ballettstudio, das in einer ähnlichen formalen Strenge wie eine Konzeptausstellung in einer zeitgenössischen Galerie organisiert ist und trotzdem einen Spieltrieb entwickelt. Kolophonium, Ballettstange, Spiegel: Nichts ist, was es ist.

Und damit kommt auch wieder Alice im Wunderland ins Spiel. Wie Alice wechselt Válastur auf die andere Seite des Spiegels. Das hat nicht nur die Konsequenz, dass die Dinge ihr Eigenleben entfalten, sondern auch eine formale: Das Stück legt im letzten Teil den Rückwärtsgang ein, es spiegelt sich zeitlich. Rewind. „Es wird mein witzigstes Stück“, verspricht Vá­lastur.

Man sieht ihren Choreografien an, dass sie aus Wahrnehmungen und Bildern entstehen. Ihre Poesie hat etwas Invokatives. Den Körper begreift sie als ein Investigationsobjekt des Bewusstseins: „Wenn wir in unserem Denken neue Möglichkeiten entwickeln, können wir das auch mit unserem Körper.“ Was das ästhetisch bedeutet, führt sie in den Notizen auf ihrer Website aus: „Der Körper, der im choreografischen Prozess nach Perfektion strebt, muss dennoch unfertig bleiben. Ein Körper auf dem Weg der Verwandlung kann nichts anderes als ein tragischer Körper sein. Aus dieser Einsicht heraus verehre ich ihn.“ Und so wird Choreografieren zum Lebensprojekt: Nicht im Wissen verharren, sondern weitergehen, neue Denkkörper schaffen, sie visualisieren, pulsieren lassen, bis sie sich in die Wahrnehmung eingebrannt haben. Nicht fix, sondern als Chimären, deren Energien beweglich bleiben. Unvergesslich sind die nachttrunkenen Figuren aus dem postapokalyptischen Stück „Ah! Oh! – A Contemporary Ritual“, denen wie unkontrollierbare Infusionen ständig Luftblasen im Mund wachsen. Etwas, ohne das sie entweder nicht sein können oder das sie nicht loswerden können. Ein Slapstick aus der Anfangsphase der Post-CO2-Zeit.

Das Ritualstück bildete in diesem Jahr den Abschuss einer Trilogie, an der Kat Válastur während ihres Stipendiums im Institut für Raumexperimente des Lichtkünstlers Ólafur Elíasson arbeitete. Sie hat dafür den Begriff „Newtopia“ geprägt (der leider 2015 dann auch als Titel einer Reality Show von Sat.1 verwendet wurde). Das ist ein genaues Wort für ihre Stimmungen, die weder dystopisch noch utopisch sind, sondern vielmehr Zustandserkundungen.

Erkundungen des Verlorenseins in instabilen, verzerrten Situationen, die dennoch nicht hoffnungslos wirken. Warum? „Ich denke, unsere derzeitige Wahrnehmung der Verhältnisse ist ziemlich verzerrt. Davon ausgehend lautet meine größte Frage: Wo ist der Ausgang? Ich bin nicht daran interessiert, Zerrbildern zu manifestieren, wenn es keinen Ausweg gibt.“

Uraufführung von „Those specks of dust“ von Kat Válastur und dem Dance On Ensemble, 20. August im HAU 1

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen