: Nach dem Völkerrecht von 1944
Heute schützt die „Staatenimmunität“ nicht mehr vor Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen
FREIBURG taz ■ Das Prinzip der Staatenimmunität steht beim Streit um das Massaker von Distomo im Zentrum der juristischen Auseinandersetzungen. Deutschland muss für die SS-Verbrechen nur Schadensersatz zahlen, wenn die Staatenimmunität bei offensichtlichen Menschenrechtsverletzungen nicht gilt.
Hintergrund dieser Immunität ist die Souveränität der Staaten. Kein Staat soll über einen anderen Staat zu Gericht sitzen. Deshalb kann Deutschland für hoheitliche Rechtsverletzungen des deutschen Staates sowie seiner Politiker, Diplomaten und Soldaten nicht vor Gericht gezerrt werden – insbesondere nicht im Ausland. So soll verhindert werden, dass einzelne Ermittlungsbehörden nach einer Straftat internationale Spannungen mit unüberschaubaren Folgen auslösen können.
Auch Schadensersatz für Kriegsschäden kann nicht vor nationalen Gerichten eingeklagt werden. Die Höhe von Reparationszahlungen sollen die beteiligten Regierungen nach dem Krieg vielmehr aushandeln, um zu vermeiden, dass die Rückkehr zur Normalität noch jahrzehntelang durch individuelle Schadensersatzprozesse mit astronomischen Forderungen behindert wird.
Die Staatenimmunität ist Völkergewohnheitsrecht und gilt weltweit. Umstritten ist aber, ob auch ersichtliche Menschenrechtsverletzungen von ihr gedeckt sind. Das englische House of Lords hat dies 1998 verneint und dem chilenischen Exdiktator Pinochet keine Immunität für die Folter von Regimegegnern eingeräumt. Auch das seit 1993 bestehende Jugoslawien-Tribunal sowie der 2002 neu eingerichtete Internationale Strafgerichtshof, beide in Den Haag, ermitteln ausdrücklich auch gegen Staatsoberhäupter und Offiziere.
Noch ist aber unklar, ob aus diesen Entwicklungen bereits eine weltweit zu beachtende Regel des Völkerrechts abgeleitet werden kann. Und wenn ja, gilt die Ausnahme von der Staatenimmunität nur für die Bestrafung von konkreten Personen oder auch für Schadensersatzforderungen gegen Staaten?
Der Aeropag, das höchste Zivilgericht, hat in seinem Distomo-Urteil im April 2000 entschieden: Es gibt keine Immunität für die verbrecherischen Handlungen einer Besatzungsmacht. Aber schon zwei Jahre später entschied das höherrangige Oberste Sondergericht Griechenlands, die Staatenimmunität gelte doch generell. Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) erkannte im Juni 2003 zwar an, dass die Wahrung der Menschenrechte das Prinzip der Staatenimmunität immer weiter zurückdrängt. Allerdings gelte dies erst in jüngerer Zeit. Für ein Massaker im Jahr 1944 stellt der BGH auf den Stand des Völkerrechts der damaligen Zeit ab. Wegen der faschistischen Gräueltaten hat der deutsche Fiskus also zumindest vor deutschen Gerichten nichts zu befürchten.
CHRISTIAN RATH