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Empören und Anpacken

Moabit hilft Ein halbes Jahr lang war die Initiative zentraler politischer Ansprechpartner bei Flüchtlingsfragen. Nun sucht sie eine neue Rolle

Diana Henniges: „Noch immer setzt sich der Senat über die grundlegenden Rechte der Geflüchteten hinweg“

von Uta Schleiermacher

Als sich an einem Mittwochmorgen im Januar über soziale Netzwerke die Meldung verbreitet, dass es einen Toten am Lageso gegeben hätte, dauert es nicht lange, bis sich Medienvertreter vor Haus D drängen: dem Sitz von Moabit hilft auf dem Lageso-Gelände an der Turmstraße. Diana Henniges und Christiane Beckmann, die beiden Vorsitzenden der Initiative, geben ein Interview. Sie erklären, wie sich die Situation am Lageso so zugespitzt hatte, dass nun das Schlimmste eingetreten sei.

Am späten Nachmittag kommt die Entwarnung: Kein Geflüchteter ist am Lageso gestorben. Der Todesfall war die nächtliche Erfindung eines Helfers.

Im Rückblick ist dieser Morgen wie ein Ventil, durch das sich die monatelange Mühsal, Fassungslosigkeit und Überlastung der freiwilligen Helferinnen und Helfer am Lageso entlädt. Ja, die Situation dort war für die Geflüchteten über Monate hinweg schlimm, das Nichtstun der Politiker unerträglich. Tödlich war sie nicht. Dennoch markiert diese Falschmeldung eine Zäsur in der Geschichte der Initiative.

Moabit hilft hatte sich zu diesem Zeitpunkt längst als zentraler politischer Ansprechpartner für die Situation der Geflüchteten in Berlin etabliert. Die Gruppe machte mit Vehemenz auf die vielen Missstände in und vor dem Lageso aufmerksam. Sie hatte Hilfsstrukturen aufgebaut, wurde von hunderten Menschen täglich aktiv unterstützt und verfügte über Spenden in Höhe von mehreren tausend Euro pro Woche. VertreterInnen aus dem Vorstand saßen in wichtigen politischen Gremien und wurden bei Begehungen neuer Unterkünfte hinzugezogen. Nicht zuletzt war Moabit hilft für die Medien eine seriöse Informationsquelle geworden.

Inwieweit sie sich diese Rolle aktiv gesucht hätten, könne sie nicht mehr genau sagen, erzählt Diana Henniges heute: „Wir haben gesehen, dass am Lageso etwas ganz gewaltig schiefläuft, und sind dann aus dem ersten Engagement da hineingewachsen.“ Aber wenn sie noch mal vor der gleichen Situation stehen würden, würden sie alles ganz genau so wieder machen, betont Henniges.

Eine Lücke gefüllt

Moabit hilft hatte sich zu einer Gruppe engagierter BürgerInnen entwickelt, die eingesprungen war, um eine Lücke zu füllen, die sich in einem bestimmten Moment durch Behördenversagen aufgetan hat. Dass die im Kern relativ kleine Initiative eine so große Rolle übernehmen konnte, lag auch daran, dass sich am Lageso in der Turmstraße so vieles konzentrierte – und dass von offizieller Seite so wenig kam.

Die Gruppe schuf eine Kontaktfläche zwischen Flüchtlingen und vielen BerlinerInnen. Mitmachen wurde leicht gemacht: Ein Klebeband mit dem eigenen Vornamen genügte, um Teil der HelferInnengruppe zu werden. Die europäische Außengrenze war auf einmal nah, und jeder konnte etwas tun. „Bei uns haben auch radikale Linke Klamotten sortiert“, erinnert sich Henniges lachend. Am Lageso haben BerlinerInnen erste Brocken Arabisch gelernt und sich notgedrungen schnell ins Asylrecht eingearbeitet. Sie haben ihre Sofas als Übernachtungsplätze angeboten, es sind Freundschaften entstanden.

Für viele hat sich in diesem Sommer ihr Alltag, ihr Leben und ihre Perspektive geändert – weil sie sich engagieren konnten. Nicht nur für Flüchtlinge, sondern gemeinsam mit ihnen. Moabit hilft hat damit die Grenzen eingerissen zwischen Empören und Anpacken, zwischen Zusehen und Etwas-Tun.

Mit dem großen politischen Wurf haben sich ihre Mitglieder zurückgehalten. Der Protest gegen die bundesweiten Asylrechtsverschärfungen im Herbst blieb vergleichsweise leise. Moabit hilft hat sich eher dafür eingesetzt, in kleinen Schritten die Situation in Berlin zu verbessern. Sie forderten vom Senat unter anderem, Busse bereitzustellen, um die Menschen abends von der Turmstraße in die Unterkünfte zu bringen, eine ständige medizinische Versorgung am Lageso einzurichten und besonders schutzbedürftige Flüchtlinge nicht in Notunterkünften unterzubringen. Viele dieser Forderungen wurden umgesetzt.

Doch die Initiative hätte nie eine solche politische Präsenz erreicht, wenn sich nicht – und schon zu diesem Zeitpunkt – staatliche Akteure auf die Arbeit von Freiwilligen verlassen hätten. Der vom Senat im Frühjahr verabschiedete Masterplan Integration betonte dann sogar „die Bedeutung und Stellung der vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer“. Er sieht vor, in den Bezirken neue Stellen für „Ehrenamtskoordination“ einzurichten. In den Unterkünften gibt es diese Stellen bereits.

Indem sie eine „Kultur des Miteinanders“ feiern, versuchen staatliche Instanzen die unbezahlte Arbeit von Freiwilligen fest in ihre eigenen Strukturen einzubinden. Das kann zum Problem werden, wenn zum Beispiel ungeübte und ungeschulte Helfer Aufgaben übernehmen, die eigentliche von professionell ausgebildeten Fachkräften erfüllt werden müssten, und die physische und psychische Belastung zu groß wird. Diese Parallelstruktur kann aber auch ungünstig sein für die Hilfesuchenden. Denn bisweilen ist es purer Zufall, wo sich ehrenamtliche Helfer einsetzen und für wen. Menschen in Not können diese freiwillige Unterstützung ja nicht einfordern.

Freiwilliges Engagement muss mit diesem Widerspruch umgehen. Auch deshalb hat Moabit hilft meist versucht, Hilfe mit Protest zu verbinden. Um nicht ganz vereinnahmt zu werden, muss das Helfen widerborstig bleiben.

Stimme für die Geflüchteten

Inzwischen sind die Flüchtlingszahlen gesunken; die staatlichen Strukturen funktionieren besser, die Bedeutung von Moabit hilft ist gesunken. Und die Initiative versteht ihre Aufgabe etwas anders als vor einem Jahr. „Wir sehen uns auf dem Weg dahin, eine Stimme für die Geflüchteten in Berlin zu werden“, sagt Henniges. Man wolle zwischen der Stadtgesellschaft und den Bedürfnissen und Forderungen der Flüchtlinge vermitteln. In beide Richtungen. „Viele Geflüchtete sind sehr mit sich selbst beschäftigt und haben Ängste. Wir versuchen, ihnen zu zeigen, wie sie ihre Rechte einfordern können“, erklärt Mitstreiterin Christiane Beckmann.

Deshalb ist Beckmann auch dabei, als im Juli eine Gruppe von Flüchtlingen vor dem Internationalen Congress Centrum ICC im Westend gegen die Unterbringung in der Notunterkunft in den Tempelhofer Flughafenhangars protestiert. „Wir sind auch hier, damit die Gesetze eingehalten werden“, sagt sie. „Die Menschen haben nach sechs Monaten ein Anrecht auf Selbstversorgung.“ Doch viele leben seit fast einem Jahr in Massenunterkünften.

Die Initiative informiert und unterstützt die Mahnwache außerdem mit Nahrungsmitteln; sie organisiert sichere Übernachtungsmöglichkeiten für die Familien und Kinder und reicht zusammen mit den Flüchtlingen beim Sozialgericht Klagen gegen die Bedingungen in den Unterkünften ein.

Zufrieden, sagt Diana Henniges, seien sie noch lange nicht. „Noch immer setzt sich der Senat über die grundlegenden Rechte der Geflüchteten hinweg.“ Letztlich geht es ihnen aber auch gar nicht darum, zufrieden zu werden, fügt sie hinzu. Sondern darum, eines Tages überflüssig zu sein. „Doch das ist wohl weiterhin nicht mehr als ein frommer Wunsch.“

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