Kein allzu privater Ort. Schwule Flüchtlinge halten es oft nicht lange in den ihnen zugewiesenen Sammelunterkünften aus Foto: Peter Endig/dpa

Erinnerungen und ein wenig Hoffnung

Ankunft In Leipzig können sich homosexuelle Refugees an einen Verein wenden, der ihnen vor allem hilft, die Sammelunterkünfte
zu verlassen. Dort werden sie nicht selten massiv diskriminiert. Ein selbstbestimmtes Leben beginnt erst in der eigenen Wohnung

aus leipzig Sarah Emminghaus

Ahmed hat am Fenster seiner Wohnung im Irak gestanden und zugesehen, als der Kopf seines Freundes mit Steinen zerschlagen wurde. Der Freund, mit dem er sich eigentlich gerade treffen wollte. Zu dem Zeitpunkt war er schon seit vier Jahren mit einer Frau verheiratet und hatte zwei Kinder – damit seine Umwelt nicht erkennt, dass er homosexuell ist.

Jetzt sitzt Ahmed in seiner Wohnung im Leipziger Osten. Sein Zimmer ist spartanisch, aber stilvoll eingerichtet. Während er über die Ermordung seines Freundes spricht, füllt sich der Raum mit dem Dunst von Räucherstäbchen. Ahmed lebt seit vergangenem Jahr hier. Nüchtern erzählt der 27-Jährige von allem, was ihm widerfahren ist; zeigt Videos von Massakern, bei denen er nur knapp dem Tod entkommen ist. Durchblättert die Sammlung an Unterlagen, die den Schwulenhass der irakischen Regierung beweisen. Seine Waffe gegen das Trauma ist die akribische Dokumentation – im Irak hat er als Journalist gearbeitet.

Ahmeds bärtiger Mitbewohner, Ali, dürfte gar nicht in Leipzig leben. Er ist im thüringischen Altenburg gemeldet. Aber dort ist er zu oft wegen seiner Homosexualität mit den anderen Flüchtlingen in der Unterkunft aneinandergeraten. Kennengelernt haben sich die beiden in der Rosa Linde. Der Leipziger Verein kümmert sich um die Belange von LGBTQI-Menschen. Seit Anfang Mai auch um die von etwa 15 queeren Refugees. Dafür wurde Sabrina Latz extra eingestellt. Es ist der erste Job der 27-jährigen Sozialarbeiterin; es geht um Behördengänge, um psychosoziale Betreuung. „Die Refugees sollen sich vernetzen, das Ganze ist als emanzipatorisches Projekt gedacht. Sie sollen sich gegenseitig auffangen und unterstützen“, erzählt die zierliche Frau mit den krausig blonden Haaren.

Das funktioniert so: Über das Projekt sind die queeren Refugees zu Freunden geworden, treffen sich auch unabhängig von der Rosa Linde. Sie organisieren alle zwei Wochen eine Vokü, ein gemeinschaftliches Kochen. Und in Ahmeds Wohnung leben außer Ali noch zwei schwule Refugees von der Rosa Linde. Sabrina Latz’ Idee geht auf: Selbst wenn sie den Geflüchteten einmal nicht helfen kann, aus dem Heim rauszukommen, sind sie füreinander da. Doch die Hauptaufgabe ist genau das: den Männern zu helfen, von ihrer Unterkunft, in der sie diskriminiert werden, wegzukommen.

Dafür geht Latz mit ihnen zum Sozialamt der Stadt. Dort können ihnen Bedarfswohnungen zugewiesen werden, so Sozialamtsleiterin Martina Kador-Probst. „Wenn ein Flüchtling zum Beispiel wegen seiner sexuellen Neigung Probleme hat, geht das eigentlich schnell. Oft innerhalb von ein paar Tagen.“ Manche Flüchtlinge beklagen, dass es nicht oder nicht schnell genug geht – dafür hat Kador-Probst nur die Erklärung, dass es immer auch darauf ankommt, ob jemand in der Lage ist, alleine zu leben. „Dem können medizinische oder psychische Probleme im Weg stehen.“

Es ist nicht einfach, überhaupt zur Betreuung der Rosa Linde zu finden – eben weil das Hauptproblem der Männer die Unterkünfte sind. Sie können nicht einfach offen nach Angeboten für homosexuelle Männer fragen, ohne ein Outing zu riskieren. Deswegen versteckt die Rosa Linde sich meist in dicken Broschüren voller allgemeiner Angebote für Flüchtlinge; zwischen Kochkursen und Frauentreffen findet sich dann der Hinweis auf das queere Zentrum.

Yusuf hat über einen Freund zur Rosa Linde gefunden, auch er verbringt viel Zeit mit den Männern, die er dort kennengelernt hat. Seit dieser Woche hat er endlich eine Aufenthaltsgenehmigung, eine Wohnung hat er schon seit ein paar Monaten. Dank der Rosa Linde. Er vermisse arabischen Kaffee, erzählt der hübsche 24-jährige Syrer leicht wehmütig, während er seinen Starbucks-Americano im Leipziger Hauptbahnhof schlürft. Aber er hat kaum Probleme damit, ein schwuler Flüchtling in Leipzig zu sein. Seine arabischen heterosexuellen Freunde dürfen zwar alle nicht wissen, dass er homosexuell ist – nur seinem Cousin hat er es erzählt. „Das ist total okay für ihn. Aber er will natürlich, dass ich irgendwann trotzdem eine Frau finde.“ Er weiß um die Absurdität dieser Aussage und lacht, scheinbar unbeschwert.

Die homosexuelle Community ist neu für die meisten queeren Flüchtlinge – in ihren Heimatländern mussten sie „straight-acten“, so tun, als wären sie hetero. Hier geht Yusuf in Schwulenclubs und ist auf gayromeo.de unterwegs, einer Dating-Website. Eine Sache stößt ihm aber auf, er zeigt eine Nachricht, die er dort bekommen hat: „Willst du ficken? Geiles Date, kriegst 150 Euro.“ Mehrmals haben sich ihm Männer in Clubs genähert, die ihn für Sex bezahlen wollen. „Viele Flüchtlinge machen das, weil sie Geld brauchen“ – da sei es oft auch egal, ob sie schwul sind oder einfach in Geldnot.

Ahmed sammelt Unterlagen zum Schwulenhass der irakischen Regierung

Die Männer in der Rosa Linde sind zum großen Teil Freunde, aber auch Leidensgenossen. Alle haben Diskriminierung in ihren Heimatländern erlebt, viele erleben sie hier noch immer. In der Rosa Linde haben sie nun immerhin einen „safe space“, wie es Latz formuliert. Alle sieben, die an diesem Nachmittag hier im Kreis sitzen und von ihren Geschichten erzählen, wissen das zu schätzen. Aber sie wollen nicht isoliert leben. In Berlin und Nürnberg gibt es inzwischen Heime, in denen nur queere Flüchtlinge leben – die Idee lehnen sie geschlossen ab. „Alle würden auf dieses Heim schauen, alle würden wissen: Wer da reingeht, ist schwul“, befürchtet Ali. Ahmed wirft ein: „Aber die Idee zeigt, dass die Regierung sich kümmert. Das ist wichtig!“ Was die Lösung für den Konflikt ist? Darauf hat keiner eine überraschende Antwort: Es brauche einfach mehr Aufklärung.

Viele der Refugees kritisieren den Islam, nicht nur, wenn er extremistisch wird. Ahmed wird aufbrausend, wenn es um „seine“ Religion geht: Der Islam sei absolut nicht mit Homosexualität vereinbar. Er knallt seine Teetasse auf den Tisch. „Nur auf meinem Pass steht Moslem, ich identifiziere mich überhaupt nicht mit der Religion.“ Ihm sind schon zu viele schreckliche Dinge passiert, für die er den Islam verantwortlich macht. Damit unterscheidet er sich zwar von jenen, die montags die Islamisierung des Abendlandes beklagen. Inhaltlich sei er aber bei ihnen.

Yusuf ist auch Atheist. Seit er nicht mehr mit seinen Eltern zusammenlebt, betet er nicht mehr. Sein Englisch ist fast fehlerfrei, neben einem Aufenthaltstitel hat er seit ein paar Tagen die Erlaubnis, hier Ingenieurwesen zu studieren. Er sieht die Vorteile davon, nicht einfach ein Flüchtling, sondern ein homosexueller Flüchtling zu sein – Menschen hätten weniger Angst vor ihm. Das erste Mal ist seine Homosexualität ein Vorteil. Yusuf besitzt eine Leichtigkeit, wie Ahmed sie schon lange nicht mehr zu haben scheint.

Denn der wäre lieber im Irak geblieben. Er vermisst seine Kinder, seine Frau. Sie ist eine seiner besten Freundinnen, über den Familiennachzug würde er sie gerne zu sich holen. „Im Irak hatte ich Wert. Durch die Arbeit, die finanzielle Sicherheit – hier habe ich auch Wert, aber er ist irgendwie …“ – er zögert – „…verbuddelt.“ Nie wirkt Ahmed verletzlich, er distanziert sich von seinem eigenen Leid. Nur als er seine Antidepressiva aus einem Schrank, dem einzigen Stauraum im Zimmer, hervorkramt, lässt sich erahnen, dass hinter all der Reflexion ganz viel Trauma steckt. Er denkt trotzdem noch täglich an den Mord an seinem Freund – aber mit den Tabletten kann er wenigstens schlafen.

Die Namen der im Text erwähnten Refugees wurden von der Redaktion geändert