: Bei Regen klatschen sie lauter
Draußen schauen Wer Freilufttheater spielt, muss bunter und lauter sein, damit das Publikum nicht durch den Nachbarn oder Nebengeräusche abgelenkt wird. Und es funktioniert: Von Jahr zu Jahr kommen mehr Menschen, um sich draußen Shakespeare und anderes anzusehen
Von Joachim Göres
Ein paar Tauben gurren, die Kirchturmglocken schlagen zur vollen Stunde, in der Ferne heult ein Krankenwagen. Die Zuschauer im Innenhof des Celler Schlosses lassen sich nicht ablenken und folgen gebannt der Aufführung von Shakespeares „Was ihr wollt“. Eine Vorstellung unter freiem Himmel, vor der Decken ans Publikum verteilt werden – an diesem lauen Sommerabend werden sie kaum gebraucht. „Immer mehr professionelle Theater bieten im Sommer Vorstellungen draußen an, und Shakespeare eignet sich dafür hervorragend“, sagt der aus Bremen stammende Regisseur Markus Kopf und ergänzt: „Das ist auch eine Reaktion auf die vielen Freilichtaufführungen anderer Bühnen.“
Damit meint Kopf in erster Linie die Laientheater in meist kleinen Orten, die ihr Publikum vor allem mit Komödien und Kinderstücken erfreuen. 2015 zählte die Waldbühne Ahmsen im Emsland bei jeder ihrer 32 Aufführungen von „Der Glöckner von Notre Dame“ und „Wickie und seine Freunde“ im Schnitt mehr als 1.300 Besucher. Die anderen niedersächsischen Amateurbühnen in Lilienthal, Meppen, Lohne, Daverden, Langwedel, Bad Bentheim, Wagenfeld, Mellinghausen, Marklohe, Stöckse, Neustadt am Rübenberge, Barsinghausen, Salzhemmendorf, Georgsmarienhütte, Melle und Polle kommen auf 200 bis 800 Zuschauer pro Vorstellung.
„Das Wetter ist wichtig, denn es gibt meist keine Überdachung, und auch zu viel Hitze stört. Insgesamt steigt aber die Zahl unserer Besucher. Das liegt auch daran, dass die Aufführungen durch moderne Technik und erfahrene Regisseure und Musiker immer professioneller werden“, sagt Magnus Ronge, Sprecher des Verbandes Deutscher Freilichtbühnen. Die dort vereinten 90 Bühnen zwischen Ostfriesland und Bayern zählten 2015 knapp eine Million Gäste.
Ronge inszeniert an der Waldbühne Otternhagen in Neustadt diesmal „Die Leiche im Schrank“. „Komödien haben bei uns Tradition, wir wollen unser Stammpublikum nicht enttäuschen. Andere Laienbühnen legen ihren Schwerpunkt zum Beispiel auf Historienspiele. Immer mehr Open-Air-Bühnen führen auch Musicals auf, das kommt sehr gut an“, sagt Ronge.
Sorge bereitet ihm die Zahl der Darsteller und technischen Helfer: „Für eine Produktion sind bei uns rund 100 Menschen ehrenamtlich im Einsatz, einmal die Woche wird ein halbes Jahr lang geprobt. Beruflich eingespannten Menschen zwischen 25 und 50 fehlt immer öfter die Zeit dafür.“
Auch professionelle freie Theatergruppen spielen im Sommer längst unter freiem Himmel. Bereits zum 21. Mal lädt die Bremer Shakespeare Company vom 24. bis 28. August zum Theatersommer auf die Melcherswiesen im Bürgerpark. Zudem gibt es bundesweit viele Sommerfestspiele. Im Freilichttheater am Kalkberg in Bad Segeberg sind die 7.500 Plätze meist belegt, wenn Winnetou und Old Shatterhand ihre Abenteuer bestehen.
In Bad Gandersheim bietet der Dom die Kulisse für die gerade beendeten Gandersheimer Domfestspiele mit Stücken wie „Die drei Musketiere“ oder „Comedian Harmonists“. Von den sechs Produktionen waren vor allem die beiden Musicals sehr gefragt. „80 Prozent unserer Kosten müssen wir einspielen und achten darauf, dass das Publikum durch unsere Stücke angesprochen wird. Dabei leisten wir uns immer eine Uraufführung“, sagt Dramaturg Florian Götz.
In diesem Jahr war es das Musical „Highway to Hellas“ – laut Götz „eine Komödie mit politisch relevantem Hintergrund“. Er freut sich über jährlich rund 50.000 Besucher, die sich auch von Schauern nicht abschrecken lassen. „Bei Regen wird lauter geklatscht als sonst. Bei uns fällt die Vorstellung nur bei gefährlichen Wetterlagen aus“, so Götz.
In Celle wird dagegen bei Regen ins Schlosstheater umgezogen, manchmal sogar während der Vorstellung. „Das ist ein doppelter Aufwand, weil man für zwei unterschiedliche Bühnen proben muss“, sagt Regisseur Kopf. „Draußen muss man mit lauter Stimme sprechen und mit großer Gestik spielen, um die Besucher zu erreichen. Drinnen würde das lächerlich wirken.“
Er findet Reize auf der Freilichtbühne besonders wichtig, damit die Zuschauer nicht abgelenkt werden, schließlich ist der Raum nicht wie im Theater abgedunkelt. Und so wird bei „Was ihr wollt“ viel musiziert, das Publikum zum Mitsingen aufgefordert. Die Kostüme haben kräftige Farben, damit sie sich von der hellen Farbe des Schlosses abheben. Kopf: „Kammerspiele von Tschechow oder Strindberg eignen sich nicht für Freilichtaufführungen. Es muss was abgehen auf der Bühne. Mit Komödien kann man die Zuschauer am besten ansprechen.“
Doch auch ernster Stoff kann fesseln – davon ist man in Kiel überzeugt. Im Juli bot das Schauspiel Kiel vor maritimer Kulisse Schillers „Die Räuber“ dar – als Rockoper.
Programm des Verbandes Deutscher Freilichtbühnen unter www.freilichtbuehnen.de
Das Festival „Sommer in den Gärten“ zeigt im Gartentheater Hannover-Herrenhausen von Shakespeare „Romeo und Julia“ (11.–13. August) und „Sommernachtstraum“ (25.–27. August)
Die Karl-May-Festspiele Bad Segeberg finden bis zum 4. September statt
In Celle ist „Was ihr wollt“ wieder vom 12.–27. August unter freiem Himmel zu sehen
Das Staatstheater Hannover zeigt in seinem Theaterinnenhof „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ (12.–28. August)
Das Staatstheater Braunschweig führt auf dem Burgplatz das Musical „Hair“ vom 13.–31. August auf
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