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Location im Niemandsland

Fernsehturm Ein Wahrzeichen – und doch für die Öffentlichkeit geschlossen: Das höchste Gebäude Hamburgs soll wiederbelebt werden. Doch leider steht der 150 Meter hohe Turm in einer sehr unschönen Ecke. Da wäre also einiges zu tun. Ob sich das lohnt?

von Jan Feddersen

Schon der Bau stimulierte Kinderseelen: Hamburg, was ja das Tor zur Welt war, soll auch eine Tür zum Himmel haben? Bis der Fernsehturm am 12. April 1968 erstmals für das Publikum freigegeben wurde, bis also die ersten Fahrstühle in 150 Höhe zur Aussichtsplattform und zum Res­taurant empor fuhren, wuchs dieses spitze Stadtmöbel aus edelstem Beton und viel Stahl Stück für Stück fast in die Wolken hinein. In Hamburg, so sah es bald jeder in Hamburg, selbst von Rahlstedt, Fuhlsbüttel, Hausbruch und Osdorf aus, würde eines der höchsten Gebäude des Landes wachsen. Das tat der Stadtseele wohl – München mochte die Olympischen Sommerspiele veranstalten, Hamburg hatte dafür den Hafen und den Fernsehturm, auch wenn der kränkenderweise am Ende kürzer gehalten war als der Münchner.

Der Telemichel – eine Erfindung der Boulevardpresse

Dabei ging es immer um Praktisches, nicht um das Publikum selbst. Vom Fernsehturm – der Ausdruck Telemichel, nebenbei, als Name ist eine Erfindung von Boulevardzeitungen und war nie wirklich im Sprachgebrauch – aus wurde gesendet und ausgestrahlt. Fernsehen und Radio und Telefon, der Bunker am Heiligengeistfeld reichte rein von der Höhe nicht mehr. Die Wirkung auf Hamburger*innen und auf Touristen war enorm: Der Fernsehturm war eine Attraktion, zumal zur Internationalen Gartenbauausstellung 1973 rund um Planten un Blomen. Man ersehnte ja dies: Im Restaurant zu sitzen, auf den festen Sitzen in 60 Minuten die volle Rundung zu erleben, sodass man aus in Hamburg höchster Höhe alles einmal von oben herab sehen konnte: Horizonte noch und noch. Dazu, welch’Verheißung: Kuchen satt. Für, sofern die Erinnerung nicht trügt, fünf Mark Vanilleschnitten, Bienenstiche und Butterkuchen soviel man wollte. Und Filterkaffee, Caffè latte und so etwas gab es noch nicht, später immerhin Cappuccino (Filterkaffee plus Sprühsahne).

Die Bedienung war vom alten Schlag, leicht unfreundlich, gern auch kinderverabscheuend, die immer wieder ermahnt werden musste, sich nicht auf die Fensterbank zu setzen – die drehte sich nämlich nicht mit. Das hätte klar sein können: Wer sein Publikum als Bittsteller behandelt, hat keine gute Zukunft vor sich.

Der Standort selbst war funktional gut gewählt: 23,5 Meter über Meeresspiegel liegt der Platz an der Messe an der Bahnstrecke am Schlachthof. Es war irgendwie eine verlassene Gegend. Das heute sogenannte Karoviertel nah und doch fern, dazwischen das nicht nur so heißende Schlachthofviertel. Sonst Brachland, irgendwie. Das CCH gab es noch nicht, das Univiertel war zwar auch nicht weit weg, aber gefühlt war dieser Standort an der Verbindungsbahn im Niemandsland: nichts drumrum, was lebt, dafür sehr viele Autos.

Uncooles Betonmonstrum am Rande der Innenstadt

Am 1. Juni 2001 wurde der Fernsehturm für uns Höherstrebende geschlossen. Die besten Jahre hatte das Gebäude hinter sich, der Zeitgeist war auf Öko und städtische Dörflichkeit gestimmt, nicht auf Himmelweisendes. Es war einfach nicht mehr hip, dort hinaufzuwollen. Ein Betonmonstrum am Rande der Innenstadt? Gar nicht cool. Danach gab es noch eine gewisse Zeit lang Bungeespringerei von der Plattform herunter, aber auch das lohnte sich – nach einem tödlichen Unfall in Dortmund – nicht mehr: Nicht, um eine gastronomische Einrichtung zu tragen.

Inzwischen gibt es Pläne, den Fernsehturm wieder zu eröffnen. Eine „Stiftung Fernsehturm“ macht sich für eine Wiedereröffnung stark, die Hamburger Sparkasse verwendet sich mit, auch bei Bürgermeister Olaf Scholz soll es eine gewisse Gewogenheit einer Renaissance des Fernsehturms geben. Aber genaue Pläne – vor allem: Finanzierungspläne – gibt es noch nicht, jedenfalls keine einsehbaren.

Aber wäre es nicht schön, wieder aufzusteigen? Könnte das Projekt der Wiederbelebung gelingen? Man darf zweifeln. Diese Ecke am Fernsehturm ist von architektonischen Dreiviertelhässlichkeiten umstellt. Die Messe, das CCH, die fetten Hauptverkehrsstraßen – wer zum Fernsehturm will, muss dort hinwollen, niemand wird dort zufällig beim Flanieren hingespült.

Kaum eine Hamburger Gegend in Innenstadtnähe ist so unattraktiv als Spazierweg. Die Vitalität des Karo- und Schanzenviertels – gefühlt Hunderte von Kilometern weg. Das Univiertel – auch nicht gerade quirlig und pulsierend. Der Fernsehturm hat nichts direkt drumrum, er steht und west. Und weist ab, leider.

Das ließe sich natürlich ändern, stadtplanerisch. Man müsste nur die Messe planieren und die Wege von dort zum Fernsehturm zur Gastromeile gestalten. Der Schanzenpark müsste ebenfalls lebendiger werden, mit mehr Ausgehlokalen, voll im Hipstermodus. Und dann müsste die Rentzelstraße weitflächig zur Vergnügungsmeile werden. Schön für den Fernsehturm wäre auch, führe eine Buslinie von der Grindelallee zum Karoviertel direkt – und hätte eine fette Station am Fernsehturm.

Ein frischer Kick durch Hipsterisierung

Selbstverständlich ist das utopisch. Die Bewohner der Gegend wollen ihre Ruhe haben und nicht metropol belebt werden: Hamburgs Verwaltungsgerichte würden mit einer Flut von Klagen rechnen, ehe auch nur ein vitalisierendes Projekt zwischen Messe, Uni, CCH und Schlachthofresten verwirklicht würde.

Was schade ist: Der Fernsehturm verdient es, wie so viele andere Betongebäude in der Welt, aufgefrischt zu werden. Man muss nur diesen gewissen Kick schaffen, der aus einem toten Gebäude ein angesagtes macht: Wie das Einkaufszentrum Neukölln in Berlin – hässlich wie nix, aber nun sehr okay, weil auf dem Dach ein Hipstererlebnispark entstanden ist. Oder das Gebäude der Zeitung Volkskrant in Amsterdam: ein Epizentrum der hipsterigen Avantgardekultur.

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