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Archiv-Artikel

Gottes Segen

Der Bahnvorstand hat getagt und eingeräumt, was niemand überrascht: Stuttgart 21 wird noch teurer. Jetzt sind es 5,6 Milliarden Euro statt 4,5. Und dabei wird es nicht bleiben. Einer, den das gar nicht stört, ist Claus Schmiedel, der SPD-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag. Er weiß, dass Gottes Segen auf dem „bestgeplanten Bauprojekt Europas“ liegt

von Jürgen Bartle

Die Kontext:Wochenzeitung ist kein Bauprojekt der Deutschen Bundesbahn, auf dem Gottes Segen liegt. Die Redaktion bedauert das einerseits sehr. Denn wir könnten uns, wenn es anders wäre, sehr wahrscheinlich beteiligen an dem medialen Wettbieten, das jetzt entbrannt ist, bevor noch ein Tunnel gegraben und ein Stein auf den anderen gesetzt ist.

Wie sie plötzlich aus allen Wolken fallen in Hamburg, Berlin, Frankfurt und München oder wo sonst Medienschaffende meinen, mitten im Zentrum der Meinungsmache zu hocken. Sechs Milliarden, das Doppelte vom Berliner Flughafen für einen Bahnhof in Stuttgart, und am Ende gar zehn? Wer bietet mehr? Skandal! Und wie bitte? Die haben noch gar nicht angefangen zu bauen dort! Drei Jahre nach Baubeginn!

Die Redaktion der Kontext:Wochenzeitung bedauert andererseits auch wiederum nicht, und zwar ausdrücklich nicht, kein Bauprojekt der Deutschen Bundesbahn zu sein, auf dem Gottes Segen liegt. Würden sich unsere Kosten, wohlgemerkt ohne dass wir Mittwoch für Mittwoch erscheinen würden, innerhalb eines Jahres unvorhersehbarerweise um ein Viertel erhöhen, wären wir nämlich pleite. Obwohl wir eindeutig NICHT das am besten gerechnete Projekt der deutschen Zeitungsgeschichte sind.

Dafür überrascht es uns jetzt aber auch nicht, dass Stuttgart 21 ein klein wenig teurer wird, bevor noch ein Tunnel gegraben und ein Stein auf den anderen gesetzt ist. Unsere Leser auch nicht. Nicht einmal die grüne Staatsrätin Gisela Erler, die es auch schon immer gewusst hat– und die 4,5-Milliarden-Volksabstimmung für gut und richtig hält. Also bitte keine Aufregung.

„Auf Stuttgart 21“, hat Claus Schmiedel, der Fraktionsvorsitzende der SPD im baden-württembergischen Landtag, 2011 im „Wahlkampf“ vor der Volksabstimmung über Stuttgart 21 auf einer Veranstaltung der Projektbefürworter gesagt, „liegt der Segen Gottes.“ Seither weiß der gelernte Berufsschullehrer Schmiedel, was ein Shitstorm ist. Und überall im Internet ist er nur noch der Trollinger-Claus oder der Weizen-Schmiedel. Mag an der guten Durchblutung liegen, die zuverlässig Schmiedels Nase und Wangen röten, dass ihm so übel mitgespielt wird, aber dass er vier Viertele intus hatte, als ihm der Spruch rausgerutscht ist, halten Insider für eine niedrige Schätzung.

Dabei war dieser Schmiedel mal einer: Oppositionsführer im Stuttgarter Landtag! Begnadeter Debattenredner! Wie der den Mappus rundgemacht hat! Allerdings ist die SPD seit der Landtagswahl 2011 nur noch die drittgrößte Fraktion, und als Chef derselben hat Schmiedel einen Shitjob: schönreden, was die SPD als Regierungs-Koalitionär so macht, und Stuttgart 21 verteidigen. Weil's bei Ersterem nicht viel zu tun gibt, gibt Schmiedel gern bei Zweiterem Laut. Vorwärts, sagt er dann als guter alter Sozialdemokrat, und die Schlote müssen rauchen!

Und prompt hat ihn, als es dieser Tage dann mal wieder wirklich drauf ankam, vielleicht nicht der Segen, aber immerhin eine göttliche Eingebung ereilt, denn während alle Welt über die zusätzlichen Milliarden spekulierte, die es kosten wird, Stuttgart 21 zu bauen, machte Claus Schmiedel endlich wieder mal Schlagzeilen mit einer Auskunft, die er tatsächlich auch weltexklusiv hatte: Drei Milliarden Euro werde es die Deutsche Bundesbahn kosten, aus dem Projekt auszusteigen, und zwar „für nichts“, also brauche sich keiner der Hoffnung hinzugeben, dass womöglich doch nicht gebaut wird.

Nicht, dass ihn jene lokalen Medien, die das weiterverbreiteten, auch gefragt hätten, wie er auf eine solche Zahl kommt. Nicht, dass der Landesregierung irgendwelche neuen Zahlen vorgelegen hätten. Nicht, dass die Bahn bereits ihre alten Zahlen nach oben korrigiert gehabt hätte. Schmiedel kann das ganz allein selber ausrechnen, so wie vier Viertele allemal und unbestritten eins mehr sind als drei. Und vier Viertele haben, rechnet so ein Schmiedel, oder sie nicht haben, macht ja schon einen Unterschied von acht!

Die SPD ist 149 Jahre lang ganz ordentlich nicht nur ohne Leute wie Schmiedel, sondern auch ohne den Segen Gottes ausgekommen. Und immer, wenn sie Letzteren gebraucht hätte, hat sie ihn nicht gehabt. Große Männer haben deswegen für die gute Idee im Gefängnis gesessen oder ihr Leben gelassen. Verdammt lang her.

Die SPD in Stuttgart sei an einem „programmatischen, personellen, intellektuellen Tiefpunkt angelangt“ haben dieser Tage die Alten Herren Siegfried Bassler, Peter Conradi und Roland Ostertag ihre Partei-Oberen in einem gemeinsam unterzeichneten offenen Brief wissen lassen. Alle drei wahrlich nicht irgendwer in der Partei. Und sie haben noch schlechtere Zeiten prophezeit, als eh schon sind, wenn die SPD in Stuttgart bei einer OB-Wahl gerade noch 15 Prozent schafft: weil der Wähler keiner Partei vertraue, deren Vertreter „am katastrophalen Bahnprojekt Stuttgart 21“ festhalten.

Nächstes Jahr wird die SPD 150. Das wird auch in Stuttgart groß gefeiert. Der Rechenkünstler Claus Schmiedel wird rotbackig und frohgemut anstoßen drauf und eine große Rede halten. Und warum eigentlich nicht gleich droben auf dem Bahnhofsturm mit Blick auf die „Baustelle“, denn schließlich muss es vorwärts gehen, und die Schlote müssen rauchen.

Nächstes Jahr wird die SPD also weiterhin die beste Urlaubsvertretung sein, die sich die CDU nur wünschen kann. Die musste sich, Schmiedel sei Dank, vor der heutigen DB-Entscheidung gar nicht den Mund verbrennen. CDU-Chef Hauk konnte intelligent schweigen. Mehr als Claus Schmiedel hätte er auch weder sagen können noch wollen.

Nächstes Jahr werden Bassler und Conradi und Ostertag, wenn sie es hoffentlich erleben, zusammen 165 Jahre lang Mitglied in der SPD sein. Und sie werden es immer noch besser wissen.

Nächstes Jahr wird noch immer kein Tunnel gebohrt und kein Stein auf den anderen gesetzt sein, aber das Bahnprojekt, auf dem Gottes Segen liegt, wird wieder 'ne Milliarde mehr kosten.

Nächstes Jahr, so viel ist sicher, wird es die Kontext:Wochenzeitung immer noch geben.

Mit Gottes Segen. Aber auch ohne.

PS: Claus Schmiedel wird gewiss große Freude am eigenen Gutachter haben. Der Verfassungsrechtler Joachim Wieland gilt als Vater der Volksabstimmung, nachdem er für die SPD das Modell entwickelt hatte. Und Wieland sagt nun Kontext-Autor Hermann G. Abmayr: „Nachdem sich jetzt erwiesen hat, dass die 4,5 Milliarden Euro um einen erheblichen Milliardenbetrag überstiegen werden, ist die Regierung Kretschmann nicht mehr an die Volksabstimmung gebunden.“