piwik no script img

Mach's noch einmal, Neil

taz-Serie LetzTer Sommer (1) Mit dem heutigen Konzert macht Songwriter und Gitarrist Neil Young das Dutzend seiner Berlin-Auftritte voll. Für seine Fans weht dann schon ein Hauch von Abschied über die Waldbühne

von Plutonia Plarre

Hey, hey, my my …

Er ist wieder da. Heute Abend in der Waldbühne tritt Grandmaster Neil Young mit der Band „Promise of the Real“ auf: sein 12. Gastspiel in Berlin. Die langen Haare sind grau und schütter geworden, unterm T-Shirt des einstmals Schlanken wölbt sich ein Bauch. Aber wenn er auf unnachahmliche Weise hoch und nölig zu singen beginnt und seine E-Gitarre kreischen lässt, zählt nur noch die Musik.

Auch mit 70 zieht Neil Young immer noch großartige Konzerte ab. Und selbst wenn es mal nicht so ist: Das Publikum sieht es ihm nach. Viele sind ergraut wie er und haben ihre besten Jahre hinter sich. Seit den 60er Jahren hat Young mit vielen Bands gespielt – von Buffalo Springfield über Crosby, Stills and Nash bis Crazy Horse –, seine Musik hat seine Anhänger durchs Leben begleitet. Und so steckt in jedem Liveauftritt auch ein bisschen Wehmut: Es könnte ja der letzte Sommer sein, in dem er einen beglückt. „So ist das nun mal, wenn man älter wird“, sagt Michael. Der 67-jährige Illustrator ist schon lange Fan. „Man hat nicht mehr das Gefühl des Unendlichen, dass alles noch vor einem liegt“.

Singen gegen Trump

Es war 1978 im Cow Palace von San Francisco, wo Michael zum ersten Mal Neil Young live erlebt hat. „Ein Wahnsinnskonzert“, schwärmt er. Von dem Auftritt im Rahmen der „Rust Never Sleeps“-Tournee gibt es auch einen Film. Was Young in Michaels Augen auszeichnet, ist, dass er seit 45 Jahren ununterbrochen Musik macht und das in ganz unterschiedlichen Richtungen. „Ein echtes Gesamtkunstwerk“.

Rock and roll is here to stay

It ’s better to burn out

Than to fade away

Songwriter, Sänger und Instrumentalist, Rock ‘n‘ Roll, Country und Folk, Punk, Heavy Metal, Jazz, Psychedelic – „er brennt die Genres ab wie ein Präriefeuer“, heißt es im Vorwort zu Youngs Autobiografie, die 2012 erschienen ist. Er hat 37 Alben und 16 Liveplatten veröffentlicht. Die neueste Scheibe, „Earth“, ist seit Juni auf dem Markt. Der Althippie hat Hunderte von Konzerten gegeben, ohne von seiner politischen Grundhaltung abzurücken. Früher schrieb er Protestsongs gegen Nixon und Bush, heute legt er sich mit Donald Trump, der Musikindustrie und dem Saatguthersteller Monsanto an. So, wie er schon 1988 sang: Ain’t singin’ for Pepsi / Ain’t singin’ for Coke / I don’t sing for nobody / Makes me look like a joke / This note’s for you.

Fan Michael drückt es so aus: Neil Young sei sich treu geblieben, er schielte nicht auf Hits. „Er hat Haltung statt Attitüde. Wenige Musiker haben so eine Authentizität wie er“. Wenn Mick Jagger heute „I can’t get no satisfaction“ singe, wirke das wie eine Farce.

Neil Young wurde 1945 in Kanada geboren. Als Sechsjähriger starb er beinahe an Kinderlähmung, sein leicht hinkender Gang rührt daher. 1970 erwarb er in den Bergen von San Francisco die „Broken Arrow“-Ranch, dort lebt er bis heute. Die beiden Söhne, Zeke und Ben, kamen behindert zur Welt. Von seiner Frau Pegi Morton, mit der er 36 Jahren zusammenlebte, trennte er sich 2014. Young hat eine Obsession für Straßenkreuzer aus den 50ern. Er versucht die Oldtimer energiesparend umzurüsten, einer ist ihm dabei abgebrannt. Er ist passionierter Modelleisenbahner und arbeitet an einem neuen digitalen Musikformat – PureTone –, weil ihn die schlechte Musikqualität im Netz ärgert – auch dazu gibt es einen Song: Don’t want my mp3 / … / When you hear my song now / You only get five percent / You used to get it all. („Driftin’ Back“)

Im Unterschied zu den USA und Großbritannien kam seine Autobiografie „Waging Heavy Peace“ bei den deutschen Rezensenten weniger gut an. Das liegt sicher nicht nur an der schlechten Übersetzung. Young habe unangenehme Erfahrungen ausgeblendet, fokussiere nur die Sonnenseiten seines Lebens, schrieb die taz. Unerwähnt bleibe seine Bekanntschaft mit Charles Manson, der 1969 in Hollywood mit seiner Sekte die Schauspielerin Sharon Tate ermordete. „Schülerzeitungsnivau“, urteilte Zeit. Young leide „an den Kollateralschäden seiner Lieblingsdrogen: er Unschärfe des Kiffers und der Selbstüberschätzung des Koksers.“

2005 kostete ein Hirnaneurysma Young fast das Leben. An den Platten, die der Musiker seit seiner Genesung herausbringt, wurde eine „neue Entschlossenheit“ festgestellt. „Zum Leidwesen der Kritiker oder der gewöhnlichen Fans auch eine Unbekümmertheit, ein Hang zum Experiment, durchaus zum Trash, zum schnell Hingeworfenen, Hauptsache, es trägt dich fort, Hauptsache der Sound stimmt, überhaupt eine unglaubliche Eile“, schrieb Navid Kermani in der Zeit. Kermani schrieb 2013 „Das Buch, der von Neil Young Getöteten“. Er erzählt darin, wie er seiner neugeborenen, unter Blähungen leidenden Tochter Youngs Musikzur Beruhigung vorspielt. Man könnte auch sagen, es handle sich um eine Reise von Vater und Tochter durch den Kosmos des kanadischen Musikers.

Es war Sommer ...

... zum letzten Mal im Leben. Manches wird nächsten Sommer nicht mehr das sein, was es diesen noch ist. Es wird abgebaut, abgerissen, ausgelöscht, überbaut, wegrationalisiert, umgestaltet, neu belegt, gestorben oder schlicht weggegangen. Klar, ganz genau weiß man das nie in dieser Stadt, in der Interim zum Dauerzustand werden kann und Menschen nur gehen, um doch wiederzukommen. Sicherheitshalber aber statten wir einen letzten Sommerbesuch ab. Mit Wehmut oder mit Erleichterung.

Sie kennen auch so einen Ort, der mutmaßlich seinen letzten Sommer erlebt? Schreiben Sie uns, wir würdigen ihn: letztersommer@taz.de

Out of the blue

and into the black

They give you this,

but you pay for that

And once you‘re gone,

you can never come back

When you ’re out of the blue

and into the black.

Kein Plastik backstage!

„Die Songs über Lie- besschmerz packen einen fast physisch“

Michael, Fan

Neil Young ist Vegetarier. Für seine Tournee, das gilt auch für den Auftritt in der Waldbühne, gibt es klare Vorgaben für den Backstage-Bereich: keine Plastikflaschen, nur Bio-Essen. Auf dem neuen Live-Album „Earth“ kritisiert Young die Massentierhaltung. Es handelt sich um einen 98-minütigen, von Tierstimmen unterlegten Zusammenschnitt der Monsanto-Tour 2015 durch die USA. Schon da war Young mit „Promise of the Real“ unterwegs. In der Indierock-Band aus Los Angeles wirken Lukas und Micah Nelson mit, Söhne von Country-Rebell Willie Nelson. Von den jungen Nelsons zeigt sich Neil Yopng begeistert. „In ihnen brennt die Flamme. Sie haben es in ihren Knochen und ihrer Seele. Man muss ihnen nichts beibringen“.

Einen seiner berühmtesten Songs hat Young seinem früheren Mitgitarristen von „Crazy Horse“ gewidmet: „I’ve seen the needle and the damage done“. Danny Whitten starb Anfang der 70er Jahre an einer Überdosis Heroin. Young selbst ist ein Absturz in diese Abhängigkeit erspart geblieben. Marihuana indes begleitet ihn seit seiner Jugend. In seinem Buch erzählt er zwar, dass er 2011 auf Anraten seines Arztes mit dem Kiffen und Trinken aufgehört habe. Aber das war nur eine Episode. „Mittlerweile rauche ich wieder wie früher,“ bekannte Young unlängst in einem Interview.

Bekifft Musik zu hören sei immer ein intensiveres emotionales Erlebnis, bestätigt Fan Michael. Gerade bei Youngs Stücken: „Seine Songs über Liebesschmerz packen einen fast physisch. Wenn man sich selbst in dem Zustand befindet, hat man das Gefühl, der Mann weiß, wovon er singt“.

Um noch mal auf das Bild vom letzten Sommer für Young und seine gleichaltrige Fangemeinde zurückzukommen: Am besten beschreibe wohl das Phänomen des „Indian Summer“ die Befindlichkeit von Young und seiner Fangemeinde, meint Michael. „Das findet man selten, dass einen jemand über so lange Zeit musikalisch begleitet und immer noch was erzählen kann“. Es gibt übrigens noch Karten.

Hey hey, my my

Rock and roll can never die.

Neil Young & Promise Of The Real, heute um 19.30 Uhr in der Waldbühne (Einlass 17.30 Uhr)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen