: Rüge für das Reich der Mitte
CHINA Den Haag hat entschieden: Chinas Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer sind unrechtmäßig. Zu einer Entspannung in der Region dürfte das Urteil nicht führen
von Felix Lee
Als dann das Urteil tatsächlich verkündet wurde, spulte Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua dieselben Argumente der vergangenen Wochen und Monate ab: Der Ständige Gerichtshof habe sich zu politischen Zwecken der USA instrumentalisieren lassen, er habe sich in die inneren Angelegenheiten eingemischt und damit die Souveränität Chinas verletzt. Und er sei gar nicht zuständig. Das Außenministerium in Peking nannte das Urteil wenige Minuten nach Bekanntgabe „null und nichtig“. Die Volksrepublik werde die Entscheidung weder „akzeptieren noch anerkennen“.
Doch der Richterspruch lautete klar: China verstößt gegen internationales Seerecht. Das Gericht befand, „dass es keine rechtliche Grundlage dafür gibt, dass China historische Rechte in den Seegebieten beansprucht, die innerhalb der Neun-Punkte-Linie fallen“, urteilte das fünfköpfige, international zusammengesetzte Schiedsgremium.
China habe sich zudem in die philippinische Fischerei und Ölförderung eingemischt, künstliche Inseln errichtet und seine eigenen Fischer nicht am Fischfang in dem Gebiet gehindert. Mit Bauarbeiten und Aufschüttungen habe es außerdem dem Ökosystem vor den Küsten der Philippinen irreparable Schäden zugefügt. Das Land habe ganz eindeutig „die Souveränitätsrechte der Philippinen in deren exklusiver Wirtschaftszone verletzt“, heißt es in dem Urteil. Es handelt sich um das erste internationale Urteil in dem seit Jahrzehnten schwelenden Streit.
Die chinesische Führung beansprucht quasi das gesamte Südchinesische Meer, das mit einer Fläche von über drei Millionen Quadratkilometern bis an die Küsten Vietnams, Indonesiens, der Philippinen und Malaysias reicht. China führt seinen Rechtsanspruch auf Karten zurück, die bis in das 15. Jahrhundert reichen. Schon in den 40er Jahren hatte die damalige chinesische Regierung neun Striche in ihre Karten gezeichnet, die diese Grenzen markieren sollen. Doch unter Mao sah sich die völlig verarmte Volksrepublik nicht in der Lage, diese Ansprüche auch wirklich geltend zu machen.
Erst im Zuge des wirtschaftlichen und infolgedessen auch militärischen Aufstiegs der vergangenen Jahre fühlt sich China nun stark genug, das riesige Territorium militärisch abzustecken. Dies betreibt es derzeit auch ganz massiv. Satellitenaufnahmen der US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies des vergangenen Jahres zeigen, wie Dutzende mit Baggern beladene Frachter unermüdlich Sand und Schutt auf Korallenriffe rund um die Spratly genannte Region unweit der philippinischen Küste kippen, den Schutt mit Beton befestigen und damit neue Inseln schaffen. US-Flottenadmiral Harry Harris sprach regelrecht von einer „Großen Mauer“, die China derzeit im Südchinesischen Meer errichte.
Das erzürnt nicht nur die Philippinen. Auch Vietnam, Malaysia, Brunei, sogar das mehrere tausend Kilometer entfernte Indonesien protestieren gegen Chinas aggressive Territorialpolitik. Die Philippinen wagten es 2013 unter dem damaligen Präsidenten Benigno Aquino, sich an den Ständigen Gerichtshof in Den Haag zu wenden, und reichten ein Schlichtungsverfahren gegen China ein. Peking reagierte prompt mit Wirtschaftssanktionen.
Im Streit mit Vietnam kommt es sogar immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Bewaffnete Fischer und die chinesische Küstenpatrouille drängen in die umstrittenen Gebiete und überfallen vietnamesische Fischer. Am Wochenende haben nach vietnamesischen Angaben zwei chinesische Schnellboote ein Fischerboot nahe den ebenfalls umstrittenen Paracel-Inseln versenkt. Die Vietnamesen hätten erst sieben Stunden nach dem Angriff gerettet werden können.
Was? Der Ständige Schiedshof in Den Haag, 1899 bei der ersten Friedenskonferenz gegründet, ist die älteste überstaatliche Instanz zur Schlichtung völkerrechtlicher Streitfälle.
Wie? Die Verhandlungen werden oft hinter verschlossenen Türen abgehalten. Bis zu fünf Schiedsrichter verhandeln die Fälle. Obwohl die Schiedssprüche rechtlich bindend sind, gibt es keine exekutiven Verfahren, die ihre Umsetzung erzwingen.
Problem? China lehnt den Schiedsspruch ab, mit dem Argument, er dürfe nicht über Souveränitätsfragen urteilen. (afp)
Doch auch die USA verfolgen ihre Interessen im Südchinesischen Meer. Nach außen hin stellt sich Washington hinter die kleinen Staaten und vertritt den Standpunkt, dass es sich um internationale Gewässer mit Zugang für alle handle. Tatsächlich aber rüsten auch die USA in der Region militärisch massiv auf. Anders als den Anrainerstaaten geht es den Amerikanern nicht so sehr um die reichen Fischbestände und die vermuteten Gas- und Ölreserven dort. Durch das Südchinesische Meer führt die inzwischen wichtigste Wasserstraße der Welt. Wer diese Region beherrscht, hat unmittelbar Einfluss auf ein Drittel des Welthandels.
Thomas Eder vom Mercator Institute for China Studies befürchtet, dass Peking neue Inseln bauen und die Militarisierung in umstrittenen Gebieten vorantreiben wird. Zudem könnte es auch eine Luftraumüberwachungszone einrichten. Dies wiederum dürfte die USA noch mehr provozieren. Eder ist sich sicher: Das Urteil aus Den Haag wird den Konflikt im Südchinesischen Meer nicht entschärfen. Im Gegenteil: Aus einem regionalen Problem werde womöglich ein globales.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen