piwik no script img

Der in den Schatten wühlt

Lecture In Performances und Projektionen animierter Bilder wird der Südafrikaner William Kentridge auf dem Festival Foreign Affairs gefeiert. Für ihn fallen die Schatten des Kolonialismus zurück in die Aufklärung

von Katrin Bettina Müller

Willam Kentridge läuft. Er vermisst den Raum mit den Füßen. Er ist der Zeichner, der nur eine Armlänge entfernt das Blatt Papier vor ihm bearbeitet; und er ist der Betrachter, der hinter dem Zeichner steht, ihm über die Schulter blickt und skeptische Anmerkungen macht. Der Mann, der stets weiße Hemden trägt, hat sich im filmischen Bild verdoppelt und einen murrenden, knurrenden Dialog zwischen Künstler und Betrachter inszeniert. „Hier habe ich ein paar Bücher mit Vorlagen“, sagt er als Kentridge, der Betrachter, und schleppt Folianten an. Kentridge, der Mann mit dem Kohlestift, ist nicht amüsiert.

Die Szene ist Teil seiner ersten „Drawing Lesson“, die er am Freitag im Haus der Berliner Festspiele hielt. Für seine Animationsfilme verändert der südafrikanische Künstler seine Zeichnungen oder Papierfiguren Frame für Frame, 24 mal für eine Sekunde Film. 24 mal legt er dafür im Atelier den Weg zwischen der Kamera und dem Bild an der Wand zurück. Wie diese zurückgelegte Strecke zu einem Raum des Denkens werden kann, zu einer Lücke zwischen Bild und Betrachter, in die sofort die unterschiedlichsten Erinnerungen und Assoziationen einschießen, oder zu einem Knäuel von Linien, die verschiedene Punkte in der Geschichte miteinander verbinden, davon erzählt er in seinen Drawing Lessons auf unterhaltsame und erhellende Art und Weise.

Das Festival Foreign Affairs, das dieses Jahr zum fünften und letzten Mal stattfindet, hat William Kentridge eine doppelte Bühne bereitet: Im Martin Gropius ist seine Ausstellung „No it is“ zu sehen, und auch dort läuft er in seine Bilder hinein und wieder heraus, treibt Prozessionen seiner Figuren vor sich her und tanzt über Buchseiten. Bewegung ist in allen Formaten seiner Kunst; und deshalb ist Kentridge als Protagonist für das Festival Foreign Affairs wunderbar geeignet, das gerade die Grenzgänger zwischen bildender und performativer Kunst mit größeren Werkzyklen vorstellen wollte. Und obwohl man Kentridge schon oft in Berlin sehen konnte, bietet die Begleitung der Ausstellung mit vielen Aufführungen, wie Live-Konzerten zu seinen Filmen oder den acht Drawing Lessons, eine schöne Gelegenheit zur Vertiefung.

In Kentridges Animationsfilmen sind die Dinge in ständiger Verwandlung: Eine Kaffeekanne kann zur Rakete werden oder zu einem Fahrstuhl, der tief unter der Erde dringt, vorbei an Schlafenden (oder sind es Tote?) bis zu den Minenarbeitern in der Tiefe. Manchmal baut er in seinen Zeichnungen einen ganzen Berg sekundenschnell ab. In den Drawing Lessons erzählt er, wie diese Verwandlungen mit der Bergbaulandschaft um Johannesburg zu tun haben, wo tatsächlich unterminierte Ebenen einbrechen oder Haldenberge wieder abgebaut werden. Und er zeigt, mit Verweis auf seine Kindheit in der Apartheid, eine Weltkarte, auf der er mehr und mehr Länder ausradiert all jene, die Südafrikaner aufgrund des staatlich sanktionierten Rassismus nicht mehr besuchen konnten.

Kentridges Bildergeschichten sind vielfach mit der Gewalt des Kolonialismus und mit der Zeit der Aufklärung in Europa verbunden. In einer Drawing Lesson nimmt er einerseits den Vernichtungskrieg gegen die Herero in Deutsch-Südwestafrika als Referenzpunkt und andererseits Mozarts „Die Zauberflöte“. Kentridge geht davon aus, dass der Optimismus der Aufklärung heute nicht mehr verfügbar sei: „Das koloniale Projekt, das Licht der Aufklärung in den dunklen Kontinent zu bringen, hat Schatten erzeugt, die man nicht mehr loswird.“ Was man heute über die Verbrechen der Geschichte weiß, überlagere rückblickend auch, was dem vorausging. Was theoretisch klingt, übersetzt sich visuell, in den Projektionen aus seinem Atelier, in eine ständige Überschreibung von Bildern. Da ist der Zeichner mit dem Kohlestift einer, der in diesen Schatten wühlt und scharrt und sich in den Tiefen verliert.

Die Melancholie seiner Bilder wird aber von großem Witz begleitet

Die Melancholie seiner Bilder wird aber von großem Witz begleitet. In den Drawing Lessons geschieht dies, indem er auch seine eigenen Haltungen als Posen der Rhetorik aufführt oder unerwartet anekdotisch wird, nie aber bitter. Auch dafür wird er sicher geliebt, in Südafrika, wo er ein Popstar ist, und auch hier, wo das Publikum ihm mit vielen Applaus für seine Lec­tures dankt.

Nachts ab 22 Uhr zieht eine seiner Prozessionen über die großen Fenster am Haus der Berliner Festspiele. Endlos scheint der Zug, Fahnen werden geschwenkt, Menschen am Galgen ziehen vorbei, Schubkarren werden geschoben, Hutmänner und Waffenträger sind dabei. Viele Assoziationen stellen sich ein – an Karneval und an Beerdigungen, an Festumzüge und an Vertreibungen. „Ist es nicht seltsam“, fragt Kentridge in seinen Vorlesungen, „dass die Bilder von Flüchtenden auch heute noch immer die Bilder von Menschen sind, die zu Fuß unterwegs sind?“

Die Figuren seiner Bilder machen einen weiten historischen Raum auf, der sich leicht in Gegenwart und Zukunft verlängert denken lässt. Es kann einem schließlich ganz schwindlig werden, von all dem, was darin herumtreibt. Vielleicht taucht Kentridge, mit seinen inzwischen 61 Jahren, auch deshalb so gerne in seinen Bildern selbst auf, um einen konkreten Punkt zu markieren, um den sich das alles dreht. Er ist ja auch der Magier, der mit seiner Zeichenkohle diesen Wirbel entfacht hat. Und der ihn manchmal auch wieder ausradiert, um von vorne zu beginnen.

Infos zu weiteren Performances von Kentridge und Führungen durch seine Ausstellung auf www.berliner-festspiele.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen