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Liebe ohne Grenzen

STADTTEILTHEATER „Ronja + Julian – Die Reise ins Übermorgenland“ heißt der diesjährige Theaterrundgang auf St. Pauli mit Hobbyschauspielern aus dem Viertel – eine liebevoll-rotzige Geschichte rund um Heimat

von Robert Matthies

Noch sitzt nicht jeder Satz. Aber die Stimmung ist ausgesprochen gut auf dem Bauspielplatz Hexenberg an der Altonaer Königstraße. Das bisschen Nieselregen kann jedenfalls die große Freude nicht trüben. Die spürt man bei jeder und jedem der HobbyschauspielerInnen zwischen elf und 74 Jahren. Nach und nach trudeln sie gut gelaunt zur Generalprobe von „Ronja + Julian – Die Reise ins Übermorgenland“ ein. So heißt der diesjährige Theaterrundgang der Gemeinwesenarbeit St. Pauli (GWA).

Alle zwei Jahre veranstaltet die Stadtteilinitiative ein großes generationsübergreifendes Theaterprojekt im öffentlichen Raum. Mal geht es wie in „Heimspiel. Aus der Tiefe des Viertels“ um Fußball, mal wie in „Fun Park Fiction“ um Gentrifizierung oder in „Magst du Zäune“ um Grenzen. Immer stehen der Stadtteil und seine BewohnerInnen im Mittelpunkt: Mitmachen können alle, die Lust haben.

„St. Pauli ist so oft Bühne für Filme und Events, aber die Bewohner selbst geraten dabei meist aus dem Blick“, sagt Produktionsleiterin Rike Salow. „Dem wollen wir einen authentischen Blick aus dem Stadtteil entgegensetzen.“

Zum ersten Mal gibt es heute Headsets, damit der Auftakt nicht im Straßenlärm untergeht. Während sich die jugendlichen Hauptdarsteller Anna Jungjohann (12) und Rojan Flach (14) wundern, wie laut ihre Stimmen plötzlich sind, bastelt Requisiteurin Tina Erösová noch schnell aus Schokoladenpudding einen Hundekothaufen und steckt einen Stock hinein, damit niemand aus Versehen hineintritt, bevor der seinen großen Auftritt hat.

Es braucht nicht viele Requisiten, um die bunten Holzhütten des Abenteuerspielplatzes in das Dorf des Totenkopfvolkes zu verwandeln, in dessen von starren Traditionen geprägtes Leben plötzlich ein Fremder einbricht. Just vor der Hochzeit der Prinzessin Pepper mit dem Prinzen Paris aus dem Volk der Fischköppe fällt der Junge Julian mit Getöse aus dem Himmel direkt in eine der Hütten.

Der von Kostümbildnerin Heike Hallenga schön trashig mit Bademantel und Astra-Bier-Etiketten-Krone ausgestattete König und sein fieser Gehilfe Wurm wittern ihre Chance: endlich ein Sündenbock! Sie sperren den Fremden ein und schieben ihm eine Waffe unter. Aber eine lässt sich nicht blenden: Ronja, die nur fünf Minuten jüngere Schwester von Prinzessin Pepper, befreit den Jungen.

Gemeinsam machen sie sich, verfolgt vom geheimnisvollen maskierten „Sandmann“, quer durch „Alt Ona“ auf die Suche nach einer neuen Heimat im mystischen „Übermorgenland“, wo die unterschiedliche Herkunft ihrer jungen Liebe nicht mehr im Weg steht.

Eine Horde Zwerge will unter Pegida-Floskeln ihren Blumengarten vor den Fremden schützen

Allerlei märchenhafte Wesen treffen sie auf ihrer Flucht vom Bauspielplatz zum Fischmarkt. Es gibt eine Sammelschnecke, die sie in ihrem Haus schlafen lässt. Ein dubioser Dieb hilft den Flüchtenden zunächst, wird später aber zum Verräter. Eine Horde Zwerge will unter „Wir sind das Volk“-Rufen und allerlei Pegida-Floskeln ihren kleinen Blumengarten vor den Fremden schützen. Und versoffene abgestürzte Superhelden bieten ihre Arbeit als Schlepper an. Am Ende werden die Flüchtlinge erwischt und es wird Gericht gehalten. Ob es ein Happy End oder ein tragisches Finale gibt, darüber stimmen die Zuschauer ab.

Geschrieben hat die liebevoll-rotzige Geschichte rund um die Liebe im und zum Stadtteil und die obskuren Begriffe Heimat und Fremdheit diesmal Kai Fischer vom Hamburger Theater- und Künstlerkollektiv „Die Azubis“. Fischer führt auch Regie: Theater unter freiem Himmel, irgendwo zwischen Dokumentation, Trash und Alltagspoesie, ist zum Markenzeichen des freien Duos geworden. „Willi Tell – Die Axt von Altona“ hieß etwa vor zwei Jahren ihr Freiluft-Stück, das die Geschichte vom Freiheitskämpfer in die vom Autobahndeckel bedrohte Kleingartenkolonie in Bahrenfeld verlegt.

Dokumentartheater mit viel Mut zum Trash und zur Alltagspoesie mit Ecken und Kanten, das sind auch die Zutaten für „Ronja + Julian“. Dass noch nicht alles rund läuft an diesem vorletzten Probentag, das mag man den Hobbyschauspielern deshalb auch nicht nachtragen. Ganz im Gegenteil: Was dieser bunte Haufen in nur einem Monat auf die Beine gestellt hat, ist beeindruckend.

So, 3. 7., 19 Uhr, Bauspielplatz Hexenberg, Königstraße 11. Weitere Aufführungen: 8. 7., 9. 7., 15. 7. und 17. 7., je 19 Uhr, Infos auf www.gwa-stpauli.de

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