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Hoffnung für zwei Tage

Aussenpolitik Mitten in der Wiederannäherung der Türkei an Israel und Russland explodieren die Bomben

ISTANBUL taz | Erstmals nach vielen Monaten der Horrormeldungen hatte es Anfang der Woche in der Türkei wieder Anlass zu Hoffnung gegeben. Am Montag meldeten die Nachrichtenagenturen zunächst, die türkische Regierung habe sich mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nach jahrelanger Eiszeit endlich wieder auf den Austausch von Botschaftern und den Beginn einer Normalisierung der Beziehungen geeinigt.

Bis Dienstag früh wurde es noch besser: Präsident Recep Erdoğan war über seinen Schatten gesprungen und hatte sich bei dem russischen Präsidenten Wladimir Putin für den Abschuss des russischen Kampfflugzeugs an der syrisch-türkischen Grenze im November entschuldigt. Eine Wiederannäherung an Russland scheint auf den Weg gebracht. Gestern telefonierten beide Präsidenten nach Monaten der Sprachlosigkeit wieder. Anschließend kündigte Putin die rasche Aufhebung der gegen die Türkei verhängten Sanktionen an.

Beides zusammen genommen machte Hoffnung, dass sich die Erdoğan-Administration nach Jahren einer zunehmend aggressiven, islamisch-ideologischen Außenpolitik, die sie weltweit nahezu isoliert hat, endlich wieder auf etwas Pragmatismus besinnt und beginnt, ihre Beziehungen zu den wichtigsten Nachbarn neu zu ordnen. Pragmatismus nach außen, so hofften die Ersten bereits wieder, könnte vielleicht auch etwas Pragmatismus nach innen mit sich bringen.

Keine zwölf Stunden später detonierten die Bomben am Flughafen. Sofort wurde in den sozialen Medien gefragt: Gibt es einen Zusammenhang mit der möglichen Aussöhnung mit Russland? Ein direkter Zusammenhang scheint schon deshalb ausgeschlossen, weil solche Terroranschläge ja nicht von einen Tag auf den anderen durchgeführt werden. Doch welche Bedeutung hat der Terroranschlag in Istanbul tatsächlich für den neuen Kurs der türkischen Außenpolitik?

So zynisch es scheinen mag, der Terror könnte eine Einigung mit Russland sogar voranbringen. Erdoğan und seine Regierung haben den IS in Syrien aus kurzfristigen antikurdischen Interessen, wenn nicht unterstützt, so doch zumindest geduldet. Doch das Monster, das sie mit erschaffen haben, ist ihnen längst über den Kopf gewachsen. Jetzt versucht die türkische Polizei vergeblich, die Untergrundstrukturen des IS in der Türkei auszuheben, doch für jeden Verhafteten sickern aus Syrien neue Leute ein.

Die türkische Regierung kann den IS nur zurückdrängen, wenn sie sich in Syrien mit den anderen dortigen Akteuren arrangiert. Eine Annäherung an Russland kann da hilfreich sein. Hinter den Kulissen wird über eine Abgrenzung der Interessen in Syrien diskutiert; so könnten auch die Voraussetzungen für eine bessere Bekämpfung des IS geschaffen werden. Wenn Erdoğan noch Zweifel hatte, ob der IS wirklich der Hauptfeind ist, dürfte ihm der Terroranschlag am Flughafen Atatürk eine wichtige Erkenntnis vermittelt haben. Jürgen Gottschlich

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