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„Wir brauchen Ankunftsorte in den Städten“

Heimat Was kann die Architektur tun, damit aus Geflüchteten Bürger werden? Und wie werden aus den Ghettos von gestern die Arrival Cities von morgen? Ein zeozwei-Gespräch mit dem Biennale-Architekten Peter Cachola Schmal

In der Nachbarschaft: Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main und Kurator des Deutschen Pavillons auf der Architekturbiennale Venedig 2016, fotografiert von Anja Weber. Schmal ist der Mann mit Brille in der Mitte   Foto: Anja Weber

INTERVIEW Arno Frank

zeozwei: Herr Schmal, warum ist die Flüchtlingskrise ein Thema für die Architektur?

Peter Cachola Schmal: Weil dieses Thema sehr viel bewegt. Ganze Regierungen werden abgelöst, Länder machen unglaubliche Sachen. Es sprengt vielleicht sogar die EU. Also, wenn das nicht ein machtvolles Thema ist!

Mit Ihrem Team verantworten Sie den deutschen Beitrag auf der Biennale 2016. Diese Bien­nale steht unter dem Motto „Reporting from the Front“. Berichten Sie also von der Heimatfront?

Es gibt sogar zwei Fronten. Die erste Front, das sind die Flüchtlingsunterkünfte. Kein anderes Land in Europa – außer den direkten Nachbarn der Krisenherde – hat so viele Flüchtlinge aufgenommen. Wie also bringt Deutschland eigentlich Hunderttausende von Fremden unter? Eine gute Frage.

Ihre Antwort?

Wir beantworten diese Frage, indem wir auf unserer Webseite die verschiedenen aktuellen baulichen Lösungen dokumentieren.

Und die andere Front?

Wir berichten aus Deutschland als einem Land, das ein Einwanderungsland geworden ist, aber nicht dazu stehen kann. Was wir dokumentieren, sieht vielleicht nicht alles super aus, nicht alles funktioniert einwandfrei. Aber für die Einwanderer sind diese Ankunftsorte sehr wichtig. Das ist der entscheidende Perspektivwechsel, zu dem Doug Saunders aufruft …

… der Sie zu Ihrem Motto inspiriert hat und in seinem Buch „Arrival City“ erklärt, vom Umgang mit massenhaftem Zuzug in die Städte hinge unsere Zukunft ab.

Er sagt: Schaut nicht von der Stadt auf diese Viertel. Schaut von den Bewohnern auf diese Viertel, und ihr werdet feststellen: Das ist ein Sprungbrett nach oben, die Leute verlassen diesen Ort nach zwei, drei Jahren wieder. Wenn sie aufsteigen, kommen andere arme Migranten an und fangen wieder bei null an. Solche Orte sind sehr wichtig. Wenn es sie nicht gäbe, hätten diese Menschen ein Problem.

Es sind also transitorische Orte?

Nein, es sind transitorische Bewohner!

Sie lachen!

Ja, denn die Orte bleiben.

Als Behälter, wie China Town oder Little Italy in New York?

Die heißen dann heute Offenbach-Nordend oder Berlin-Lichtenberg …

wo mit dem Dong Xuan Center gerade eine der Lagerhallen in Flammen aufgegangen ist.

Ja, das ist ein Ort der informellen Wirtschaft. Da wurde das eine oder andere Auge zugedrückt, weil es den Einwohnern informelle Möglichkeiten eröffnete. Wie wir wissen, gibt’s dann auch Nachteile. Die informelle Wirtschaft hat positive und negative Seiten. Jetzt werden manche sagen: Da sieht man es wieder, hätten sie die Brandschutzverordnung ernst genommen, wäre nicht passiert, was passiert ist! Andererseits ist auch der Düsseldorfer Flughafen abgebrannt – bei mutmaßlich vorschriftsmäßigem Gebrauch. Beim Dong Xuan Center stellen wir die positiven Seiten dar.

Nämlich?

Die vietnamesischen Händler fahren nicht gerade in winzigen Autos herum, das Geschäft scheint also gut zu funktionieren.

Was ist von der Idee zu halten, die schrumpfenden oder verfallenden Dörfer auf dem Land mit Zuwanderern zu bevölkern?

Es sind vielleicht die Einwohner aus einem Dorf in Nordhessen oder in Mecklenburg-Vorpommern verschwunden – nicht aber die Gründe, derentwegen sie weggezogen sind. Wenn wir dort jetzt 200 Syrer reinstecken, werden diese das ebenso wenig schaffen. Es sei denn, wir wollen diese 200 Menschen die nächsten 30 Jahre unterstützen. Ein Einwanderungsland würde so etwas nicht machen.

Wir wollen ja kein Ghetto.

Das ist unser großes Credo.

Die Migrationsforschung hat nun aber festgestellt, dass es Einwanderer dort hinzieht, wo schon ihresgleichen sind …

Das passiert hier auch die nächsten Jahre. Wer das Mittelmeer überquert und ganz andere existenzielle Krisen überstanden hat, warum soll der sich von einer Verwaltungsvorschrift wie der Residenzpflicht binden lassen? Er wird sich entziehen und verschwinden. Dahin, wo schon der Onkel sitzt oder die Tante, also in ehemalige Industriegebiete an der Ruhr, um Stuttgart herum, im Rhein-Main-Gebiet. Es gibt bereits Konzentrationen, die niemand gesteuert hat. Daraus ergeben sich automatisch „Arrival Cities“ – ob die Städte das wollen oder nicht.

Was können denn die Städte tun?

Diesen Prozess nicht behindern. Anerkennen, dass es so etwas überhaupt gibt. Und fördern, damit positive Entwicklungen entstehen. Es ist besser, als das Problem zu ignorieren, bis es explodiert. Wie es im Brüsseler Stadtteil Molenbeek explodiert ist.

Was könnte man stadtplanerisch tun?

Peter Cachola Schmal

Jahrgang 1960, ist Architekt und Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main. Er verantwortet den deutschen Beitrag der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig: „Making Heimat. Germany, Arrival Country“. Geboren in Altötting, die Mutter stammt von den Philippinen, der Vater aus München. Cachola Schmal lebt heute mit Frau und drei Kindern in einem innerstädtischen Ankunftsviertel „mit schlechtem Ruf“ in Frankfurt.

Nachverdichten, um zu verändern. Er gibt erste Ansätze dazu, die Viertel aus den sechziger oder siebziger Jahren so zu verändern, dass nicht nur Migranten dahinein ziehen wollen. Wie können wir zulassen, dass dort reger Handel und Wandel ist? Wie sind die öffentlichen Verkehrsmittel? Gibt es Studios für Kreative, billige Mieten? Damit wir eine Mischung aus angesagt, billig und lebendig bekommen. Dass ist möglich. Und es wird passieren. Das Problem ist nicht neu. Der Architekt Vitruv schreibt über das antike Rom: „Da nun bei einer solchen Masse von Einwohnern das vorhandene Bauterrain den Wohnzwecken nicht mehr genügen konnte, so zwang die Not, die Errichtung mehrstöckiger Bauten einzuführen.“ Rom war nicht so klein, und sie hatten auch schon Miethaie. Nur: wenn man damals draußen wohnte, wohnte man außerhalb des Schutzes. „Extra muros“ hatte den Nachteil, dass da draußen die Gefahr lauerte, beispielsweise Diebe.

Kann denn die Architektur zur Lösung solcher politischen Probleme beitragen?

Natürlich! Schon in den sechziger Jahren träumten junge Architekten davon, wie Städte herumlaufen, aufeinandergetürmt werden … wieso träumt das niemand heute? Ich denke, das wird passieren.

Was wir jetzt haben, ist eine Besetzung des öffentlichen Raumes durch Flüchtlinge in den Zentren. In Paris lebten sie in ambulanten Siedlungen unter einer Hochbahntrasse, auf dem Weg vom Frankfurter Bahnhof hierher zum Museum sah ich Familien, die auf Schaumgummimatratzen auf dem Wiesenhüttenplatz lagern …

Die wirtschaftlichen Chancen in der Innenstadt sind größer. Sei es illegal, sei es durch Betteln, was auch immer. Und dann wird am Mainufer unter den Brücken geschlafen, weil man in der Innenstadt wirtschaftlich tätig ist. Das wird nicht gerne gesehen. Aber in einem Vorort ist nichts zu machen und nichts zu holen. Deshalb tun sich an allen möglichen Ecken und Enden informelle Schlafmöglichkeiten auf. Im Sommer ist das nicht unangenehm.

Deshalb Verdichtung?

Ja. Oder die anderen Viertel gut anschließen.

Das sind enorme Investitionskosten.

Die sich auf Dauer aber auszahlen!

Wo wohnen Sie eigentlich?

Drei Kilometer von hier in der Frankfurter Innenstadt, hinter der Konstablerwache. Vor Kurzem wohnte ich noch in Offenbach, acht Jahre lang, sehr groß und sehr günstig. Jetzt wohne ich in einem Ankunftsviertel mit schlechtem Ruf, was große Vorteile hat hinsichtlich der Kosten.

Das komplette Interview mit Peter Cachola Schmal lesen Sie in der neuen zeozwei: „Hallo, Nachbarn“.

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