Parlamentswahl in Spanien

Stärkste Partei bleiben die Konservativen. Das Linksbündnis um Podemos erreicht nicht sein Ziel und wird nur drittstärkste Kraft

Die Angst vor den Linken ging um

Ergebnis Die Konservativen haben es geschafft, ihre Stammwähler zu mobilisieren und Stimmung gegen die „Radikalen“ zu machen

Enttäuschte Podemos-AnhängerInnen in Madrid Foto: Andrea Comas/reuters

Aus Madrid Reiner Wandler

„Was ist das? Sind das die Bösen?“, fragte der konservative spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy erschrocken, bevor er auf den Balkon der Zentrale seiner Partido Popular (PP) im Herzen Madrids trat und sah, dass es seine Anhänger waren, die dort unten auf der Straße „Ja man kann!“ skandierten. Das ist eigentlich der Schlachtruf der Bewegungen gegen Sparpolitik, Zwangsräumungen – und vor allem der Slogan der jungen Antiausteritätspartei Podemos. Die Anhänger von Rajoys PP feierten mit diesem Sprechchor ihren Sieg über Spaniens Linke. „Wir haben erneut gewonnen. Es war keine leichte Etappe, oder, besser gesagt, es war eine schwere“, rief Rajoy dann erleichtert der Menge zu.

Der Weg zurück zur PP

Zwar sind die Konservativen weit von einer absoluten Mehrheit entfernt, die sie bis zu den vergangenen Wahlen am 20. Dezember hielten. Aber bei den Neuwahlen am Sonntag erzielten sie 33 Prozent – das sind 4,3 Prozent mehr als noch im Dezember. Die PP zieht mit 137 statt wie im Dezember mit 123 Abgeordneten ins 350 Abgeordnete starke Parlament ein.

Ein Großteil der Zugewinne geht auf Kosten der rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger). Sie konnte im Dezember enttäuschte PP-Wähler an sich ziehen, die jetzt den Weg zurückgefunden haben. Ciudadanos verlor 8 der bisher 40 Abgeordneten und liegt bei 13 statt bisher 14 Prozent.

„Ja man kann!“, rufen auch vor dem Museum für Moderne Kunst, Reina Sofía, keine zwei Kilometer entfernt von der PP-Zentrale Tausende Menschen – trotzig, um sich selbst Mut zu machen. Die hier versammelten Anhänger von Unidos Podemos – dem Wahlbündnis aus der erst zwei Jahre alten Partei Podemos und der kommunistischen Vereinigten Linken (IU) – hatten nichts zu feiern. Zwar ziehen sie erneut mit 71 Abgeordneten ins Parlament ein. Doch aus Platz 2 hinter den Konservativen und noch vor der sozialistischen PSOE, wie es die Umfragen vorhersagten, wird es nichts. Zwar erzielte die PSOE mit 22,6 Prozent und 85 Abgeordnete – 5 weniger als im Dezember – ihr schlechtestes Ergebnis, aber Unidos Podemos konnte daraus keinen Profit schlagen. Unidos Podemos verlor im Gegenteil eine Million Stimmen, auch wenn das Verfahren der Sitzvergabe darüber hinwegtäuscht.

„Es ist kein befriedigendes Ergebnis“, erklärte der 37-jährige Spitzenkandidat und Politikprofessor Pablo Iglesias. Was seiner Ansicht nach schiefgelaufen war, darüber gab er in der Wahlnacht keine Auskunft. Unidos Podemos beschränkte sich auf das Abspielen linker Hymnen und darauf, Stärke in der Enttäuschung zu zeigen. „Das macht nichts!“, riefen die Sympathisanten Iglesias zu. „Immer bis zum Sieg“, entgegnete dieser mit geballter Faust.

Dass die PP, durch Hunderte schwerster Korruptionsskandale angeschlagen, sich so deutlich erholen kann, hatte niemand erwartet. Jetzt suchen alle nach Erklärungen. Rajoys „Strategie, den Wahlkampf zu polarisieren (…), funktionierte“, schreibt die größte Tageszeitung des Landes, El País.

Tief gespalten

Spanien ist auch Jahrzehnte nach dem Bürgerkrieg und der Franco-Diktatur tief zwischen rechts und links gespalten. Seit Monaten führt die PP mithilfe der Presse eine groß angelegte Angstkampagne gegen „die Radikalen“ von Unidos Podemos. Die Rentenkürzungen in Griechenland müssen ebenso herhalten wie die Probleme in Lateinamerika, allen voran Venezuela, wo bekannte Podemos-Mitglieder als Berater tätig gewesen waren. Hinzu kommt die Unsicherheit durch den Brexit, der den Endspurt der spanischen Wahlen überschattete.

All das bewirkte, dass die Konservativen ihre Stammwählerschaft mobilisieren konnten wie keine andere Partei. Auch die anderen Parteien kannten im Wahlkampf nur ein Thema: Angst vor Podemos. Das Bündnis mit der kommunistischen IU bot zusätzliche Argumente.

Will Rajoy das mit Brüssel vereinbarte Ziel erreichen, muss er dieses Jahr mindestens 20 Milliarden Euro einsparen

Das neue Parlament, das am 19. Juli erstmals zusammentreten wird, ist trotz leichter Verschiebung nach rechts ähnlich gespalten wie das vom 20. Dezember. Weder Rajoy noch der Spitzenkandidat der Sozialisten, Pedro Sánchez, haben es leicht, eine Mehrheit zu bilden. Anders als nach dem 20. Dezember, als Rajoy nicht vor das Parlament trat, um Regierungschef zu werden, will er dieses Mal allerdings „versuchen, gewählt zu werden, um den Haushalt für 2017 zu verabschieden und um Gesetze zu erlassen und die Verpflichtungen mit der Europäischen Union zu erfüllen“. Rajoy setzt auf eine breite Front gegen die „Populisten“.

Noch zieren sich Sánchez und die Seinen. Nach dem 20. Dezember weigerten sie sich, mit Podemos eine von kleineren, regionalen und nationalistischen Formationen geduldete linke Minderheitsregierung zu bilden. Jetzt hat eine solche Option fünf Abgeordnete weniger und damit kaum eine Chance, vom Parlament abgesegnet zu werden. Bei den Sozialisten verlangt so mancher Regionalfürst und der ehemalige Regierungschef Felipe González eine Stimmenthaltung zugunsten der PP. Falls es Rajoy gelingen sollte, die rechtsliberalen Ciudadanos mit an Bord zu holen, würden ihm nur sieben Stimmen zur absoluten Mehrheit im Parlament fehlen.

„In der zweiten Jahreshälfte, sobald es eine Regierung gibt, sind wir bereit, neue Maßnahmen zu ergreifen“, versprach Rajoy vor wenigen Wochen in einem Brief an EU-Kommisionspräsident Juncker, der von der Presse öffentlich gemacht wurde. Rajoys Regierung verfehlte das von Brüssel gesteckte Defizitziel deutlich. 2015 lag es bei 5,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) statt den vereinbarten 4,2 Prozent. Will Rajoy wie vereinbart 2016 das Ziel von 2,8 Prozent erreichen, muss er dieses Jahr mindestens 20 Milliarden Euro einsparen.

Bereits jetzt ist das Gesundheits- und Bildungssystem schwer von Kürzungen betroffen. 23 Prozent der Spanier sind ohne Arbeit, bei jungen Menschen sind es über 46 Prozent. Nur jeder zweite Arbeitslose bezieht Stütze. Über 22 Prozent der Spanier leben an oder unter der Armutsgrenze. Von der wirtschaftlichen Erholung, die Rajoy immer wieder verkündet, will unten einfach nichts ankommen.

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