Scheiße

ABSCHIED Götz George ist tot. Es bleiben: seine Schimanski-Jacke, seine Kraftausdrücke zur besten Sendezeit und viele Gründe zur Melancholie ▶Nachruf SEITE 11, 20

West in peace: Die von Götz George getragene Jacke des „Tatort“-Kommissars Horst Schimanski im Filmmuseum Düsseldorf Foto: Peter Bischoff/Getty Images

Ein Mann, ein Wort

Er brauchte nur ein Wort, um sein ganzes Wesen hineinzupacken: seinen Ärger über die Welt und die Frauen und das Elend; die Fassungslosigkeit darüber, wie viele Idioten auf dieser Erde wandeln; seinen Lottersex aus Knautschjacke und knackenger Jeans, die immer ein bisschen zu hoch saß. „Scheiße“ – dieses Wort benutzte Götz George als Horst Schimanski so ausdauernd, dass Duisburger Spießer öffentlich Stimmung gegen ihn machten. Es gab im deutschen Film kaum eine aufregendere Stimme als die Georges, rau und zärtlich und ein bisschen verwaschen, und am schönsten war sie, wenn sie aus dem Pott die Weltbühne machte, die er verdient hat. Mit einem einzigen Wort. Johanna Roth

Unser Bruce Willis

Schimanski war Körper. Massig. Bullig. Es gab keinen Schimanski-Film, in dem er nicht erst mal die Tür eintrat. Diese Physis existierte im deutschen Fernsehen sonst nicht. Seine Jacke war absurd eng. Nur gemacht, um die Muskelpakete sichtbar zu machen.

Schimanski war unser Bruce Willis, der sich in einen Autorenfilm verlaufen hatte, in dem sich alles nur um ihn drehte. Er war der proletarische Körperheld im Moment seines Verschwindens. Und immer unsympathisch genug, um nicht im Rau-aber-herzlich-Klischee unterzugehen. Natürlich war er wie alle vitalen Männer ein Kind, das immer ein neues Spielzeug brauchte, um es kaputt zu machen.

Als Schimanski in den 80er Jahren das Ruhrgebiet durchstreifte, war der Aufschwung im Pott lange vorbei, und die Brachen waren noch nicht zu Industriedenkmälern geworden. Es gab Fußgängerzonen und Pommesbuden, Autobahnen und Neubauten, die aussahen, als hätten sie ihre Zukunft schon hinter sich. Bei Schimanski schien die graue Gesichtslosigkeit der Städte unserer Kindheit zu verfliegen. Er verzauberte die Halden, die Bushaltestellen und trostlosen Rauputzfassaden mit Bedeutung. Dafür haben wir ihn geliebt. STEFAN REINECKE

Bis ins Extrem

Das Geräusch schreibt sich in etwa so: „Mpch“. Ein Detail bloß, doch gehört es untrennbar zu Götz Georges Rolle als Skandalreporter Hermann Willié in Helmut Dietls Satire „Schtonk!“ (1992). Dieser Willié, von den Kollegen liebevoll als „schmierig“ bezeichnet, wurde in Georges Verkörperung zu einem Besessenen, aus dem nicht nur die Begeisterung über den vermeintlichen Fund der Hitler-Tagebücher hervorbricht. Dieser Mann ist so getrieben, dass er sich nur mühsam im Griff hat. George markiert das mit einem Laut, der komisch wirkt, weil er irritiert.

Getriebene Figuren lagen diesem Mann, dessen Augen von euphorisch-blitzend bis ausdruckslos-starr blicken konnten. Letztere Qualität setzte er für seinen Part als Serienmörder Fritz Haarmann in Romuald Kamarkars „Der Totmacher“ (1995) ein. Der auf engstem Raum gedrehte Film, für den George die Vernehmungsprotokolle Haarmanns als Text sprach, lebt von der gebündelten Energie dieses Körperschauspielers. „Ich bewege mich innerlich“, so George über seinen Einsatz.

Der größte Spaß und der größte Schrecken – dass er solche Extreme für seine überzeugendsten Auftritte zu meistern wusste, zeichnet Götz George als einen der größten Schauspieler der Nachkriegszeit aus. Tim Caspar Boehme

Volle Kanne Marx

Für Schimmi habe ich mein Studium geschwänzt. Im Studentenwohnheim in Leipzig gab’s kein Westfernsehen, also guckte ich zu Hause in Berlin. Wenn der „Tatort“ vorbei war, fuhr kein Zug mehr. Erst wieder am Montagmorgen, leider zu spät für die Marxismus-Leninismus-Vorlesung. Das Studium im Osten war total verschult und ich sollte jedes Mal erklären, warum ich nicht da war. Kein Problem: Meine Schwester hat ein Kind gekriegt. Oma musste ins Krankenhaus. Rohrbruch, weil jemand ein Schnitzel ins Klo gestopft hatte.

Ich hätte ja schlecht sagen können: Hey, Schimanski in Duisburg, das ist doch wie Oberstleutnant Fuchs in Karl-Marx-Stadt. Das ist volle Kanne Kapitalismuskritik: morbider Charme einer Proletarierstadt, Arbeiterklasse, ganzer Einsatz für die Rechtlosen. Und wie hätte ich Schimmis Prügeleien, Sauftouren und all die Bordelle erklären sollen? Simone Schmollack

Also echt

Mitte der Neunziger bin ich Götz George oft im Hausflur begegnet. Seine Freundin wohnte gegenüber, und es war ein enges Treppenhaus. Wenn er heraufstürmte, kam ich, wenn ich herunterging, schwer an ihm vorbei. Zwei Dinge fielen mir auf. Erstens: seine Lederjacke. Sie war knallgelb damals, mit einem chinesischen Drachen auf den Rücken gestickt. Das war sehr prollig und sehr extravagant – wie später manche seiner Brillen. Zweitens: seine physische Präsenz. Er war ein großes Schnauben (das ich aus seinen Fernsehrollen kannte, auch als Schimanski schnaubte er immer so durch die Nase) und ein vor selbstverständlichem Dasein schier berstender Männerkörper.

Viele Schauspieler sind, wenn man ihnen in der Realität begegnet, überraschend klein, sie verschwinden im Alltag fast, vor der Kamera oder auf der Bühne können sie ihre Präsenz aber anschalten. Götz Georges Präsenz war anders, glaube ich. Sie war da, sie sprühte – und er musste sie vor der Kamera loslassen und kontrollieren zugleich, kanalisieren. Und ich glaube von den Treppenhausbegegnungen her nicht, dass er sie überhaupt abschalten konnte. DIRK KNIPPHALS

Die Jacke

Ich war auch Schimanski. Jahrelang. Zunächst, ohne es selbst zu wissen. Bis irgendwann Freunde riefen: „Da kommt ja der Schimanski.“ Denn ich trug die gleiche Jacke. Nur in kleiner. Mit 15, ohne einen einzigen „Tatort“ gesehen zu haben, da wir gar kein Fernsehen hatten. Ich fand die Jacke einfach cool. So cool, dass ich sie sogar in Ägypten in der Wüste anließ. Die dabei waren, nennen mich heute noch Schimanski. Habe die Ehre! LUKAS WALLRAFF