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Wo sie Süßes ernst nehmen

ZUCKERZEUG 150 Sorten Bonbons stellt die „Bonbonkocherei“ in Eckernförde her – mit Technik aus dem vergangenen Jahrhundert. Das Besondere: Die Kundschaft darf zuschauen, wie gekocht wird und gestanzt

„Süddeutsche mögen es eher fruchtig“: Was Heike Herbst und Hermann Hinrichs an Süßkram herstellen, sind keine bloßen Spaßsorten – „das gebietet schon der Respekt“ Fotos: privat

von ESTHER GEISSLINGER

Wie eine Wolke hängt das Aroma über dem Haus, zieht Spaziergänger in den Laden. Dort wartet ein kunterbuntes Süßigkeiten-Paradies: Bonbons liegen in offenen Fächern, und die Kunden wählen selbst – aus Apfel-Vanille und Chili-Himbeere, „Elchknödeln“ und „Schleswig-Holstein-Sprotten“, einem Bonbon in Fischform und im Blau-Weiß-Rot der Landesfahne. Und jede Menge Lakritz gibt es: „Schleswig-Holstein ist Lakritz-Land“, sagt Hermann Hinrichs, Chef der „Bonbonkocherei“ in Eckernförde, „Süddeutsche mögen es eher fruchtig.“ Aber alle schnuppern, wenn Zwiebelbonbons gemacht werden: „Das riecht“, so Hinrichs, „als hätten wir Schweinebraten im Ofen.“

Vor zehn Jahren gründeten der 52-Jährige und seine Frau Heike Herbst, 55, die kleine Süßwaren-Manufaktur unweit des Hafens des Ostseebades. „Am Anfang glaubten viele, wir würden bestenfalls ein halbes Jahr durchhalten“, sagt Hinrichs. Heute sei der Betrieb „eine ganz besondere Attraktion, die nicht nur Kinderherzen höher schlagen lässt“, schwärmt indes SPD-Ministerpräsident Torsten Albig im Grußwort, abgedruckt in einer Broschüre zum runden Jubiläum. Auch Eckernfördes Bürgermeister Jörg Sibbel spricht von einem „El Dorado für Naschkatzen“. Hinrichs und Herbst freuen sich über das Lob – und den Spaß, den sie immer noch bei Arbeit haben: „Wir tun, was wir lieben, wir gehen mit schönen Dingen um, mit Farben und Gerüchen“, sagt Herbst. „Und die Leute sind glücklich.“

Das Besondere ist, dass die Besucher zuschauen können: Hinter einer Glasscheibe arbeiten die Bonbonkocher – „Fachkraft für Süßwarentechnik“, heißt der Beruf heute. Nicht ganz einfach, entsprechende Mitarbeiter zu finden, sagt Hinrichs: „Einige verstehen ihr Fach, andere sind gute Entertainer. Wir brauchen hier beides.“

Zwiebel zum Lutschen

2006gründeten Hermann Hinrichs und Heike Herbst die „Bonbonkocherei“. Heute gehören 32 Festangestellte dazu, davon 16 geringfügig beschäftigt.

150 verschiedene Bonbon-Sortenwerden im Laden verkauft – von A wie Apfel bis Z wie Zwiebel. Neue Sorten entstehen oft auf Anregung von Kunden.

Bestsellersind die Himbeer-Bonbons

Weder Lampenfieber noch Angst vor Hitze dürfen die Bonbonkocher haben: 150 Grad heiß ist der Grundteig aus Wasser, Zucker und Trauben, wenn er auf dem Kühltisch ausgebreitet wird, direkt vor der Scheibe. Hier arbeiten die Köche dann auch die Zutaten ein: Fruchtaromen, ätherische Öle wie Fenchel oder Salbei, scharfes Salmiakpulver. Die Masse, jetzt noch formbar wie Kuchenteig, wird durch eine Portioniermaschine geschoben. Etwa 60 Grad sollte der Zuckerteig dabei haben: Bei unter 45 Grad wird die Masse spröde und lässt sich nur schwer verarbeiten.

Die Maschine, die per Hand bedient wird, stanzt die Bonbons aus der Teigplatte, die Zuschauer dürfen die noch warmen Bonbons probieren. „Die meisten Leute kaufen dann auch etwas“, sagt Hinrichs. „Und wer gesehen hat, wie viele Handgriffe nötig ist, ist bereit, etwas mehr auszugeben.“

Je nach Walze, die in die Maschine eingespannt wird, sehen die Bonbons wie Muscheln, Fische oder Zitronenschnitze aus. Oder sie tragen ein Kreuzmuster. Die Walzen sind einer der Schätze der Bonbonkocherei: Rund 60 hat Hinrichs aus ganz Europa zusammengetragen, die älteste stammt aus dem Jahr 1928. Eckernförde ist damit einer der wenigen Standorte, in denen noch mit dieser Art Stanzmaschine gearbeitet wird.

Die alte Technik brachte den studierten Maschinenbauer ursprünglich zur Bonbon-Kocherei: Um die Maschinen besser zu verstehen, lernte er die Herstellung der Süßwaren und verkaufte selbstgemachte Bonbons auf Märkten. Auch Heike Herbst verkaufte schon als Kind und Jugendliche eigene Produkte auf Floh- und Wochenmärkten: erst Kerzen, dann Bonbons – der Job finanzierte ihr das Lehramtsstudium.

„Wir haben uns über Bonbons kennengelernt“: Für beide kam ein Umbruch, als sie im Freilichtmuseum Molfsee Bonbon-Herstellung nach alter Tradition vorführten. „Die Leute waren so interessiert, wollten so viel wissen“, erinnert sich Hinrichs. Damit war die Idee der gläsernen Bonbon-Fabrik geboren. Heute gibt es neben dem Bonbon- auch einen Schoko-Laden, auch dort können Besucher bei der Produktion zuschauen. Aber: „Schokolade braucht Geduld“, sagt Heike Herbst. „Darum gibt es weniger zu sehen.“

Dafür umso mehr zu probieren: Pralinen mit Erdbeere und Pfeffer oder Feige-Wodka. „Weder bei Bonbons noch bei Schokolade machen wir Spaßsorten, die einfach nur ungewöhnlich oder extrem schmecken“, sagt Hinrichs. „Das gebietet der Res­pekt vor den Lebensmitteln.“ So ist auch der Zwiebel-Rettich-Bonbon, der auf Anregung einer Kundin zustande kam, ganz ernst gemeint: ein Hustenbonbon, süß und zugleich pikant.

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