Kritik der Woche: Simone Schnase über „Spielfelder“
: Wahlheimat Fußball

Dem Vize-Vorsitzenden der AfD droht der Idiotentest, allerdings leider nicht wegen seiner rassistischen Äußerungen zu Boateng oder weil er bedauert, dass die deutsche Fußballnationalmannschaft ja „schon lange nicht mehr Deutsch“ sei. Die EM ist getrübt durch Gewaltausbrüche von Hooligans, durch Kommentatoren, die verbal kaum besser sind, durch sexistische Entgleisungen gegen Sport-Reporterin Claudia Neumann und den Niedergang des Puma-Qualitätsshirts. Fußball ist Spiegel und Ventil für Vieles – auch in „Spielfelder“ von Ian Watson, wenngleich es hier versöhnlicher zugeht.

„Eine Fußballmigration“ hat der in Bremen lebende Ire sein Buch untertitelt. Der Ballsport ist Dreh- und Angelpunkt, denn hier schreibt ein Fan mit Dauerkarte. Doch Watson zitiert nicht ohne Grund Ror Wolf: „Die Welt ist zwar kein Fußball, aber im Fußball, das ist kein Geheimnis, findet sich eine ganze Menge Welt.“ So steht er auch für zwei Herzen, die in Watsons Brust schlagen: „In beiden Ländern bin ich der Farbe Grün sehr verbunden, denn in Belfast ist es die nordirische Nationalmannschaft, die in der traditionellen Farbe der Insel spielt, in Deutschland der Sportverein Werder Bremen.“

Und, na klar, auch diese Verbundenheit beschränkt sich nicht aufs rein Fußballerische. Watson, der aus Belfast stammt und seit 1972 in Bremen lebt, erzählt vom Irland-Konflikt und seinen Auswirkungen auf den Fußball – und vom Einfluss des Fußballs auf das krisengeschüttelte Irland. Wer sein Buch gelesen hat, begreift zumindest einigermaßen, warum für Irland, Nordirland, Wales und England jeweils eigene Nationalmannschaften spielen – und welche Folgen es haben kann, wenn ein unbedarfter Wurstbudenbetreiber am Weserstadion seinen Stand in Grün-Weiß-Orange schmückt, obwohl Nordirland zu Gast ist.

Er versteht auch die Schwierigkeiten eines Jugendlichen, der im Nachkriegsirland groß geworden ist mit „Blitzkrieg“-Geschichten der Eltern und Filmen über heldenhafte britische Offiziere, die den Deutschen gentlemanlike die Mütze vollhauen – und der nach einem Schüleraustausch am Neckar so begeistert war, dass er Deutsch als Fremdsprache wählte und beschloss, Germanistik zu studieren. Das Unverständnis nicht nur seiner Familie war groß, als Watson nach einem Auslandssemester in Hamburg in Deutschland blieb: „Auch für viele Freunde und Bekannte meiner eigenen Generation, die wie ich mit Kriegsfilmen und anderen Klischees großgeworden waren, blieben Narben und Ressentiments bis in die Siebzigerjahre.“

Watson war Professor für Literaturwissenschaften an der Uni Bremen und schreibt seit vierzig Jahren Gedichte und Essays – für die taz.bremen hat er Ende der 90er-Jahre unterhaltsame-schräge Berichte über Werder geschrieben. In „Spielfelder“ wechselt er in bester irischer Schnack-Tradition zwischen Prosa und Lyrik, Sportberichterstattung, historischen Stücken und persönlicher Lebensgeschichte und ergänzt das Ganze mit Fotos und Illustrationen.

Fußball, so viel wird hier klar, ist seine Ersatzheimat. Aus der betrachtet Watson sowohl sein Geburts- als auch sein Wahl-Land aus sicherer Distanz – und tut das, selbst für Fußball-Desinteressierte, durchaus sehr unterhaltsam.

Ian Watson: „Spielfelder“, Edition Falkenberg, 184 S., 14,90 Euro