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Noch Spielplatz oder schon Sackgasse?

OFF-KUNSTFESTIVAL Hunger, Überfluss, Übersättigung: „48 Stunden Neukölln“ und die beteiligten kleinen Galerien thematisieren Gegensätze zwischen Arm und Reich

Satt? Straßenmusiker am Maybachufer, Sommer 2001 Foto: Jordis Antonia Schlösser/Ostkreuz

von René Hamann

„Satt“ lautet das Motto. Es soll beim offenen Kunststadtfest „48 Stunden Neukölln“, das an diesem Wochenende stattfindet, um „gesellschaftliche Fragestellungen“ gehen, so steht es angekündigt. Um verwandte Begriffe wie „Hunger“, „Überfluss“ und „Übersättigung“, kurz, um die frappierenden Gegensätze zwischen den Wohlhabenden und dem Elend. Aus dem erheben sich die Menschen und machen sich auf den Weg, um zu erkennen, dass dieselbe Spaltung auch hier anzutreffen ist, nur vielleicht nicht ganz so krass. Armut und Reichtum, Migration und Verwaltung, Verantwortung und Egoismus, Konsum und Verzicht: eine Menge binäre Oppositionen, die sich nun daran anschließen lassen.

Was soll das Leitmotiv?

„Satt“ lässt sich auch auf das Festival selbst übertragen. Vielleicht war das beabsichtigt, denn eine Klammer braucht die Kunst. Ein Leitmotiv, das sich durch die zwei Tage und die beteiligten Kleingalerien zieht. Wie die Künstler*innen mit der Vorgabe umgehen, ob sie große Bögen ziehen oder sich am Motto orientieren, das wird zu sehen und bestaunen sein. Die wahrhaft Satten, so viel ist klar, die saturierten Großkünstler wird man dort kaum sehen. Neukölln fordert von den beteiligten Künstler*innen Relevanz. „Im Überangebot der Kunstmetropole Berlin scheint das Gefühl für Kunst verloren zu gehen. Wie können wir das größte freie Kunstfestival für die ästhetische Erfahrung der Kunstwerke eröffnen?“, fragt man auf der Website.

„48 Stunden Neukölln“ ist aber vor allem ein Sprungbrett für Jüngere, ein Testlauf, ein Übungsgelände. Um polemisch zu sein: ein Spielplatz, der eine Sackgasse ist. „Off-Kunst“ ist im Wesentlichen das, was man in den 48 Stunden zu sehen bekommt – im Kunstbetrieb nicht von ungefähr ein Schimpfwort.

Und so dient das Festival in der Hauptsache dem Sozialen. Grüppchenbildung, Austausch, Sichkennenlernen, man hält sich ja nicht ohne Grund hauptsächlich vor den Galerien, nämlich auf dem Gehsteig, auf. Allerhöchstens die sich dranklemmende Off-Musik-Szene kann wirklich profitieren. Für die Künstler*innen ist es ausgestellte Selbstausbeutung mit sozialem Mehrwert.

Und ja, es ist alles nicht mehr wie früher. Natürlich nicht. Es gab eine Zeit, da entsprach die Anzahl der Stunden dieses lokalen Kunstfestivals ungefähr der der im Kiez wohnenden Studierenden. „48 Studenten Neukölln“, so hätte man das bei Gründung des Festivals im Jahr 1999 noch polemisch auf den Punkt bringen können.

Ohne jetzt das große Gentrifizierungs-Fass aufmachen zu wollen: Früher war „48 Stunden Neukölln“ ein Abenteuer. Für alle Beteiligten. Für die Künstler*innen, für die Macher*innen, für die Anwohnenden. „48 Stunden Neukölln“ war ein Brückenkopf in einen absteigenden Arbeiterbezirk.

Ein Festival, das im besten Sinn von Neugier bewegt war: Während die einen mal schauen wollten, wie Kunst in diesem neuen Kontext funktioniert, wollten die anderen auch mal gucken, wie dieses Neukölln aussieht und ob es da eventuell Bedingungen gibt, unter denen man leben könnte. Und die Dritten, die, die schon da waren, wollten sehen, wer denn kommt, wer diese kunstbeflissenen jungen Leute sind, die mit Wegebier bewaffnet über die holprigen Gehsteige in Kreuzkölln, später auch im Schillerkiez, dann im gesamten Norden des Bezirks stolpern. Um Kunst geht und ging es eher nebenbei.

Kunst ist normal

Inzwischen ist die Kunst in Neukölln normal. „48 Stunden Neukölln“ findet diesmal an einem Juniwochenende statt, und den Anwohnenden ist es so egal wie den Wegebiertragenden, fast so egal wie die EM, die zumindest nach dem letzten Vorrundenspiel der Türkei einen Autokorso ermöglichte. Fast so egal wie die Fête de la Musique, die am Dienstag die millionste Indierockband und den abermillionsten Singer/Songwriter-Folkkram auf rasch abbaubaren Bühnen in den Kiez brachte.

Wenn gerade kein Stadtfest stattfindet, ist bestimmt irgendwo eine Demo, weil tatsächlich die Mieten steigen oder der arabische Konflikt immer noch vor sich hinschwelt. Und wenn das alles nicht ist, strömen hier immer noch junge Menschen durch, gern aus dem westlichen Ausland. Neukölln ist als Ausgehviertel sympathisch, da weder so kaputt wie der Indie-Ballermann in Friedrichshain, noch so freakshowhaft ewig renitent wie SO 36. Es ist trotz allem noch schön nachbarlich hier in Neukölln.

Und das bisschen Kunst, das gucken wir dann eben auch noch weg.

„48 Stunden Neukölln“, diverse Orte, heute ab 19. Uhr;

www.48-stunden-neukoelln.de

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