Volksseelen, die aus Ölfässern sprechen

Steeldrums Die Hamburger Bacao Rhythm & Steel Band frönt mit ihrem Debütalbum „55“ Trinidad

Björn Wagner ist mit seiner Steeldrum verwachsen Foto: Promo

Der Hamburger Student Björn Wagner verbringt im Rahmen eines Austauschprogramms ein Jahr auf Trinidad. Wagner spielt Gitarre, ist sozialisiert mit Jazz, Funk und HipHop. Auf der Karibikinsel schließt er sich 2002 der Universitäts-Big-Band an. Prominent sind bei ihr vor allem die Steeldrums, oder richtiger: Steelpans. Wagner begeistert sich für das Instrument, lernt es auch spielen. Am Ende seines Aufenthalts lässt er sich eine eigene Steelpan aus einem Ölfass bauen und nimmt sie mit nach Hause.

Und nun, 14 Jahre später, erscheint „55“, das Debütalbum von Wagners Bacao Rhythm & Steel Band beim New Yorker Label Big Crown. Der Hamburger arbeitet inzwischen bei einem Musikverlag, nach Feierabend geht er ins Studio. Daher müsse er mit seiner Musik keine Kompromisse machen, sagt Wagner. Er betreibt auch das Label Mocambo, spielt bei der Hausband The Mighty Mocambos Gitarre.

Auf Mocambo veröffentlicht Wagner Singles in kleinen Auflagen. Eine davon, die Steel-Drum-Version von „P.I.M.P.“, einem Hit von Gangsta-Rapper 50 Cent, wird 2008 zum Coup. Von der Bacao Rhythm & Steel Band und dem Label hatten DJs zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts gehört. Viele gingen fälschlicherweise davon aus, dass diese Version die Vorlage für 50 Cents Song darstellt.

„Wir haben das damals verschleiert“, gibt Wagner zu. In Wahrheit hatte der Produzent Denaun Porter, Komponist von „P.I.M.P.“, die Melodie gar nicht gesampelt, sondern am Keyboard eingespielt. Die Coverversion der Bacao Rhythm & Steel Band wiederum war durch analoge Aufnahmen auf Alt getrimmt. Der Kölner Labelbetreiber und Journalist Oliver von Felbert dachte sich eine fiktive Geschichte aus: Die Bacao Rhythm & Steel Band habe in den sechziger Jahren auf Trinidad gespielt.

„Die realen Bands auf Trinidad spielen weit virtuoser, da können wir technisch gar nicht mithalten“, sagt Wagner. „Außerdem spielen die Orchester dort viel Dur-Musik, Calypso, ab und an Soul. Ich wollte düsterer und härter klingen.“ Wagner ist nicht der Einzige, der die Steeldrum im globalen Pop rekontextualisiert: Auch die Neptunes produzierten in den nuller Jahren zwei Steeldrum-Tunes für das HipHop-Duo Clipse. Bereits 1971 erschien das großartige Album der Esso Trinidad Steel Band, das wiederum aus karibischen Interpretationen von Stücken des kalifornischen Songwriters Van Dyke Parks besteht.

Die Steeldrum existiert noch keine 100 Jahre. Zuvor waren afrikanische Trommeln auf Trinidad verbreitet, denn die Einwohner setzen sich aus Nachkommen afrikanischer Sklaven und indischer Kontraktarbeiter zusammen.

Barbecue und Maissuppe

Als die britischen Kolonialherren diese Trommeln in den 1930ern verboten haben, baute sich die arme Bevölkerung ein neues Instrument aus alten Ölfässern. Seitdem ist die Steel­drum künstlerisches Ausdrucksmittel der Volksseele. „Einer Steel-Band bei der Probe zuzuschauen ist der Wahnsinn“, erzählt Wagner. „Meist gibt es dazu Barbecue, da wird dann auch Maissuppe angeboten. Die Orchester bestehen aus bis zu 80 Musikern, manche bedienen bis zu sechs Ölfässer. Das ist visuelle Polyrhythmik.“ Trotzdem setzte sich die Steeldrum außerhalb von Trinidad nie durch. Versuche, sie im Funk und Jazz zu integrieren, schlugen fehl. „Wir wollten daher eine Platte machen, die auch DJs auflegen können.“

Acht Jahre nach der Erstveröffentlichung von „P.I.M.P.“ erscheint nun also „55“, darauf hört man zwei Steeldrums: Neben dem Instrument, das Wagner von seinem Studienaustausch auf Trinidad mitgebracht hat, noch ein zweites, größeres, aus zwei Ölfässern bestehendes Instrument. „Drei Ölfässer, aber zwei Instrumente“, betont Wagner. „55“ besteht aus einer Handvoll Eigenkompositionen, der Rest sind Cover, etwa von John Holt, Dennis Coffey und DJ Hi-Tek.

Nach Trinidad ist Wagner übrigens nie mehr gereist. Er kann es nicht genau erklären. „Man stellt sich das ja gerne exotisch vor: Strand, Karneval, cooler Sound. Es ist aber auch gewalttätig. Nach der Saison herrscht die große Langeweile. Da passiert einfach gar nichts. Ich habe damit abgeschlossen.“

Stephan Szillus

Bacao Rhythm & Steel Band: „55“ ( Big Crown/Groove Attack)