: Die türkeistämmige Community ist gespalten
Gegensätze Die Dachverbände aus der Türkei stammender EinwanderInnen in Berlin vertreten in der Debatte über die Armenien-Resolution des Bundestags unterschiedliche Haltungen. Und werden dennoch gerne verwechselt. Der Versuch einer Ordnung
Von Alke Wierth
Achtung, Verwechslungsgefahr: TBB und TGD heißen die zwei großen lokalen Organisationen, zu denen sich Vereine türkeistämmiger EinwanderInnen in Berlin zusammengeschlossen haben. Dass der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) Mitglied im bundesweiten Dachverband Türkische Gemeinde Deutschland (TGD) ist, führt häufig zu Verwechslungen mit der TGB, der Türkischen Gemeinde Berlin, die der TGD nicht angehört – worauf die TGD aus aktuellem Anlass kürzlich ausdrücklich hinwies.
Wie verschieden die Organisationen sind, zeigt sich gerade in diesen Tagen. TGB-Präsident Bekir Yilmaz organisierte Demonstrationen gegen die Resolution des Bundestags, die die Tötung und Vertreibung von Hunderttausenden Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord einstuft. Mit seinen Facebook-Hinweisen auf ein geplantes Ramadanessen in einer Neuköllner Moschee ist Yilmaz wohl nicht ganz unbeteiligt daran, dass die zu Ditib, einem Verband mit starker Anbindung an die Türkei, gehörende Moschee die zu dem Fastenbrechen geladenen VertreterInnen des Bundestags, darunter dessen Präsident Norbert Lammert, nach dem Beschluss der Resolution kurzerhand wieder auslud.
Der TBB dagegen wurde von CDUler Lammert im Bundestag ausdrücklich dafür gelobt, dass er sich mit den türkeistämmigen Abgeordneten solidarisierte, die seit der Verabschiedung der Armenien-Resolution schlimmste Drohungen erhalten. Dass diese „beschimpft und sogar bedroht“ würden, sei „völlig inakzeptabel“, schrieb der Türkische Bund in einer Pressemitteilung. Und sein Dachverband TGD erklärte: „Politische Entscheidungen, die auf demokratische Weise gefällt wurden, dürfen nicht mit gewaltsamen Mitteln angefochten werden.“
Am 2. Juni verabschiedete der Deutsche Bundestag eine Resolution, die 101 Jahre zurückliegende Ereignisse im damaligen Osmanischen Reich betrifft. „Vertreibungen und Massaker“ hätten damals „zur fast vollständigen Vernichtung der Armenier“ geführt, auch „Angehörige anderer christlicher Volksgruppen“ seien „von Deportationen und Massakern betroffen“ gewesen.
Der Bundestag beklagt „die Taten der damaligen jungtürkischen Regierung“ und „bedauert die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches“, das „als militärischer Hauptverbündeter“ der Osmanen nicht versucht habe, diese „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, die an anderer Stelle der Resolution Völkermord genannt werden, zu stoppen. Bei der türkischen Regierung sowie bei Teilen der aus der Türkei stammenden EinwanderInnen in Deutschland sorgte die Resolution für heftigen Ärger. (akw)
Keine Türkeipolitik
Dabei will auch der TBB damit nicht die Resolution verteidigen: „Deren Inhalt ist unter den Türkeistämmigen umstritten“, sagt TBB-Sprecherin Ayşe Demir. Kritik daran sei aber „legitimer Bestandteil demokratischer Auseinandersetzungen“. „Als Dachverband positionieren wir uns nicht für oder gegen die Resolution“, so Demir: „Wir machen ja keine Türkei-, sondern Integrationspolitik.“
Als solche sieht auch TGB-Präsident Bekir Yilmaz seine deutliche Positionierung und Aktivierung gegen die Resolution. Denn diese diene nicht „dem friedlichen Miteinander“, meint Yilmaz, sondern grenze einen Großteil der türkischstämmigen Community gesellschaftlich und politisch aus. 70 bis 80 Prozent der Türkischstämmigen, schätzt er, seien gegen die Resolution: für ihn „Menschen, die ihre Sprache, ihr Wurzeln und Beziehungen zur Türkei nicht verlieren wollen“. Ihnen werde mit dem Bundestagbeschluss vermittelt: „Wir werden nicht akzeptiert, also müssen wir uns auch nicht mehr um Akzeptanz bemühen.“
Der Türkische Bund, in den Achtzigern gegründet, hat heute 30 Mitgliedsvereine, vom Türkischen Eltern- oder Frauenverein über die Türkischen Sozialdemokraten bis zum Folkloreklub und einer Hilfsorganisation für türkeistämmige SeniorInnen. Religiöse Vereine sind nicht darunter. Mitfinanziert vom Land, macht der TBB Projekte wie etwa das Berliner Antidiskriminierungsnetzwerk ADNB. Im TBB seien „Menschen unterschiedlicher ethnischer und religiöser Zugehörigkeit, so Demir. Sie spricht deshalb lieber von „Türkeistämmigen“, um keine der vielen ethnischen und religiösen Gruppen unter den aus der Türkei stammenden EinwanderInnen auszugrenzen. Bekir Yilmaz bleibt bei „türkischstämmig“.
Die Website der ebenfalls in den Achtzigern gegründeten TGB listet 60 Mitgliedsvereine auf, ein Viertel davon religiöse Vereine oder Moscheen, darunter auch drei der Ditib. Auf der Seite wurden früher Sprachkurse in Persisch und Osmanisch als „Dialekte des Türkischen“ angeboten. Auch die TGB hat gute Kontakte zu Behörden und Politik: Ihre Internet- und Facebook-Auftritte dokumentieren Besuche des früheren Berliner Polizeipräsidenten Dieter Glietsch, der Berliner Feuerwehr und Kooperationen mit Senatsprojekten wie „Ausbildung in Sicht“. Bekir Yilmaz selbst ist in der SPD. Bei einer Mahnwache gegen den Anschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo im Januar 2015 stand er mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) und Bundespräsident Joachim Gauck in der ersten Reihe auf dem Podium.
Drohungen verurteilt
Auch TBB und TGB haben laut Ayşe Demir bereits zusammengearbeitet. Verschiedene NGOs hätten eben „unterschiedliche Auffassungen ihrer Arbeit“, sagt sie: „Wir als TBB sehen uns als Teil der Berliner Menschenrechts- und Demokratiebewegung und engagieren uns gegen Diskriminierung aller Art.“ Andere Verbände machten dagegen verstärkt Türkeipolitik.
TGB-Chef Yilmaz nennt die, die das nicht tun, „Projektvereine“, an denen „die Sorgen der großen Mehrheit der Türkischstämmigen“ vorbeigingen. Die Drohungen gegen türkeistämmige deutsche PolitikerInnen verurteilt auch Yilmaz. Ihre Ursache sieht er in der „heftigen Debatte“, die der Bundestagsbeschluss ausgelöst habe: Aber in einem Rechtsstaat müssten Menschen mit türkischem Migrationshintergrund „auch Meinungen vertreten dürfen, die der Politik nicht gefallen“, sagt der TGB-Chef. Und: „Morddrohungen bekomme ich auch.“
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