Eulenspiegel-Erzählung von Clemens Setz: Ein Narr zum Fürchten

Von wegen naseweiser Schelm: Clemens J. Setz entlässt seinen „Till Eulenspiegel“ in die Freiheit des teils sadistisch Unberechenbaren.

Porträt Clemens Setz

Setz auf der Frankfurter Buchmesse 2015 Foto: imago/Sven Simon

Eigenartig, dass so jemand zum Held „der Deutschen“ werden konnte. Schon seit dem 16. Jahrhundert erfreut sich Till Eulenspiegel hierzulande großer Beliebtheit, berühmt geworden durch das 1510 zum ersten Mal erschienene Buch über den notorischen Tunichtgut. Till Eulenspiegel selbst war da, sofern es ihn überhaupt gegeben hat, schon lange tot. Gelebt haben soll er von 1300 bis 1350.

Dieser gern im Narrenkostüm dargestellte Herumtreiber hat im öffentlichen Bewusstsein fast den Stellenwert einer deutschen Version des Robin Hood, eines, der die Armen gegen die Reichen verteidigte. In Eulenspiegels Fall allerdings nicht auf dem Weg ökonomischer Umverteilung, sondern durch das Bloßstellen der Mächtigen und ihres Selbstverständnisses.

Am bekanntesten sind Eulenspiegels sprachliche Interventionen, das Beim-Wort-Nehmen des anderen, was dazu führt, dass er einem Bäcker keine Brote, sondern Eulen und Meerkatzen backt oder sich eine Nacht lang verausgabt, weil ihm ein Schneider aufgetragen hat, die Ärmel an einen Rock „zu werfen“.

Diesen eher brav subversiven Eulenspiegel gibt es auch in der vom Schriftsteller Clemens J. Setz nacherzählten Auswahl an Streichen und Narreteien. Setz hat die Geschichte vom Bäcker ebenso wie die vom Schneider mit aufgenommen. Diese bilden jedoch bloß einen Ausschnitt dessen, was sich unter den insgesamt 96 „Historien“ des Volksbuchs findet. Viele der anderen Geschichten, die Setz hinzugenommen hat, zeigen einen ganz anderen Eulenspiegel, einen, der sich weniger leicht vereinnahmen lasst – und der als „Volksheld“ eine ziemlich fragwürdige Figur macht.

Das Fell über die Ohren

Setz hat eine Schwäche für Streiche, in denen es nichts zu lachen gibt, es sei denn, man findet etwa sadistisches Vergnügen daran, wenn einem Hund das Fell über die Ohren gezogen wird. Eulenspiegel begeht diese Grausamkeit am Haustier einer Wirtin, weil diese Eulenspiegel aufgefordert hatte, ihrem Hund ein bisschen von seinem Bier abzugeben.

Seine Rechtfertigung: Die Wirtin hatte ihm gegenüber erklärt, wer bei ihr einkehre, müsse für das Verzehrte unverzüglich zahlen oder zumindest ein Pfand dalassen. Und da Hunde nur eingeschränkt verkehrsfähig sind, entschied sich Eulenspiegel, dem Tier bei dem Pfand – dem Fell – zur Seite zu springen.

Viele der Geschichten zeigen einen Eulenspiegel, der als „Volksheld“ eine ziemlich fragwürdige Figur macht

Das bewusste Missverstehen wird dabei nicht zum Vorführen von sprachlichen Verkrustungen genutzt oder als Untergrabung eines Machtverhältnisses, vielmehr interpretiert Setz die Geschichte als einen Akt von Rache. Während der Streich sich im Original nüchtern-knapp auf die Ereignisse und den Dialog zwischen Eulenspiegel und der Wirtin beschränkt, erweitert Setz diese Episode um einige Hinweise auf Eulenspiegels Innenleben. So verspürt dieser einen Widerwillen, das Bier mit dem Hund zu teilen, muss seinen Ekel überwinden, lässt sich aber nichts anmerken. Bis er heimlich zur Tat schreitet.

Vom Abreagieren seiner persönlichen Idiosynkrasie abgesehen, hat diese Handlung für Eulenspiegel keinen erkennbaren Nutzen. Sie schadet ihm sogar: Die Wirtin jagt ihn am Ende davon – wie die meisten der Leute, die Eulenspiegel in ihre eigenen vier Wände lassen. Dadurch wird der populäre Scherzbold nicht sympathischer, aber interessanter. Je länger man den Streichen folgt, desto weniger möchte man mit diesem unheimlichen Spaßmacher zu tun haben.

Clemens J. Setz: „Till Eulenspiegel. Dreißig Streiche und Narreteien“. Insel Verlag, Berlin 2015, 148 Seiten, 16 Euro

Der Ton bleibt bei alledem zurückhaltend, vom familienfreundlich augenzwinkernden Erzählstil eines Erich Kästner ist Setz weit entfernt. Dass man diesen Eulenspiegel nicht einordnen kann, er sich einer einfachen Interpretation verschließt – bis auf kleine Andeutungen, dass mit ihm vermutlich etwas nicht stimmt –, macht diesen Romanhelden zu einer erratischen Kraft, in der ungehemmte, destruktive Triebe wirken. Beunruhigend, dass so jemand zum Held „der Deutschen“ werden konnte.

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