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Flüchtige Momente

Ausstellung Schon auch Normalität unter schwierigen Bedingungen: Geflüchtete Kinder fotografieren sich und ihre Umgebung – in der Zuflucht-Schau sind die Bilder zu sehen

von Uta Schleiermacher

Was es bedeutet, als Kind in einer Flüchtlingsunterkunft zu leben, können Fotos wahrscheinlich nur unzureichend vermitteln. „Aber Fotos können zumindest etwas aus dem geschlossenen Kosmos der Unterkunft nach draußen tragen“, sagt Sarah Houter.

Projekt Zuflucht

Eröffnet wird die Fotoausstellung „ZuFlucht – Geflüchtete Kinder fotografieren ihren Alltag in der Flüchtlingsunterkunft“ am Samstag, 4. Juni, um 19 Uhr. Bis 25. Juni sind die Bilder in der Nachbarschaftsgalerie Kungerkiez in der Karl-Kunger-Straße 15 in Alt-Treptow, Donnerstag bis Sonntag von 15 bis 19 Uhr, zu sehen. zufluchtblog.wordpress.com

Entstanden sind die Fotos zwischen Oktober 2014 und Juli 2015 im Rahmen eines Seminars an der Alice-Salomon-Hochschule. Die Fotografen und Lehrbeauftragten Karsten Hein und Jörg Möller haben es mit rund 40 StudentInnen in einer benachbarten Flüchtlingsunterkunft durchgeführt.

Nach regelmäßigen Nazi-Protesten gegen die Unterkunft in Hellersdorf hatte die Leitung der Hochschule beschlossen, in der Unterkunft präsent sein zu wollen, und einen Seminarraum dort eingerichtet. Seitdem finden dort regelmäßig Seminare und Projekte der Hochschule statt. In der Unterkunft leben insgesamt rund 500 Menschen, etwa 180 davon sind Kinder. (usch)

Houter studiert soziale Arbeit an der Alice-Salomon-Hochschule in Hellersdorf und hat dort ein Projekt begleitet, bei dem Flüchtlingskinder ihre Umgebung und ihren Alltag selbst fotografieren konnten. „Wir haben uns für die Perspektive der Kinder interessiert und wollten damit ihre Stimme wahrnehmen und zeigen, dass wir sie wertschätzen“, erklärt Houter. 20 bis 30 Kinder hätten regelmäßig an den wöchentlichen Treffen teilgenommen. Ab Samstag ist eine Auswahl der Bilder in der Kungerkiez-Galerie in Treptow ausgestellt.

„Für viele Kinder war das ein Zeitvertreib, und einige haben richtig Spaß am Fotografieren bekommen und waren regelmäßig und über eine lange Zeit dabei“, erzählt Houter. Auf den Fotos sind die Einrichtung der Zimmer, der Platz vor der Unterkunft, Spielzeug, Alltagsgegenstände und andere Familienmitglieder zu sehen. „Die Kinder haben sich außerdem gern gegenseitig fotografiert, es gab viele Bilder, die sie beim Spielen gemacht haben.“

Darüber, wie sie ihren Alltag in der Unterkunft erlebten, hätten die Kinder erst mal nicht viel gesprochen. „Sie haben gern über die Bilder geredet, die Situationen beschrieben, die sie fotografiert haben, und erzählt, wenn sie etwas Besonderes erlebt haben“, sagt Houter. „Einerseits haben wir dort Kinder getroffen, die unbeschwert wirkten und einfach spielen wollten, und wir wollten sie auch so als Menschen ernst nehmen“, sagt Houter. „Über ihren Hintergrund oder ihre Flucht­geschichte haben wir meist gar nicht viel erfahren, auch nicht, ob es Dinge oder Erlebnisse gab, die sie belastet haben.“

„Viele Kinder, die die Bilder gemacht haben, sind inzwischen abgeschoben“

Sarah Houter vom Projekt Zuflucht

In den ausgewählten Bildern wollen die Studentinnen und Studenten auch die Normalität zeigen, die sich selbst unter schwierigen Lebensbedingungen einstellt. Gleichzeitig sei die Stimmung in der Unterkunft nicht einfach gewesen. „Die Eltern haben oft entmutigt gewirkt, so, als ob sie wussten, dass es keine passende Umgebung für ihre Kinder ist, dass sie aber nicht die Macht haben, daran etwas zu ändern.“

Fotos von den anderen, Fotos von sich. Und dabei auch Momentaufnahmen einer Flucht Fotos: Projekt Zuflucht an der Alice-Salomon-Hochschule

Für viele Familien bedeutete das auch, wieder wegzumüssen aus der Unterkunft und aus Deutschland. „Ein Großteil der Kinder, die die Bilder gemacht haben, ist inzwischen abgeschoben“, berichtet Houter. „Es gab diesen Moment, wo ich gemerkt habe, dass ich eine eigene Haltung entwickeln muss. Denn wir wollten die Abschiebungen auch in den Bildern sichtbar machen und haben deshalb die Gesichter der Kinder, die nicht mehr da waren, aus Bildern herausgeschnitten, um die Leere zu zeigen“, erzählt Houter. „Und dann stand ich an dem Tisch, und vor mir lag ein Haufen ausgeschnittener Kindergesichter. Wir haben mit diesen Kindern gearbeitet und ihnen eine Perspektive hier und Chancen gewünscht. Und ich habe gemerkt, dass es ein Kampf gegen ein System ist, das nicht bereit ist, den Kindern diese Chancen zu geben.“

In der Ausstellung werden auch diese Bilder mit den herausgeschnittenen Gesichtern zu sehen sein.

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