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Fisch düngt Tomate

Total lokal Drei Tonnen Fisch wachsen pro Jahr auf dem Gelände der alten Malzfabrik in Schöneberg heran – in Fischtanks. Drei Tonnen Hauptstadt- barsch, den es seit Kurzem auch in den Supermärkten zu kaufen gibt

von Jana Tashina Wörrle

Der Hauptstadtbarsch schwimmt gegen den Strom. Das macht er nicht allein, er teilt sich seinen Bottich mit vielen anderen. Der Wasserstrom, gegen den sie ankämpfen, kommt von einer Pumpe. Der Hauptstadtbarsch schwimmt meist im Kreis an der Wasseroberfläche. Er ist rosa und kann bis zu 750 Gramm schwer werden. Dann wird er geschlachtet, ausgenommen und am Stück ausgeliefert – an Feinkostläden, die Markthalle Neun und seit Kurzem auch an Supermärkte.

Wirklich frischen Fisch zu bekommen ist in Berlin nicht einfach. Tiefkühlware ist Normalität. Doch nicht beim Hauptstadtbarsch. Die Spree, die Havel, den Wannsee oder den Müggelsee hat er noch nie gesehen, aber dennoch ist er ein Lokalpatriot. Aufgewachsen ist er in Schöneberg; genauer gesagt auf dem Gelände der alten Malzfabrik. Gebürtig stammt er aus Holland. Doch noch in einem sehr zarten Fischalter von nur wenigen Tagen zieht er nach Berlin um.

Will man ihn hier besuchen, kann es passieren, dass man an der Tür der Firmenhalle, in dem er seine Runden dreht, Männer mit langen weißen Kittelschürzen trifft. Sie sind gerade dabei, Hauptstadtbarsche auszunehmen. Das passiert vor Ort in der ECF Farm – ECF steht für Eco friendly farming. Zerlegt wird der Hauptstadtbarsch nicht; von den Schöneberger Farmern gibt es ihn nur als ganzen Fisch. So gelangt er neuerdings auch in zahlreiche Supermarktfilialen von Kaiser’s.

Regionale und besser noch lokale Produkte sind bei den Berlinern immer gefragter, und diese Nachfrage wollen nicht nur Feinkosthändler oder Bioläden bedienen. Mit dem Fisch wollten die ECF-Farmer von Anfang an in die Supermärkte, das Gemüse verkaufen sie dagegen zum größten Teil selbst. Die gesamte tierische und pflanzliche Ernte bleibt in Berlin, obwohl es inzwischen schon Anfragen von außerhalb gab.

Nicht den besten Ruf

Doch das Angebot und die lokale Nachfrage passen derzeit gut zusammen. „Den Fisch nur am Marktstand zu verkaufen funktioniert bei der Menge nicht. Aber trotzdem ist es nicht so, dass wir damit den gesamten Berliner Markt übersättigen würden“, sagt Marie Schönau, die sich in der ECF Farm sowohl um die Assistenz der Geschäftsleitung als auch um die Pressearbeit und vieles mehr kümmert. „Starr verteilt sind bei uns die Aufgaben nicht“, sagt sie und lacht, nachdem sie einer Praktikantin gerade gesagt hat, was sie nach den Arbeiten im Gewächshaus tun soll.

Neben den Supermärkten haben nun auch verschiedene Sterneköche angefragt und wollen den Hauptstadtbarsch haben. Dabei hat der Barsch hierzulande nicht das beste Renommee, da er meistens aus asiatischen Massenproduktionen tiefgefroren zu uns kommt. „Daher ist sein Ruf ein bisschen verhunzt worden, obwohl es eigentlich ein toller Fisch ist“, sagt Marie Schönau.

Kiez Ketchup und Kiez Aioli: Noch mehr Produkte aus Berlin

Hier eine Auswahl von Berliner Produkten, die es in die Supermarktfilialen geschafft haben:

Die Berliner Bärengold GmbH kauft den Honig von vielen kleinen Berliner Stadtimkern, füllt ihn in Gläser und verkauft ihn unter der Dachmarke Berliner Honig. Von Anfang an hatten die Gründer Annette Mueller und Jens-Michael Lehmann das Ziel, den Honig in die Regale der großen Supermärkte zu bekommen, um gerade diejenigen zu erreichen, die normalerweise nicht gezielt nach lokalen Produkten Ausschau halten. Der Honig wird sowohl bei Kaiser’s als auch bei Edeka, Rewe, Real, Kaufhof und im KaDeWe verkauft.

Auch die Anbieter der Berliner Bohne wollen mit ihrem Fair-Trade-Hauptstadtkaffee über den Verkauf bei Kaiser’s Menschen ansprechen, die sonst eher nicht im Fairen Handel einkaufen, und so den Kaffee und das dahinterstehende Konzept einer breiteren Käuferschicht zugänglich machen. Der Rohkaffee der Berliner Bohne wird aus Regionen bezogen, in welchen Berlin Partnerstädte hat. Das Logo entstand, durch einen Wettbewerb, aus der Hand eines Berliner Grafikers: Im Kern der Logo-Bohne ist der Fernsehturm zu erkennen.

„100 Prozent Bio – made in Berlin“. So wirbt der Hersteller Saucenfritz für seine Produkte, die er mittlerweile in vielen Städten Deutschlands verkauft. Der Schwerpunkt liegt aber weiter in Berlin und hier in vielen Bio-Supermärkten und bei Galeria Kaufhof. Auch Saucenfritz hat den Schritt in den Supermarkt von Anfang an geplant. Waren es zu Beginn nur 3 Produkte, sind es heute etwa 20 – darunter die Kiez Ketchup oder Kiez Aioli. Gründer und Geschäftsführer Jan Daniel Fritz versucht nach eigener Aussage möglichst viele regionale Zutaten zu verwenden, doch das gelingt natürlich nicht bei allen Kräutern und Gewürzen.

www.feinjemacht.de bietet Feinkost aus Berliner und Brandenburger Manufakturen. (jtw)

Die Sterneköche sind deshalb sowohl von der lokalen Herkunft des Hauptstadtbarschs angetan als auch von seiner Öko-Bilanz: Er schwimmt in aufbereitetem Regenwasser, frisst nur Biofutter, und das Ammonium, das er ausscheidet, wird durch Mikroorganismen zu dem Pflanzendünger Nitrat verarbeitet. Es wandert über ein aufwendiges Bewässerungssystem von der einen Seite des Gewächshauses zur anderen und düngt dabei Gemüse und Kräuter.

Salat und Kohlrabi

Auf insgesamt 1.800 Quadratmetern wachsen im großen Hinterhof der alten Malzfabrik sowohl 30 Tonnen Barsche als auch 35 Tonnen essbare Grünpflanzen pro Jahr heran. So sieht es der Businessplan vor, denn es ist noch nicht einmal ein Jahr her, dass die ersten Fische in den Verkauf kamen. Hier steht nach Angaben der ECF-Farmer Europas modernste, urbane, kommerziell betriebene Aquaponik-Anlage. Schon Anfang April reiften im Gewächshaus die ersten Tomaten des Jahres heran. Nebenan wachsen Salatpflänzchen und Kohlrabi.

Auch wenn die Nachfrage nach lokalem Gemüse sehr hoch ist, hat der Laden für den Direktverkauf geschlossen. Stattdessen verkaufen die Stadtgärtner ihr Gemüse jetzt in der Markthalle Neun. „Dort ist einfach mehr los, denn unser Laden hier am Gewächshaus ist einfach zu unsichtbar – keine Laufkundschaft“, sagt Marie Schönau und deutet auf die bunte Fassade des Teils des Gewächshauses hin, hinter dessen Wänden die Barsche schwimmen. Auf der Fassade ist die Ökobilanz des Fischs nochmals ausführlich beschrieben – in großen Buchstaben und krachenden Farben.

In den Räumen dahinter herrscht dagegen Ruhe und vor allem eine unbedingt hygienisch saubere Umgebung. Sehen darf man die Fische deshalb nur durchs Fenster. Wenn man auf eine Leiter steigt, kann man von oben in einen Fischtank blicken. Dort schwimmen sie entgegen des Wasserstroms: „Fünf Prozent maximaler Fischgehalt“ nennt Marie Schönau das, was man an der Oberfläche der 13 Bottiche in zartrosa erkennen kann. 5 Prozent Fische und 95 Prozent Wasser füllen maximal die Becken. So soll alles möglichst tiergerecht und nachhaltig bleiben. „Natürlich hat es ein Fisch im Meer oder im Fluss besser, aber für eine geschlossene Anlage haben wir eine sehr geringe Besatzdichte“, beschreibt es Schönau.

Die penibel eingehaltene Hygiene rund um die Fische ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Der Hauptstadtbarsch gilt eigentlich als ziemlich robust und wächst deshalb ohne Antibiotika auf. Seine Robustheit war einer der Gründe, warum die Gründer der ECF Farm, Nicolas Leschke und Christian Echternacht, einst auf den Barsch gesetzt haben und ihm bis heute treu geblieben sind. Überzeugt hat sie weiterhin, dass es auf dem Berliner Markt noch nicht so viel davon gibt und dass er gut schmeckt. Und dass das, was er ausscheidet, die Stoffe liefert, die man im Gemüseanbau gut nutzen kann.

Ein Exportschlager

Im Jahr 2012 haben die beiden Gründer damit angefangen, Fische und Gemüse in einem Kreislaufsystem anzubauen. Die Tanks für die Fische standen damals noch in einem bunt bemalten Schiffscontainer. Dieser machte schnell mediale Karriere, und aus der Hinterhoftüftelei und ein paar Fischpatenschaften – einer Art Crowdfunding, das in einem gemeinsamen Grillfest endete – wurde ein Geschäftsmodell, das nun in Form einer urbanen Farm unter dem Himmel von Berlin vor sich hin glitzert. In einer Ecke des Hofs steht noch immer der alte Schiffscontainer; eine Erinnerung, ausrangiert.

Die Dimensionen in denen Nicolas Leschke und Christian Echternacht heute denken, sind weit größer, denn die ECF Farm in Berlin ist gut an den Start gebracht. Sie läuft, und die beiden Aquaponik-Pioniere bringen mittlerweile immer wieder neue Anlagen zum Laufen. „Das hier in Berlin ist mehr als nur eine Experimentieranlage, wir wollen die Farm wirtschaftlich betreiben“, erklärt Marie Schönau. Doch trotzdem besteht das eigentliche Geschäftsmodell der ECF-Farmer mittlerweile darin, Anlagen im Auftrag von anderen zu planen und zu bauen – und zwar weltweit: derzeit in Albanien.

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