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Wie politisch ist zeitgenössische Musik?

DEBATTE Im Wedding diskutierten die Komponisten Antye Greie, Pavlos Antoniadis und Turgut Erçetin

Im Bereich der sogenannten Neuen Musik scheint man gerade verstärkt darüber nachzudenken, wie und ob man das eigene künstlerische Schaffen mit Krisenthematiken kurzschließen kann. Ob sich Kunst produzieren lässt, die mehr ist als bloß ästhetisch wertvoll, dieser Frage wurde am Donnerstag auch im ExRotaprint in Wedding in einer Podiumsdiskussion nachgegangen. „As the Knots Getting Tight: The ties that bond contemporary music and political action“ hieß der etwas sperrige Veranstaltungstitel.

Die Politisierung Neuer Musik liegt schon länger in der Luft. In Köln sorgte jüngst ein Cembalokonzert in der Philharmonie für Aufsehen. Es musste unterbrochen werden, weil das Pu­blikum ein Stück des Minimal-Music-Komponisten Steve Reich störte. Die auf Englisch geäußerte Empörung des Cembalisten wurde von Zuschauern mit Sprüchen wie „Sprich Deutsch“ quittiert. Und in Dresden wurde das Stück „Aghet“ skandalisiert, eine Komposition im Gedenken an den Völkermord an den Armeniern, die zu einer Intervention der Türkei führte. Musik taugt in Krisenzeiten nach wie vor zum Politikum. Im Wedding diskutierten der in Berlin lebende Neue-Musik-Pianist Pavlos Antoniadis, der junge türkische Komponist ­Turgut ­Erçetin und die Elektronikmusikerin Antye Greie darüber, wie sich die eigene Kunst denn nun politisieren ließe.

Um die ganze Sache noch stärker zu erden, war der türkische Aktivist und selbsterklärte Kommunist Turgay Ulu mit auf dem Podium. Aufgrund politischer Aktivitäten saß Ulu 15 Jahre in einem türkischen Gefängnis. Nun engagiert er sich für Flüchtlinge in Deutschland. Zu Musikfragen hatte Ulu allerdings nicht viel beizutragen, immerhin saß mit ihm einer in der Runde, der für seine Überzeugungen gelitten hat und gar nicht daran denkt, sein Engagement zu stoppen. Damit wurde Ulu durchaus Vorbild für die anwesenden Künstler mit ihren sozialkritischen Anliegen.

So richtig in Gang kam die Veranstaltung leider nicht. Was auch an den umständlichen bis unverständlichen Fragen des Moderators lag. Gleich seine erste Frage verstand niemand, auch Antye Greie nicht, die das auch kundtat, dann aus Höflichkeit aber doch noch etwas sagte. Wenn der Moderator einmal ein wirklich interessanten Punkt ansprach, wie etwa den, ob die Beschäftigung mit Flüchtlingen im Kunst- und Kulturrahmen nicht einfach auch eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Künstler sei, wollte er darauf im Anschluss gar nicht ernsthaft eingehen.

Weiß das FBI vom Berghain?

Jeder für sich formulierte dann eine Idee, was zu tun sei, um seiner Arbeit nicht nur künstlerische, sondern auch politische Relevanz zu verschaffen. Antye Greie, die jüngst ein Stück mit dem Titel „Snowden“ verfasst hat und mit kurdischen Frauen in Nordsyrien zusammenarbeitete, plädierte dafür, sozial Unterprivilegierten und anderen mit den Verhältnissen Unzufriedenen eine Stimme zu geben, indem man sie genau diese einfach einsetzen lässt. „Jeder hat eine Stimme“, sagte sie. Diese hätten beispielsweise bei einem Konzert von ihr im Berghain auch Leute im Publikum erhoben, um ihre Unterstützung für Edward Snowden zu ­bekunden. Ob Snowden oder das FBI davon etwas mitbekommen hat, darüber ist allerdings nichts bekannt.

Interessant wurde es dann noch kurz, als eine Frau aus dem Publikum auf ein Statement des Komponisten Turgut Erçetin reagierte. Der hatte behauptet: „Wenn ich in der Türkei sage, die Vernichtung der Armenier hat stattgefunden, werde ich dafür fünf Jahre ins Gefängnis gesteckt. Wenn ich darüber ein Stück schreibe, geht das dagegen in Ordnung.“ Eine inte­res­sante Aussage, die vielleicht auch aufzeigen sollte, welche Vorteile Kunst gegenüber der direkten Aktion hat. Doch die Frau aus dem Publikum wollte das so nicht stehen lassen. Sie gab sich als Komponistin zu erkennen, die an besagtem „Aghet“-Stück für die ­Dresdner Sinfoniker mitgearbeitet hatte. Sie meinte nun, was Erçetin sage, sei nicht stimmig, denn niemand könne ihr garantieren, weiter unbehelligt in die Türkei reisen zu können, nachdem sie sich künstlerisch mit dem Völkermord an den Armeniern auseinandergesetzt habe. Ein Streitgespräch deutete sich an. Aber klar, in dem Moment wurde die ganze Veranstaltung einfach abmoderiert.

Andreas Hartmann

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