Küchenpsychologie Kaffeesatz, Handlinien, Couch: Menschen tun so einiges, um sich analysieren zu lassen. Aber bringen Sie mal Leute dazu, ihren Kühlschrank zu öffnen. 6 taz-Mitarbeiter lassen tief blicken
: Zeig mir deinen Kühlschrank und ich sage dir, wer du bist

Frau/Mann/Trans/*/_/x?

Frau. Lebst du alleine/mit Kindern/Freunden/Partner? Wir sind eine fleischlose WG. Ich habe drei Mitbewohner*innen. Wie oft und wo gehst du einkaufen? Nur einmal die Woche. Bei Netto oder Rewe. Das reicht, weil eine Mitbewohnerin „Essen retten“ organisiert und von Alnatura Brot und Gemüse für alle mitbringt. Wie oft am Tag machst du den Kühlschrank auf? Einmal morgens. Am Wochenende öfter. Hat dir die Analyse deines Kühlschranks geholfen, dich besser zu verstehen? Nein. Einmal im Leben Kartoffeln gekauft und gleich werden einem NS-Traumata nachgesagt. Den veganen Kaviar übersehen?

Frau/Mann/Trans/*/_/x? Frau. Sechs Jahre. Ich komme aus London. Und du? Ich bin auch eine Frau. Drei, aus Löndon. Wo ist das? In Tollintondondon. Lebst du alleine/mit Kindern/Freunden/Partner? Ja. Also alleine? Nein. Wir leben mit Familie zu Hause. Wie oft gehst du einkaufen? Und wo? Mit Mama und Papa. Wir sind bestimmt schon 100-mal eingekaufen. Sind wir 100-mal eingekaufen? Stimmt das? Was meint die 3-Jährige? 100-mal. Wie oft am Tag machst du den Kühlschrank auf? Komische Frage. Sechsmal? Hat dir die Analyse deines Kühlschranks geholfen, dich besser zu verstehen? Das ist doch Quatsch. Wir haben schon tote Tiere gesehen. Was denn für eins? Ein totes Eichhörnchen. Im Kühlschrank? Nein. Im Viktoriapark. Das durften wir nicht anfassen. Esst ihr totes Tier?Ja. Welches? Mortagella. Nee, Schinken.

Frau/Mann/Trans/*/_/x? Frau. Lebst du alleine/mit Kindern/Freunden/Partner? Partner. Wie oft gehst du einkaufen? Gehe fast täglich Kleines einholen. Einmal die Woche Großeinkauf bei Edeka – überschaubar, ungehetztes Personal, Wurst- und Käsetheke wie aus Kinderzeiten, und es gibt Eierlöffel und Teeeier. Wie oft am Tag machst du den Kühlschrank auf? Wenn ich auf Arbeit bin: 2–3 mal. Wenn ich zu Hause bin: Sehr oft. Hat dir die Analyse deines Kühlschranks geholfen, dich besser zu verstehen? Fluxus stimmt. Alles andere ist komplett falsch! Hier kühlt kein einsamer Adornit, sondern ein seit 20 Jahren Bett und Eisschrank teilendes Paar. Und an der Tür hängen anrührende Kühlschrankmagneten.

Frau/Mann/Trans/*/_/x? Frau. Lebst du alleine/mit Kindern/ Freunden/Partner? 4er-WG. Ein Mann, drei Frauen (2 Deutsche, 2 Schwedinnen). Und Chibi, der Hund! Außerdem unzählige Fische. Wie oft gehst du einkaufen? Und wo? Oft im nächsten Discounter und Gemüseladen, manchmal im Bioladen. Wie oft am Tag machst du den Kühlschrank auf? 2-mal. Hat dir die Analyse deines Kühlschranks geholfen, dich besser zu verstehen? Nein, die ist daneben. Nichts ist kollektiv, es gibt ein strenges Fächerteilsystem. Wir sind unpolitisch. Im Senfeimer: roher Pansen für den Hund. In der Plastikbox: Mückenlarven für die Fische. An der Kühlschranktür: Magnete aus aller Welt. Nur das mit Deliveroo stimmt.

Frau/Mann/Trans/*/_/x? Auf jeden Fall kein Beef!-Leser. Lebst du alleine/mit Kindern/Freunden/ Partner? Mit Partnerin Wie oft gehst du einkaufen? Und wo? Täglich, analog, im Fachgeschäft. Wie oft am Tag machst du den Kühlschrank auf? Öfter als ich in den Spiegel sehe. Hat dir die Analyse deines Kühlschranks geholfen, dich besser zu verstehen? Siehe Antwort 4.

Frau/Mann/Trans/*/_/x? Frau. Lebst du allein/mit Kindern/Freunden/Partner? Allein, allerdings lebt die Fernbeziehung auch mit. Wie oft gehst du einkaufen? Und wo? Gute Woche: 1-mal Großeinkauf bei Penny, Rewe, Kaiser´s, Frisches bei Gemüse-Späti, Bio-Company oder vom Markt. Schlechte Woche: teurer Edeka um die Ecke, Getränke beim Späti und Essen bestellen. Wie oft am Tag machst du den Kühlschrank auf? Mindestens 5-mal, wegen Maracujaschorle. Wenn Gäste da sind, öfter. Hat dir die Analyse deines Kühlschranks geholfen, dich besser zu verstehen? Dass ich eine leicht zwanghafte Aufräumerin bin, wusste ich. Dass ich meine Butter nach Aussehen kaufe, nicht. Was ist das für 1 life?

vonDoris Akrap (Text)undAndré Wunstorf (Fotos)

Der Nudger

Ordnung: Wer auf den einzig freien Platz in seinem Kühlschrank noch ein Netz Kartoffeln legen muss, hat ein Problem mit dem Ungewissen. Starker Hinweis auf mangelnden Mut zur Lücke.

An der Kühlschranktür hängt: sicher eine To-do-Liste, damit keine Leerstelle im Alltag entsteht.

Mischungsverhältnis (fest/flüssig): 56:4. Außer Milch und einer balsamicoähnlichen Flüssigkeit kein einziges Getränk. Lässt darauf schließen, dass hier Kriegsgenerationentraumata weiterleben: Kein Geld für Wasser ausgeben, weil man ja noch aus dem Spargelwasser einen Smoothie zubereiten (und aus Rhabarberfasern Seife gewinnen) kann.

Besitzer: Nudging nennen Wissenschaftler das Phänomen, ständig und überall Obst und Gemüse rumliegen zu haben, um Anreize zu schaffen, das Zeug auch zu essen. Dieser Kühlschrank gehört entweder einem auf Nudging setzenden Exalkoholiker oder Helikoptereltern, die ihren Kindern den Anblick von Fusel im Kühlschrank nicht zumuten wollen, den einer Tablettenschachtel aber schon.

Der Hedonist mit Handbremse

Ordnung: Kein Platz für Chichi wie Paleo-Food und Overnight-Chia-Joghurt. Man setzt auf Discounter-Hedonismus.

An der Kühlschranktür hängt: vermutlich Selbstgekritzeltes von Kindern.

Mischungsverhältnis (fest/flüssig): 26:10. Sympathisch. Doch die Abwesenheit von Fast Food (außer Ketchup) verrät: Hedonismus mit Handbremse.

Besitzer: Wegen der Unmengen an Eingewickeltem gehört dieser Kühlschrank sicher besorgten Eltern, die den Kleinen kein totes Tier (das mutmaßlich in den Plastiktüten liegt) im Kühlschrank zeigen wollen. Hier wird versucht, dem Schicksal der SPD zu entkommen: Man macht seinem Nachwuchs klar, warum es sich lohnt, Kind seiner Eltern zu sein (Super Dickmanns), damit die später nicht irgendeine Paleo-Partei wählen.

Der Adornit

Ordnung: „Sitzt. Passt. Wackelt. Und hat Luft“ ist wahrscheinlich die Standard-Antwort des Besitzers auf die Fragen nach dem guten Leben. Mit der vermeintlichen Unbekümmertheit wird hier jedoch Kunstwissen zur Schau gestellt: Die Anordnung ist nur scheinbar lieblos, folgt aber den radikal experimentellen Regeln des Fluxus.

An der Kühlschranktür hängt: Vermutlich nichts. Wozu auch?

Mischungsverhältnis (fest/flüssig): 20:4. Kaffeepulver im Kühlschrank und die Wodka-Flasche im Regal (vermutlich). Täuscht konservative Werte an: der Kühlschrank als Ort, der Dinge kühlt, die man braucht, wenn man viel getrunken hat: Camembert (45 % Fett i. Tr.).

Besitzer: Mutmaßlich ein einsamer Adornit, wegen „Es gibt keinen richtigen Kühlschrank im falschen“.

Der Foodbomber

Ordnung: Es muss sich hier um das Projekt Kühlschrank Gardening handeln. Fressfeinde und Futterneider werden durch Markierung (Senfeimer, Milchpackung) abgeschreckt.

An der Kühlschranktür hängt: vermutlich 41 Frühstücksideen für einen leckeren Start in den Tag.

Mischverhältnis (fest/flüssig): 38:10. Es lebe das Kollektiv. Hier kann noch jeder seine Großbriefverpackung reinstellen. Nach dem Motto: „Lebe wild und gefährlich“ werden hier sicher Foodbombs gebastelt, um unliebsame Politiker zu bewerfen.

Besitzer: Infinite Food nennt man die Entwicklung, dass überall ständig gegessen werden können soll. In Fashion-Stores oder auf dem Autohausdach. Für die Besitzer dieses Kühlschranks scheinen Deliveroo & Co existenziell.

Der Beauty-Fooder

Ordnung: Exotische Ausländer werden in einem Extrafach vom Rest separiert. Deutet auf einen Vertreter der Willkommenskultur, der auf Integration und gute Nachbarschaft setzt, aber nichts überstürzen will.

An der Kühlschranktür hängt: vermutlich ein Rezept von der Uroma.

Mischungsverhältnis (fest/flüssig): 16:16. Sogar Festes wird in Flüssigem gelagert. Lässt auf einen ausgleichenden Charakter schließen. Allerdings verraten die nicht identifizierbaren Kronkorken der Bierflaschen, dass hier kein Everything-Goes herrscht, sondern rigides Kretschmanntum.

Besitzer: Starke Fußnägel, straffe Haut, kräftiges Haar: wer jetzt trendet, ist Beauty-Fooder. Alles, was schön macht, wird gegessen, der Rest ist Nazi-Food. Der Besitzer ist mutmaßlich ein antifaschistisches Foodie-Girl.

Der Law-and-Orderer

Ordnung: Hier wird nicht geordnet, hier wird kuratiert. Die Butter wird nicht nach Geschmack gekauft, sondern weil Farbe und Form den Erdbeerkorb und das Döschen mit dem aufgeschäumten Frischkäse kontrastieren.

An der Kühlschranktür hängt: Vermutlich ein Magnet mit Schrift: „Was ist das für 1 life?“

Mischungsverhältnis (fest/flüssig): 21:9. Angebrochene Alkoholika weisen den Besitzer als auf alles gefassten Gastgeber aus. Flaschen sind nicht halbleer, sondern halbvoll.

Besitzer: In den USA gibt es einen neuen Trend: Aufräumen. Durchgesetzt hat sich dafür das Verb „to condo“ nach der Theoretikerin des neuen Aufräumens, Marie Kondo. Der Besitzer ist also sicher eine Single-Kondoniererin, die gegen Law and Order in der Politik ist, ihr Privatleben allerdings nach der Broken-Windows-Theorie des New Yorker Bürgermeisters Giuliani führt: Zero Tolerance.