piwik no script img

Gut angekommen, gut aufgenommen

LyrikAuf dem Poesiefestival wurde darüber diskutiert, was „Schreiben nach der Flucht“ bedeutet

Wer genau hinsah, glaubte sie noch erkennen zu können: die Wut und die Erschöpfung. Aber wahrscheinlich war auch das nur Projektion – bis auf Ghayath Almadhoun, der aus Schweden angereist war, wohin er bereits 2008 emigriert war, wirkten die syrisch-arabischen DichterInnen, die für dieses Gespräch zum Poesiefestival eingeladen waren, gut angekommen, gut aufgenommen, unerschütterlich und bodenständig. Dabei sind sie allesamt Flüchtlinge, müssen sich mit einer neuen Kultur, einem neuen Sprachraum auseinandersetzen: „Schrei­ben nach der Flucht. Worte im Handgepäck“ hieß die Runde, die von der Übersetzerin Leila Chammaa moderiert wurde.

Den vorgetragenen Gedichten und Kürzestgeschichten hörte man die Umstände natürlich schon an. Allerdings auch die Diskursunterschiede – Jalal al-Ahmadis Verse steckten noch tief in einer arabisch-islamischen Tradition, Ghayath Almadhoun hingegen fand für die Schrecken seiner Heimat nicht nur drastische Bilder, sondern auch Bezüge zu westeuropäischen Denktraditionen. Er verteidigte Heidegger, rief Foucault an und malte darüber hinaus ein warnendes Bild, das von Syrien mühelos auch auf hiesige politische Zustände übertragbar war: Wo die Aufklärung verworfen wird, wird das Böse erwachen.

Ansonsten fiel auf, dass „Allah“ grundsätzlich mit „Gott“ übersetzt wurde. Die Genitivmetapher wiederum ist immer noch sehr beliebt, kam besonders bei Raed Wahesh aber in lustigen Verdrehungen daher: So war vom „Eisschrank des Lebens“ die Rede, und vom „Tuch des Schicksals“, mit dem die Augen verbunden worden waren.

Und während Almadhoun davon redete, dass er sich in Schweden schon wie ein „Olivenbaum am Nordpol“ fühle, haderten auch die anderen mit dem Gefühl des Nichtdazugehörens. „Asylantrag. Gedichte“, so hieß Almadhouns erster Band; Rasha Abbas las ihre lustige Geschichte vor, die sich mit den Absurdheiten der deutschen Sprache auseinandersetzte (unter dem Titel „Die Erfindung der deutschen Grammatik“ auch als E-Book bei Mikrotext erschienen).

Verstrickt in die Kämpfe

Und so saß man dann in dieser bundesrepublikanischen Sechziger-Jahre-Architektur mit Blick auf den Wald im Tiergarten, hier im kleinen Pavillon der Akademie der Künste, Sektion West, und dachte bei sich: Vielleicht auch ganz gut, dass die drei, die als Flüchtlinge in „der wiederaufgebauten Stadt Berlin“ (wieder Almadhoun, der außerdem fragte, ob er denn wie ein Reisebüro aussehe) angekommen sind, noch nicht so viel von der deutschen Literaturlandschaft und ihrer Ödnis und den Schattenseiten des eher strukturkonservativen Betriebs mitbekommen haben.

„Schreiben nach der Flucht“ bedeutet dann nämlich auch, dass die einen noch eine Weile mehr oder weniger unausgesprochen als „exotisch“ vom dankbaren Betrieb hofiert werden, so wie eben hier, während die anderen bereits tief in den existenziellen Kämpfen der westlichen Wirklichkeit verstrickt sind. So oder so aber könnte Literatur dabei entstehen, die besser und transzendenter ist als so manches, was eher gemütlich und deutsch daherkommt. Es wird sich etwas ändern, und das ist auch gut so. René Hamann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen