: Botschafterin der deutschen Herrenmode
Männerkonfektion Intelligente Schnitte, in den Details verspielt: Über das Berliner Modelabel Jennifer Brachmann
VON Marina Razumovskaya
Diese deutschen Männer sind ein sehr vernünftiges Völkchen. Schaut man näher hin: vertrackt. Auch das noch. Die einen tragen ein Hemd, das zugleich Gehrock ist; bei den anderen gehen Hemd und Weste ineinander über; die dritten haben einen Duffelcoat an, der von einem Trenchcoat kaum zu unterscheiden ist. Man trägt hybride Dinge. Ließe sich auch sagen: intelligente?
Die Männer, die ich meine, haben Ihre Anziehsachen etwa bei Jennifer Brachmann gekauft, einer Berliner Modedesignerin, die Anfang diesen Jahres vom Fashion Council Germany als eine von zwei deutschen KandidatInnen nominiert wurde, am berühmten internationalen Woolmark Preis teilzunehmen.
Der Fashion Council ist eine jüngst gegründete Interessenvertretung, die deutsche Modedesigner in die Welt katapultieren soll und die Woolmark Company das allbekannte dreieckige Zeichen auf edlen Wollsachen, eine Art DIN-Zeichen für Wolliges auf hohem Niveau. Yves Saint Laurent und Karl Lagerfeld haben 1954, am Anfang ihrer Karriere, den Woolmark-Preis gewonnen. Das Label Brachmann könnte damit zu einer Art Botschafterin der deutschen Herrenmode werden.
Brachmann war früher einmal Architektin und hat Modedesign in Halle an der Burg Giebichenstein studiert. Ihre erste Kollektion zeigte sie 2014 auf der Berliner Fashion Week. Seitdem gibt es Brachmann-Mode. Das Label ist hier in Berlin groß geworden, wo es, verglichen mit London, Paris, New York langsam zugeht, aber durchdacht.
Tritt man ins Studio von Brachmann, findet man sich in einer klaren Welt: ein minimalistischer, weißer Raum, vollgehängt mit den Teilen der letzten Kollektion. Die Designerin arbeitet nebenan in einer kleinen Werkstatt am neuen Modell: ein Trench-Dufflecoat mit Kapuze. Der Mantel braucht noch ein paar letzte Korrekturen, bis er produziert werden kann.
Meine Neugier treibt mich, die schlichten Teile der aktuellen Sommerkollektion anzufassen. Dabei entdecke ich, dass die Sachen in Wirklichkeit so schlicht nicht sind, wie sie aussehen. Sie sind aus komplizierten konstruktiven Elementen gemacht und bauen auf drei, wie Brachmann sagt, „ikonischen Klassikern“ auf: die Weste, das Hemd, den Cutaway. Der Cutaway, ein vornehmer Gehrock für die Hochzeit und besondere Anlässe, präsentiert sich bei Brachmann im neuen Kontext: als leichte Jacke mit lässigem Charme.
Aus solchen Elementen schöpft Brachmann ihre Vision vom Sommer: ein Hemd aus leichter, grauer „Sommerwolle“, vorne verschlossen und schlicht, hinten mit langen Gehrock-Schößen; eine leichte Sommerjacke mit Hemdkragen statt Revers; ein Trenchcoat aus Leinen, mit der Qualität und Optik von Jeansstoff, nur viel leichter; eine Hose mit hohem Bund, sehr weit geschnitten, mit einer unerhört tiefen Falte an der Seite, die dem Fuß alle Bewegungsfreiheit lässt, während sie am Gesäß aufregend eng geschnitten ist – absolute Must-have-Stücke für den Sommer in der Großstadt.
Brachmann folgt einer Bauhaus-Ästhetik mit vielfältigen konstruktiven Einfällen und intelligenten Schnitten, mal seriös, mal zurückhaltend, mal poetisch, in den Details verspielt. Diese Ästhetik hat sie zu ihrem Markenzeichen gemacht. Die Farbtöne sind ruhig, grau-blau, dazwischen als knalliger Eyecatcher: ein purpurroter Anzug.
Brachmanns Sachen kann jeder tragen. Es kommt nur darauf an, wo. Der rote Anzug lässt sich an einem Pariser Dandy im Les Deux Magots gut sehen, Berlin dürfte ein wenig zu schüchtern sein. Manche Outfits richten sich an die Herren der kreativen Kulturelite. Gern präsentiert sich diese Mode mit einem Schuss Fantastik – Mister Ripley lässt grüßen, der vorige Woche angefangen hat, leidenschaftlich alle Romane von Turgenjew zu lesen. Schon haben die jungen Männer Pfingstrosen im Mund oder auf dem Aug, dazwischen hyperromantische Jungs mit Schmelzblick, kurz vorm Duell. Am Rand ein strenger Offizier aus Lermontows Welt, der in Wirklichkeit moderner Komponist in der neu renovierten Staatsoper ist.
Nach dem langen, entspannten Gespräch mit Brachmann, in dem ich nicht aufhören konnte, neugierige Fragen über die aktuelle Kollektion, ihre Teilnahme am Woolmark Price und ihre künftigen Pläne zu stellen, hatte ich nur noch einen Wunsch: den Trenchcoat aus feinem dunkelblauen Leinenstoff, der Farbe japanischer Tinte, anzuprobieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen