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Archiv-Artikel

Krasse Exzesse

PSYCHOBILLY Im Underground eine große Nummer mit einer bedingungslos der Band ergebenen Anhängerschaft: Seit einem Vierteljahrhundert arbeitet Köfte DeVille jetzt mit Mad Sin am Hochgeschwindigkeits-Rock-’n’-Roll

„Ich habe gar nichts gegen diese Casting-Shows, aber das ist eine ganz andere Welt als unsere“

KÖFTE DEVILLE

VON THOMAS WINKLER

Beim vierten Mal hat es dann geklappt. Beim ersten Termin musste Köfte DeVille einen Gitarristen feuern. Beim zweiten war ein Schneesturm schuld, dass er festsaß in Holland, wo er gerade einen neuen Gitarristen gefunden hatte. Und als man ein drittes Mal zum Interview verabredet war, erwischte ihn eine Grippe. DeVille ist ein schwer beschäftigter Mann. Das bringt es mit sich, wenn man seit nun schon 25 Jahren der bedeutendsten Psychobilly-Band des Landes vorsteht. Außerdem ist der Frontmann von Mad Sin, das würde er bereitwillig zugeben, nicht immer der Zuverlässigste. So viel Rock ’n’ Roll muss sein – auch nach einem Vierteljahrhundert noch.

Ganz so schlimm wie früher, erzählt DeVille, geht es aber bei Mad Sin nicht mehr zu. Dass er bei der letztendlich doch gelungenen Verabredung bloß Pfefferminztree trinkt, liegt allerdings vor allem daran, dass er noch immer ziemlich krank ist. Also schnieft und schnauft und keucht der schwere Mann, während er zurückblickt auf 25 bewegte Jahre voller „finanzieller Desaster und krasser Exzesse“. Warum es seine Band Mad Sin immer noch gibt, das kann selbst ihr Frontmann und – neben dem legendär wortkargen Gitarristen Stein – einziges Dauermitglied nicht erklären: „Das Geheimnis ist vielleicht, dass wir nie wirklich den großen Erfolg hatten. Aber letzten Endes sind es wohl meine Sturheit und auch meine Faulheit, was anderes zu machen. Und um ehrlich zu sein: Ich wüsste auch gar nicht, was ich sonst machen sollte.“

In diesen 25 Jahren hat sich die Berliner Band ein so legendäres wie zwiespältiges Image erspielt: DeVille und seine Mitmusiker sind so berüchtigt wie kaum eine andere Band hierzulande. Sie haben in ihrer bewegten Existenz nicht nur ein paar großartig hingerotzte Alben herausgebracht und „auf allen Kontinenten außer Afrika“, so DeVille, Hunderte von krachenden Konzerten gegeben, von denen eins auf ihrer ersten, pünktlich zum Jubiläum erschienenen DVD „25 Years – Still Mad“ dokumentiert ist. DeVille und seine Band haben den klassischen Rock-’n’-Roll-Lifestyle stets in seiner Gänze abgedeckt: Sie haben sich mit anderen Bands angelegt, sind keiner Prügelei aus dem Weg gegangen, haben kaum eine verbotene Substanz verschmäht, manchen Kühlschrank leer getrunken und den einen oder anderen Backstage-Bereich zerlegt. Immer vorneweg: der nahezu ganzkörpertätowierte, mit Metall gespickte und extravagant frisierte DeVille, der sich selbst einen leichten Hang zur Diva bescheinigt und nicht nur in seinem Schöneberger Kiez, den er seit seiner Geburt als Mourad Calvies vor 43 Jahren immer nur für kurze Zeit verlassen hat, zum Subkultur-Promi geworden ist.

Die Folge ist, dass Mad Sin, wie es DeVille formuliert, „im Underground eine große Nummer sind“ und auf eine bedingungslos ergebene Anhängerschaft bauen können. Die Band füllt zwar problemlos die mittelgroßen Hallen, steigt in den finnischen Charts bis auf Platz 35 und verkauft selbst in diesen Krisenzeiten weltweit bis zu 20.000 Stück von ihren Alben. Eine erstaunliche Zahl, von der die meisten deutschen Bands nur träumen können. Aber ein Massenpublikum konnten Mad Sin nie erobern. DeVille lebt zwar von der Musik, aber nur knapp überm Existenzminimum, und wegen ihrer berühmt-berüchtigten Reputation werden sie nur selten von den größeren Festivals engagiert. Dabei spielt man schon lange mehr keinen puristischen Psychobilly, jene in den frühen achtziger Jahren unter dem Einfluss von Punk entstandene Weiterentwicklung von Rockabilly, bei der der Rock ’n’ Roll auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigt und mit bösartigen E-Gitarren versetzt wird. Mad Sin haben nach ihren kompromisslosen Anfangsjahren damit begonnen, Country- und Mainstream-Rock-Elemente einzubauen. Mittlerweile leisten sie sich sogar hin und wieder eine Ballade, die in ihrer Nische eigentlich mit lebenslangem Dosenbierentzug bestraft wird. Für das letzte, im Jahr 2010 erschienene Album, „Burn and Rise“, hat DeVille es sogar gewagt, zwei Songs mit deutschen Texten zu schreiben.

Den Underground haben Mad Sin trotzdem nie verlassen. Authentizität, sagt DeVille, ist die Geschäftsgrundlage seiner Band: „Wir haben nie etwas gefakt, denn das wäre der Tod in dieser Szene.“ Deshalb musste auch Matt Voodoo gehen. Der Gitarrist hatte sich als Kandidat bei „The Voice“ beworben. Der Amerikaner, der 2008 extra von Los Angeles nach Berlin gezogen war, um bei Mad Sin anzuheuern, schied zwar schon in der Vorrunde der Casting-Show aus, hatte aber die Band nicht eingeweiht: „Ich habe gar nichts gegen diese Casting-Shows“, sagt DeVille, „aber das ist eine ganz andere Welt als unsere. Ich will da nicht hin, ich will davon nichts wissen und nichts damit zu tun haben.“

Die Krise ist mittlerweile ausgestanden: Ein Statement wurde veröffentlicht, Mad Sin bekamen, wie DeVille es nennt, „ungewollte Werbung“ in der Boulevardpresse, und ein neuer Gitarrist ist auch gefunden, diesmal ein Holländer. Aber in 25 Jahren, resümiert der Sänger während der dritten Tasse Pfefferminztee, hat seine Band schon ganz andere Krisen bewältigt, indem man einfach immer weiter gemacht hat.

■ Mad Sin: „25 Years – Still Mad“ (People Like You Records/EMI) CD + DVD