piwik no script img

Vom Geschäft mit der Flucht

FOTOAUSSTELLUNG „Inventarisierung der Macht. Die Berliner Mauer aus anderer Sicht“ zeichnet den Mauerverlauf nach. Unser Autor erinnert sich an Tunnelbauer und Kunstaktionen am antiimperialistischen Schutzwall

Die Junge Union ließ Tunnel graben und kassierte Geld von den Flüchtlingen

von Helmut Höge

Da dachten wir schon, endlich ist das Mauergequatsche vorbei – jetzt sind die Syrer dran, aber nix da! Wir sollen die Mauer wieder in unsere Köpfe kriegen. Davon handelt nun eine ganze Ausstellung, „Inventarisierung der Macht“ genannt, des Fotografen Arwed Messmer und der Schriftstellerin Annett Gröschner. Auf beiden Seiten der Mauer gab es nach ihrem Bau anfänglich noch einen halbwegs heroischen Umgang mit ihr: Im Osten atmeten Intellektuelle wie Christa Wolf auf, im Westen halfen SDSler beim Tunnelbau und empfingen dann die Ostflüchtlinge mit Mao-Bibeln, womit sie sagen wollten, dass ein anderer Sozialismus möglich sei.

Aber schon bald wurde daraus ein Geschäft – von FU-Studenten der Jungen Union, die die Tunnel graben ließen und von den Flüchtlingen Geld kassierten. Es war sogar steuervergünstigt, außerdem bekamen diese Fluchthelfer, von denen später viele in der CDU Karriere machten, auch noch Orden dafür. Einer, der spätere Astronaut Reinhard Furrer, erschoss bei einer solchen „Befreiungsaktion“ einen Grenzschützer.

Dann kam der „Sendermann“, der mit dickem Pinsel überall „Der Senat foltert mit getexteten Reden“ an die Mauer schrieb – bis die Behörden ihn aus dem Verkehr zogen. Ihm folgten viele Sprayer, und schließlich mit Thierry Noir ein Künstler, der, soviel er konnte, mit immer wieder ein und demselben Kopfmännchen übermalte. Das wiederum ärgerte die Sprayer: Graffiti darf nicht von Graffiti ausgelöscht werden!

1986 wurde alles von einem weißen Strich durchkreuzt. Um diese „Aktion weißer Strich“ wird es auch in einer Veranstaltung im Rahmen der Ausstellung gehen (15. 6., 20 Uhr): Die Referenten, Anne Hahn und Frank Willmann, haben 2011 ein Buch „Der weiße Strich – Vorgeschichte und Folgen einer Kunstaktion“ herausgegeben. Für die fünf Ostler, die zuvor nach Westberlin ausgereist waren, war es eine Protestaktion – sowohl gegen das DDR-Regime als auch gegen die ganzen „Mauermalereien“, mit denen die Funktion dieser „Schandmauer“ verharmlost werde. Einer der Künstler wurde beim Strichziehen von einem DDR-Grenzsoldaten erwischt und musste sieben Monate in Bautzen einsitzen, bis ihn die BRD freikaufte. Ein weiterer erwies sich „nach der Wende“ als Stasi-Spitzel, ein dritter war der spätere Buchautor Frank Willmann. Es erwartet einen also Authentizität auf dieser Veranstaltung, auch die Referentin Anne Hahn ist gewissermaßen vom Fach: Sie flüchtete aus der DDR über Georgien – und landete kurz vor der Wende im Stasi-Knast in der Normannenstraße.

Vorher gerieten noch andere Lebewesen ins Visier der Künstler, Filmer, Verleger und Kleintierschützer: die geschätzten vier Millionen Kaninchen am „Todesstreifen“. Parallel besuchten immer mehr neoliberale Politiker aus aller Welt Berlin, um sich an der Mauer negativ über die „innerdeutsche Grenze“ zu äußern, also „den antiimperialistischen Schutzwall zu verunglimpfen“, wie meine DKP-Oma es nannte. Dann fiel die Mauer – und wieder machten sich die Schnösel von der Jungen Union unangenehm bemerkbar – auf der Mauer, wo sie auf dem Abschnitt beim Brandenburger Tor tanzten, Sekt tranken und reaktionäre Lieder grölten.

Wie es überhaupt zum Fall der Mauer kam? Heute denke ich: Das war von den zwei großen Alliierten oder auch von allen vier verabredet worden – und jemand aus dem ZK der SED musste das verkünden. Schon wenig später stürmte übrigens die Punkband Feeling B in das Ostparlament zu Gregor Gysi, der gerade aus einem Sitzungssaal kam, und bestürmte ihn, dafür zu sorgen, dass die Mauer wieder dichtgemacht werde, sonst sei alles zu spät. Gysi lächelte nur und hob entschuldigend die Schulter, womit er vielleicht sagen wollte: Da ist jetzt nichts mehr dran zu ändern.

Es folgte jene Zeit, in der sich Touristen Stücke aus der Mauer herausklopften, und „Mauerspechte“ dasselbe aus niederen Erwerbsgründen taten, um einzelne Segmente in die ganze Welt zu verkaufen. Während zugleich – an der später sogenannten East Side Gallery – mehrere Künstler aus noch niederen Motiven eine Mauer auf der Ostseite bemalten. Auch dagegen protestierten zwei Künstler, Alexander Brener und Barbara Schurz, mit weißen Strichen: Allerdings nahmen sie sich nur ein Mauerbild vor, das sie dafür gänzlich überweißten. Es wurde anschließend auf Kosten des Senats restauriert.

In der Ausstellung werden auch die „Grenzhunde“ in Wort und Bild thematisiert. Im Westen geschah dies erstmalig 1994 – mit Marie-Luise Scherers großartigem Spiegel-Essay „Die Hundegrenze“. Konkret ging es darin um „Alf“, über den der zuständige NVA-Soldat sagte, „den könnten Sie mit einer Mütze totschlagen“. Der „Trassenhund“, ein gelber Colliemischling, versah bis 1990 seinen Dienst mehr schlecht als recht in einer „Laufleinenanlage“ des Grenzkommandos Nord, danach wurde er privatisiert – zunächst als Hofhund in Göhlen und dann als Bewacher eines Gasthofs in Strachau bei Dömitz.

Später veröffentlichte die Dresdner Zeitschrift Totalitarismus und Demokratie (!) einen Text über den DDR-Grenzhund „Rex“, der in direkter Linie aus einem KZ-Wachhunde-Wurf kommen sollte. In der Ausstellung wird jedoch gezeigt, dass er von der DDR-Zuchthündin „Vroni von Falkenbruch“ abstammt. Im Katalog hat sich die Ausstellungsmacherin Annett Gröschner zudem näher mit dem Offizier für „Einsatz-Hunde“, Hans-Joachim Schneider, beschäftigt. Der beging wegen merkantiler Umtriebe in seinem Dienstbereich schließlich Selbstmord.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen