Der Sound des Geldmangels

Lesung Philipp Krohn und Ole Lödings „Sound of the Cities“ entpuppte sich als Plädoyer für urbane künstlerische Freiräume

Weit über tausend Lieder preisen Paris, gleichzeitig verlassen Bands scharenweise die Stadt

Paris ist eine Stadt für Einzelgänger, seinen Ruf als HipHop-Wiege verdankt New York der Verwahrlosung ganzer Bezirke, und der lange Schatten von Abba macht Stockholm bis heute zum Pop-Exportstandort schlechthin.

Derlei Erkenntnisse bieten Philipp Krohn und Ole Löding zuhauf. 24 Städte haben sie für ihr Buch „Sound of the Cities“ besucht. Ihre These: Viele Strömungen in der Geschichte der Popmusik wurden maßgeblich durch die Städte beeinflusst, in denen sie entstanden sind. Aus einer Kneipendiskussion ­entstanden ein Projekt und eine Reise quer durch Europa und Nordamerika.

Im Maschinenhaus der Kulturbrauerei präsentierten sie am Dienstag eine Auswahl ihrer Reiseerlebnisse. Dabei gab bereits die Soundcollage zum Einstieg die Richtung vor: „London Calling“, „Empire State of Mind“, „Vienna Calling“. „Wir haben uns für Berlin überlegt, nur die Kapitel zu den größten Metropolen vorzulesen“, führen sie aus. Und so geht es in den zwei Stunden um Bands und musikalische Entwicklungen in New York, Berlin, Paris, Los Angeles, London und Stockholm.

Unterhaltsam ist das, weil beide auf ganz gegensätzliche Musik stehen. Krohn, der F.A.Z.-Wirtschaftsredakteur, ist begeisterter Fan des Progressive Rock und gerät bei 8-Minuten-Schinken mit fünfminütigen Instrumental-Einstiegen so richtig ins Schwärmen.

Sein Gegenüber, Löding, Autor und Musikjournalist, bevorzugt die kurze Form. Abwechselnd lesen sie aus Kapiteln ihres Buchs vor. Sie beginnen wie klassische Reisereportagen, beschreiben die Fahrt in die Städte von der Autobahn aus oder berühmte Locations der Musikgeschichte. Auf der Suche nach dem „Sound of the Cities“ treffen Musiker und Textschreiber, aber auch Plattenhändler. „Sie kennen die lokalen Gegebenheiten,“ sagt Krohn.

Schnell wird klar: Den einen „Klang einer Stadt“ gibt es nicht: So steht New York gleichermaßen für HipHop wie für Punk, Los Angeles genauso für Frank Zappa wie für Katy Perry. Krohn und Löding fangen diese Widersprüche auf, indem sie Ohrenzeugen aus verschiedenen Dekaden und Stilrichtungen zu Wort kommen lassen.

Einige der Erklärungen sind sehr klischeebeladen – so wie die vom rastlosen New York, das niemals schläft, oder dass die Kälte und Dunkelheit in Schweden die Kreativität fördere. Immer wieder geben die Zitate aber auch einen frischen und wenig bekannte Blickwinkel auf die verschiedenen Städte wider. „L.A. hat keine eigene Identität. Menschen kommen von überall hierher“, sieht beispielsweise Pavement-Sänger Stephen Malkmus seine Stadt in einem kritischen Licht.

Zu den spannendsten Erzählungen des Abends zählt die über Paris. Warum preisen weit über tausend Lieder die französische Hauptstadt, während gleichzeitig Bands scharenweise die Stadt verlassen? Wie so oft ist es auch eine Frage verfügbarer Immobilien und kreativer Freiräume.

Das dicht bebaute und bürgerlich geprägte Paris biete eben kaum Raum für laute Rockmusik. Stattdessen befördern die Umstände elektronische Musik, die sich auch im stillen Kämmerlein zu Hause produzieren lasse. Die Stilrichtung „French House“ mit Künstlern wie Daft Punk, Justice oder Mr. Oizo stützen die Erklärungen der Au­toren.

Überhaupt bedrohe die Gentrifizierung in vielen Städten die kreative Szene. „Der ‚Sound of the Cities‘ ist heute der Sound des Geldmangels“, sagt Löding. Künstler werden in die Außenbezirke oder kleinere Städte getrieben. So ist der Abend letztlich auch ein Plädoyer für künstlerische Freiräume. Ronny Müller