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Out of Rüsselsheim

Kurdischer Folkrock Der Sänger Ferhat Tunç ist ein Star der Protestszene in der Türkei. Mehrmals wurde er angeklagt, aus seiner Haltung zur PKK macht er kein Hehl. Auf seinem Album „Kobani“ spiegelt sich die jüngste Geschichte seines Landes wider

von Daniel Bax

Ferhat Tunçspricht fließend Deutsch. Seine beiden Eltern haben 30 Jahre lang bei Opel in Rüsselsheim gearbeitet, aber seit 12 Jahren leben sie wieder in der ostanatolischen Provinz Dersim. Seine fünf jüngeren Geschwister, anders als er in Deutschland geboren, leben in Hessen und Nordrhein-Westfalen. Doch Ferhat Tunç hat die letzten Jahrzehnte in der Türkei verbracht.

Dort, in der Türkei, ist der Sänger ein Star der Özgün-Musik, wie jene Protestmusik genannt wird, die traditionelle anatolische Motive mit rockigen Klängen kombiniert. Bei Tunç ist die Nähe zur kurdischen Bewegung seines Landes unüberhörbar. Mehrmals wurde er verhaftet und mit Gerichtsverfahren überzogen, weil ihm mangelnde Distanz zur PKK vorgeworfen wurde. Zweimal, 2007 und 2011, kandidierte er als unabhängiger Kandidat für das Parlament in Ankara – erfolglos.

„Ich hatte große Hoffnungen in die versprochene demokratische Öffnung gesetzt“, gesteht Ferhat Tunç. „Wir dachten, das kurdische Problem werde jetzt endlich gelöst. Aber es waren nur schöne Worte. Es wurde viel gelogen, und jetzt sind wir wieder mitten in einem großen Krieg“, kritisiert er das brutale Vorgehen von Armee und Polizei in kurdisch geprägten Städten wie Cizre und Diyarbakır. „Nach Gezi hat sich viel verändert, ein weiterer Wendepunkt war der Kampf um Kobani, dann die beiden Wahlen“, resümiert er. Das Wahlergebnis vom Sommer 2015, bei dem die prokurdische HDP 15 Prozent erreichte, „hätte eine Chance für den Frieden sein können“, meint er. „Aber Erdogan hat sie für den Krieg genutzt. Sein Ziel ist es, eine Präsidialverfassung zu etablieren. Jetzt steuern wir auf ein diktatorisches System zu.“

Die Folgen spürt Ferhat Tunç direkt: Als er Anfang des Jahres auf Facebook den Teaser zu seinem neuen Album „Kobani“ postete, wurde seine Seite geschlossen. Über zwei Wochen lang war sie offline. „Seit fünf Jahren habe ich diese Seite, sie hat Tausende von Followern“, empört sich Tunç. „Ich finde, Facebook sollte sich nicht zum Handlanger von rassistischen Kräften machen.“

Schon den Albumtitel empfanden manche offenbar als Provokation. Sein norwegisches Label hatte sich dafür entschieden – „der Name ist ein Symbol, die ganze Welt kennt diese Stadt“, weiß Ferhat Tunç. Er selbst hatte Bedenken, weil er fürchtete, dass die CD in der Türkei deshalb nicht überall verkauft werden könnte.

In seinen Liedern voll Trauer und Schmerz spiegelt sich die kurdische Geschichte von Unterdrückung und Widerstand, die Stimmung auf „Kobani“ schwankt zwischen melancholisch und kämpferisch. Zwei Stücke sind den jungen Menschen gewidmet, die während der Geziproteste im Sommer 2013 von der Polizei erschossen wurden, ein anderes jenen, die im Oktober 2015 in Ankara einem Terroranschlag des IS zum Opfer fielen. Zwei weitere Stücke erinnern an die kurdischen Aufstände in den 1930er Jahren, die blutig niedergeschlagen wurden. Das revolutionäre Pathos mag nicht jedermanns Sache sein. Aber Ferhat Tunç trifft damit die Gefühlslage nicht nur vieler Kurden in der Türkei.

Ferhat Tunç verhehlt nicht, dass er parteiisch ist. „Ich bin kein Nationalist und gegen Gewalt“, betont er. „Aber nur zu sagen, die PKK sei terroristisch, das greift zu kurz“, fügt er hinzu. Die Schuld am Scheitern des Friedensprozesses gibt er der türkischen Regierung, die wieder „den gleichen Kurs wie zu Atatürks Zeiten“ fahre, so Tunç.

Eines seiner Stücke ist den drei Frauen gewidmet, die im Januar 2013 in Paris einem Mordanschlag zum Opfer fielen. Mit einer von ihnen, der PKK-Funktionärin Sakine Cansız, war er befreundet. „Wir sind mehrfach bei kurdischen Kulturabenden gemeinsam aufgetreten, sie hat sich stets für den Frieden eingesetzt“, sagt er. „Sie war wie eine Schwester für mich.“

Auch den Kampf der kurdischen YPG, die mit der PKK verbündet ist und den Norden Syriens kontrolliert, unterstützt er. Ferhat Tunç war selbst einmal dort, in Rojava: „Aramäer, Araber und Kurden regieren sich in den Kantonen dort selbst“, schwärmt er. „Die YPG kämpft nicht nur für sich und Rojava, sondern für die Menschheit gegen diese Barbaren.“

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