: In aller Andacht
Konzert Nach einem Auftakt mit verstörendem Krach durfte man im Berghain einem Star bei seinem Verschwinden zusehen: Hinter einer Nebelwand rief Tim Hecker mit sphärischen Drones zur Kontemplation
von Andreas Hartmann
Bevor das Berghain derart in Nebel getaucht wird, dass man die vor Augen nicht mehr sieht, bevor Leute im Publikum andächtig ihre Hände falten und gesenkten Hauptes den Darbietungen von Tim Hecker, dem Star des Abends, lauschen, wird man erst noch ein wenig gequält an diesem Donnerstag. Das Konzert des kanadischen Soundkünstlers ist dramaturgisch so aufgebaut, wie sich die christliche Kirche unser Dasein vorstellt: Erst irdisches Leid, dann folgt himmlische Erlösung.
Ein wenig ist das auch so wie in dieser Filmkomödie mit Keira Knightley und Steve Carrell „Auf der Suche nach einem Freund fürs Ende der Welt“, in der sich ein Asteroid der Erde nähert und klar wird, dass die Menschheit in ein paar Wochen Geschichte sein wird. Erst bricht in dem Film angesichts des drohenden Weltuntergangs überall Chaos und Gewalt aus, dann aber ergibt man sich ruhig und gelassen seinem Schicksal.
Die apokalyptischen Reiter sind die an diesem Abend die Band Wolf Eyes aus Detroit. Ein fieses Noisetrio, das die Geister von Throbbing Gristle und Suicide beschwört. Drei Typen mit Sonnenbrillen bearbeiten elektronische Gerätschaften und eine Gitarre, um damit verstörenden Krach zu veranstalten. Dazu irrt immer so ein Beatpuls durch die Nummern, und der Mann am Mikro sprechsingt irgendetwas Unverständliches.
Wolf Eyes, die es in ihrer zwanzigjährigen Bandgeschichte auf über hundert Alben gebracht und sich innerhalb der Indierockszene einen Namen als ewig schlecht gelaunte Stinkefingertruppe gemacht haben, scheinen diebische Freude daran zu haben, heillose Desorientierung beim Hörer auszulösen. Nichts klingt bei ihnen so, wie man denkt, alles wird zum unerwarteten Effekt, wahrscheinlich könnten sie auch auf einem Kamm blasen, und es würde klingen wie ein Düsenjet, der die Triebwerke anwirft.
Tatsächlich hat die Band derartige Taschenspielertrick auch zur Genüge in petto. Da wird zu all dem düsteren Soundgerumpel in ein Altsaxofon geblökt, eine Mundharmonika in einer Weise geblasen, als wolle man Bob Dylan auch noch eins mitgeben, und dann wird sogar ernsthaft die Flöte rausgeholt, eine Piccoloflöte – aber wirklich niemand denkt in diesem Moment an Jethro Tull.
Nach dem Auftritt von Wolf Eyes hört man bereits das Zischen der Nebelmaschine, die an dem Tag Höchstleistung fährt. Tim Hecker, der, nimmt man das gut gefüllte Berghain als Maßstab, inzwischen ein kleiner Star zu sein scheint, begibt sich erst auf die Bühne, als diese unsichtbar geworden ist. Man hätte auch einen Vorhang zwischen Musiker und Publikum hängen können, man sieht vor lauter Nebel eh nicht, ob da vorne nun wirklich einer sitzt oder nicht.
Tim Hecker ist nun auch schon seit zwanzig Jahren dabei, Musik zu produzieren. Anfangs war da noch seine Begeisterung für Techno hörbar, dann wandelte sich der Mann aus Vancouver langsam zum Drone- und Shoegazingexperimentator. Gemeinsam mit ähnlich gesinnten Überwältigungskünstlern wie Ben Frost und Johan Johanssen erarbeitete er sich in den letzten Jahren eine opulente, ambienthafte Soundsignatur zwischen Wohlklang und Störgeräuschen. Immer kontemplativer ging es dabei zu, ein Album wurde gar in einer Kirche in Island aufgenommen, und Hecker selbst bediente die Kirchenorgel. „Fake church music“ nennt Hecker seine Soundschwalle deswegen nicht von ungefähr.
Natürlich passt all das Sakrale seines Auftritts bestens zum Berghain, dieser Kathedrale des Techno. Auch an ein altes Credo aus den Anfangstagen des Techno wird erinnert: Der Star ist nichts, alles, was zählt, ist der Sound und ist man selbst als Teil der Gemeinschaft.
Nur tanzt halt niemand zu den sphärischen Drones von Hecker, sondern alle starren auf die Bühne, auch wenn dort nichts zu erkennen ist. Nicht einmal schemenhaft.
In der Volksbühne gab es vor Kurzem eine Veranstaltung, in der versucht wurde, das Problem der elektronischen Musik mit dem Performativen experimentell zu lösen. Einsame Laptopmusiker auf der großen Bühne sind eben öde, heißt es oft. Vorschläge an die Elektroniker waren bei der Veranstaltung: zusätzliche Visuals, Düfte und Opernsängerinnen.
Tim Heckers Lösung ist da noch einfacher: Er verschwindet ganz, dafür kann man dem Nebel zusehen, wie er in Schwaden tanzt, fliegt, schwebt und ganz langsam bis in die hintersten Ritzen des Berghain kriecht.
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