Offener Tisch Die beste aller Würste kommt nicht aus dem Wurstland Deutschland, sondern aus Italien: Die Salsicia schmeckt herrlich, wenn man sie am offenen Feuer röstet: Mirella, die Metzgerin aus Talla
Von Phillip Maußhardt
Alles muss man selbst machen. Sogar die Wurst. Seit mein Metzger weiß, dass ich meine eigene Wurst mache, hat sich sein Verhältnis zu mir völlig verändert. Er grüßt ganz anders. Mit einer Art von Respekt, einer Mischung aus Freundlichkeit und Hochachtung. Kürzlich kam er aus der Wurstküche heraus und sagte zu seiner Fleischfachverkäuferin: „Den bedien ich selbst.“ Dann entwickelte sich ein Fachgespräch, von dem die anderen Kunden im Geschäft kaum etwas verstanden. „Also dafür nehmen Sie am besten einen 32er Darm“, empfahl er mir, als ich ihm mein Rezept für eine italienische Salsicia beschrieb. Es macht mich ein wenig stolz, dass Herr Karl in mir nicht nur einen Kunden, sondern ein wenig auch den Kollegen sieht. Auch wenn ich im Vergleich zu ihm nur ein Stümper bin.
Man nehme einen Darm
Dabei ist Wurstmachen so ziemlich die einfachste Sache der Welt. Man nimmt einen Darm und stopft alles hinein, was so in der Küche herumliegt. Dann Knoten vorne, Knoten hinten und fertig. Für die meisten Menschen ist es vielleicht besser, wenn sie nicht so genau wissen, was da alles zwischen der Pelle steckt. Schon der Darm ist ja ein Stück Körper, dessen ursprünglichen Inhalt man sich besser nicht vorstellt. Da muss man sich nicht auch noch damit beschäftigen, dass die leckere Lyoner vor allem aus Schlachtabfällen, Konservierungsstoffen und Nitrat besteht.
Meine bescheidenen Kenntnisse vom Wurstmachen verdanke ich einer Verzweiflungstat. Eine Schulklasse suchte für mich nach einem passenden Geschenk und schaute sich heimlich in meiner Küche um. Dabei fanden sie alle Gerätschaften, die ein Hobbykoch so braucht. Nur einen Wurstfüller fanden sie nicht. Seither besitze ich so eine kleine Maschine, die aus nichts anderem besteht als einem Kolben und einem Drehmechanismus. In den Kolben stopft man die Füllung und drückt mithilfe des Mechanismus den Inhalt aus einer schmalen Öffnung direkt in den Darm.
Zutaten: 400 g Schweinebauch, 400 g Schweineschulter, 200 g Rückenfett (vom Metzger nicht zu fein durch den Wolf drehen lassen)
Schweinsdarm (Größe 30/32)
18 g Salz
5 g Fenchelsamen
2 TL weißer Pfeffer
2 zerdrückte Knoblauchzehen
1 Glas Weißwein
Zubereitung: Wurstmasse gut durchkneten. Mit dem Wurstfüller vorsichtig in den Darm drücken. Mit dem Handballen den gefüllten Darm in ca. 10 Zentimeter große Stücke unterteilen und mit einer Schnur abbinden. Etwa 2 bis 3 Stunden im Kühlschrank ruhen lassen, damit die Masse noch etwas fester wird.
Obwohl die deutschen Würste weltberühmt sind, fand ich meine Lieblingswurst in Italien: die Salsicia. Schon der Name klingt besser als die gemeine Thüringer Rostbratwurst, von deren Aussprache man allein Halskratzen bekommt. Die Salsicia wird von Region zu Region ein wenig anders zubereitet, die allerfeinste Variante findet man in der Toskana. Dort wird meist Fenchelsamen mit hineingegeben, den man nur selten im Gewürzregal eines deutschen Supermarkts findet. Ich kaufe deshalb oft Fencheltee, schneide den Beutel auf und schütte den Inhalt in die Wurstmasse.
In der Wurst liegt die Idee der Gemeinschaft verborgen, denn die Wurst verlangt nach vielen Essern. Das bedingt schon so ein handelsüblicher Schweinedarm, der oft bis zu drei Meter lang ist. Und wenn man schon einmal dabei ist, füllt man eben nicht nur einen Darm. 100 Würste sind schneller hergestellt, als man sich denkt. Wir machten vor ein paar Tagen eine Klassenfahrt, und so lag es nahe, die Frage nach der Verpflegung mit der Wurstfüllmaschine zu beantworten. Denn selbst die schönsten Klassenfahrten enden oftmals bei einem Grillfeuer mit der traurigsten aller Lösungen, der „roten Wurst“, auch Bockwurst oder Brühwurst oder sonst wie genannt. Immer jedenfalls ein ziemlich einfallsloses Produkt deutscher Fleischindustrie.
Wer jetzt eine selbst gemachte Salsicia aus dem Rucksack zieht, kann sicher sein, am großen Grill als kleiner Held gefeiert zu werden.
Wir saßen um das Feuer, und einer wollte wissen, woher das Rezept stammt. Ich erzählte die Geschichte, und es ist eine traurige Geschichte. Mirella, die Metzgerin aus Talla in der Toskana, machte die besten Salsice der Gegend. Sie hatte die Metzgerei von ihrem Vater übernommen, der früh an Krebs gestorben war. Mirella stand immer auf einem Podest hinter der Theke, damit sie die Kunden besser überblickte. Dadurch wirkte sie mehr wie auf einer Theaterbühne, was auch besser zu ihr passte. Denn Mirella war großes Theater. Sie verkaufte nicht einfach nur Fleisch oder Wurst, sie zelebrierte es. Sie war von zärtlich-herber Schönheit, und wenn sie mit dem Hackebeil aus dem Rinderrücken ein Kotelett schlug, tat sie es mit einer solchen Eleganz, dass ich mir wünschte, wenn ich schon sterben müsste, dann solle sie wenigstens den letzten Schlag ausführen.
Ab heute geschlossen
Eines Tages war die Metzgerei geschlossen. Eine Nachbarin erzählte, Mirella liege im Krankenhaus. Sie hatte auf dem Beifahrersitz im Auto ihres Mannes gesessen, als der eingeschlafen und auf eine Betonmauer gekracht war. Das nächste Mal sah ich Mirella im Rollstuhl über den Dorfplatz kommen. Die Metzgerei musste sie verkaufen. Es heißt, sie würde demnächst in ein Pflegeheim ziehen.
Meine Salsicia widme ich immer ihr.
Die Essecke:Philipp Maußhardt schreibt auf dieser Seite jeden Monat über das Essen in großen Runden. Außerdem im Wechsel: Jörn Kabisch befragt Praktiker des Kochens. Waltraud Schwab macht aus Müll schöne Dinge, und unsere Autoren treffen sich mit Flüchtlingen zum gemeinsamen Kochen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen