: Patient Wald fast tot
Forensik Fotografien gegen die Zerstörung des Hambacher Forsts
Von der Decke hängen, wie ein riesiges Mobile, 2.500 Bilder. An der Wand Großaufnahmen. Verstörend schöne Baumkonstellationen, Zweigwerke, Moosdetails, Wiesenstücke, geheimnisvoll, märchenartig, düster und licht. Den hängenden Bilder-Wald hat der Hildesheimer Fotografieprofessor Andreas Magdanz mit 90 Studenten gemacht – er zeigt den Hambacher Forst zwischen Köln und Aachen. Ausgestellt sind die Bilder bis 13. Mai in der Aachener Nadelfabrik. In konzeptioneller Klarheit, so schlicht wie ergreifend.
„Eine forensische Bestandsaufnahme“ nennt Magdanz die fotografische Arbeit eines Tages im Juli 2015. Forensik will kriminelle Handlungen systematisch untersuchen. Magdanz’Forstforensik ist Kunst, Aufruhr, Aufruf und Anklage zugleich, gerichtet gegen den Stromkonzern RWE. „Die Idee war, sich in Anlehnung an die Polizeiaufmärsche durch den Wald vorzuarbeiten“ und dem „fast toten Patienten“ ein Denkmal zu setzen, sagt Magdanz. Er spricht bei der Ausstellungseröffnung vom Bergrecht, dem Ermächtigungsgesetz für die Heimatvernichtung aus der Nazizeit, das teils bis heute gilt.
Als 15-Jähriger habe er, geboren 1963 in Mönchengladbach, miterlebt, wie ein Greis, der in seinem Nachbardorf den Baggern als Einziger nicht weichen wollte, „in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit massiver Polizeipräsenz abgeholt wurde und sein Haus am nächsten Tag abgerissen, samt Inventar“. Seitdem wurden „ganze Dorfgemeinschaften pulverisiert“. Jetzt ist der Hambacher Restforst im Weg, einer der letzten Urwälder Mitteleuropas. Magdanz stellt sich auf die Seite der Besetzer, die dort seit Jahren dauerhaft in Baumhäusern leben.
Die Widerständler werden kriminalisiert, bedroht, verjagt. Zwei weitere Ausstellungsorte, berichtet Magdanz, haben ihre Zusage feige zurückzogen, als die mediale Stimmung zuletzt mal wieder aufgeheizt war. „Wenn ich wüsste, dass wir den Strom des Tagebaus dringend bräuchten, für Menschen, für Krankenhäuser, dann wäre das eben ein hoher Preis, den wir zahlen müssten.“ Aber die Forstzerstörung sei unsinnig: 400 Meter tief graben und die Funde einmal verbrennen. Der Wald, sagt Magdanz, war „einmal der Sehnsuchtsort. Aber die Deutschen sind nicht mehr das Land der Dichter und Denker. Wir sind eine tumbe Masse geworden, mürbe.“
Bernd Müllender
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen