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Nahrhaftes Essen für alle Bedürfnisse

AKTIVISMUS Besuch beim krisenbewährten Kochkollektiv „Black Wok“ in Dresden-Löbtau

Von Gabriele Goettle

P eter P. studiert im letzten Studienjahr Geschichte und Englisch an der TU Dresden, mit dem Ziel, Lehrer zu werden. 1983 in Hessen geboren und aufgewachsen, kam er 2005 zum Studium nach Dresden, wo er sich bald in regionalen politischen Gruppen engagiert. 2011 war er einer der Mitbegründer des Küfa-Kollektivs „Black Wok“ Dresden, in dem er unter anderem seither aktiv ist. Seine Eltern sind bereits in Rente, die Mutter war Arztassistentin, der Vater war diplomierter Betriebswirt. Peter ist unverheiratet und kinderlos.

Die Ausspeisungen für Arme, vor allem durch Kirchen und Klöster, gab es schon im Mittelalter und es gibt sie bis heute. Eine weltliche Variante der „Klostersuppe“ kam Ende des 18. Jahrhunderts in England auf. Im Mutterland der Industrialisierung und Verelendung des Proletariats wurden von wohltätigen Privatpersonen und der neu gegründeten Heilsarmee zahlreiche „Suppenhäuser“ für Arme eröffnet. 1866 gründete in Berlin die jüdische Sozialreformerin Lina Morgenstern – eine Vertreterin der fortschrittlichen bürgerlichen Frauenbewegung – die erste Volksküche. Morgensterns Idee hatte Vorbildcharakter, weitere folgten. Sie gab sogar ein Kochbuch für Volksküchen heraus.

Es gibt auch eine linke Tradition der Volksküche, so betrieb die Internationale Arbeiterhilfe in den zwanziger Jahren Streikküchen. Hier hat man stets das solidarische Motiv betont, während die karitative Essensausgabe als Kaschieren von herrschender Armut abgelehnt wurde. In den USA existierten zahlreiche Volksküchen in der Zeit der Großen Depression. Während der sechziger Jahre gründete die US-Studentenbewegung solidarische Volksküchen, die 68er-Bewegung hingegen blieb hierzulande diesbezüglich vollkommen passiv.

Erst die Hausbesetzerbewegung der achtziger Jahre führte Volksküchen wieder ein und nannte sie VOLXKÜCHEN. Heute gibt es allein in Berlin über 30 autonome Volxküchen, betrieben von kleinen linken Kollektiven. Meist wird zusätzlich zu preiswerten vegetarisch/veganen Gerichten auch kulturelles und politisches Programm geboten. Mit der steigenden Zahl der Geflüchteten, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland kamen, etablierten sich in allen Städten auch viele Volxküchen für Flüchtlinge.

Das Hausprojektals Angriffsziel von Nazis

Peter, der anonym bleiben möchte, ist Mitglied des Küfa- Kollektivs und wohnt nicht weit entfernt von Zentrum und Uni, in Nord-Löbtau, einem ruhigen Stadtviertel Dresdens, das, im Gegensatz zur Neustadt, noch nicht gentrifiziert ist. Peter lebt in einem selbst verwalteten Studentenprojekt. Der vierstöckige villenartige Klinkerbau mit Garten, Vorgärtlein und Zaun ist saniert und liegt direkt an einer auf Stelzen stehenden Stadtautobahn. Das Haus war schon mehrfach Angriffsziel rechter Gruppen, deshalb wird die Haustür geschlossen gehalten. Eine junge Frau öffnet und führt mich freundlich durch das nach Essen duftende Treppenhaus hinauf in eine geräumige WG-Küche. Peter nimmt mich in Empfang und führt mich in sein kleines Zimmer, in dem gerade mal Hochbett, Bücher, Kletterseile Schreibtisch und Stuhl Platz haben. Ich bitte ihn, vom Küfa-Projekt zu erzählen und weshalb sie es nicht Volxküche nannten.„Wegen des historisch stark belasteten Begriffs Volk, an dem ja auch das halbherzige X nichts ändert, wollten wir uns davon distanzieren. Küfa heißt einfach nur ‚Küche für alle‘. Zur Gründung kam es eigentlich durch die Lage hier in der Stadt Dresden. Sie ist seit Langem geprägt durch eine äußerst angespannte politische Situation: Es gibt ständige Repressalien gegen Linke, auch bedingt durch die Diskurse nach den Großveranstaltungen des 13. Februar, also den Gedenkveranstaltungen zur sogenannten Bombennacht von Dresden.

Die Aufmärsche der Neonazis waren von Jahr zu Jahr massiver und aggressiver geworden, bis dann 2011 der Zenith erreicht war. Mit 20.000 bundesweit mobilisierten Leuten waren die Nazis unterwegs zu ihrem ‚Trauermarsch‘. Nur durch die Präsenz der vielen Gegendemonstranten konnte ihr Aufmarsch blockiert werden. In diesem Zusammenhang kam es auch zu einem Angriff von 80 Nazis auf das linke Wohn- und Kulturprojekt ‚Praxis‘ im Stadtteil Löbtau. Sie schleuderten Steine und Stöcke, das dauerte eine ganze Weile, während die Polizei den Verkehr regelte, ansonsten abwartete und nicht eingegriffen hat.

Im Viertel hat sich daraufhin eine Nachbarschaftsinitiative gebildet. Ergebnis jener Vernetzung war etwa ein Straßenfest, bei dem auch Geld übrig blieb. So kam es dann zum Entschluss, das Küfa-Kollektiv ‚Black Wok‘ aufzubauen, das Geld in die Infrastruktur zu stecken, um die Linke und die sozialen Bewegungen praktisch stärken zu können bei Aktionen. Also wir begreifen Kochen als politische Arbeit. Seitdem gab es unzählige Demonstrationen, Vorträge und Workshops, bei denen wir gekocht haben, und auch eine Einbindung in internationale Netzwerke, Reisen nach Calais und Kooperationen mit vielen anderen Gruppen. Das Konzept war gut. Wir wollten keine Küfa- Gruppe sein, die stationär einmal die Woche an einem festen Tag kocht, das gab es schon in der Stadt. Wir wollten von Anfang an eine mobile Küche betreiben – natürlich unkommerziell – eine ‚Aktionsküche‘. Wir können an jedem Ort zu jeder Zeit eine Feldküche aufbauen und loslegen. Wir nutzen selbst gebaute Töpfe, selbst geschweißte 200- Liter-Töpfe. Das sind Modelle, die von Vorreitern der Aktionsküchen wie ‚LeSabot‘, ‚Feine Gerüchteküche‘, ‚Food for action‘ oder auch die ‚Maulwürfe‘ in Freiburg konzipiert und genutzt werden. Es gibt ein internationales Netzwerk mobiler solidarischer, selbst organisierter Küchen, die zum Teil mehr als 10.000 Leute versorgen können: etwa beim G-8 Gipfel, den Klimakonferenzen und Nato-Protesten.

Großer Aufwandfür 1.000 Essenportionen

Unsere Kapazität ist natürlich viel geringer, aber für ein paar hundert Leute können wir problemlos kochen. Anfangs mussten wir noch eine Menge lernen. Es ist ja einfach, für 20 Leute zu kochen, für 50 geht es auch noch, aber, wenn es um 200, 500, 1.000 oder mehr Portionen geht, wird es ein logistisch und auch finanziell großer Aufwand. Aber das sind Erfahrungswerte, die von den Kollektiven auch untereinander ausgetauscht werden. Ich erzähle dir am besten mal an einem Beispiel, wie das so vor sich geht. Wir sind zweimal – 2012 und 2014 – mit der Gruppe nach Calais gefahren. Zuvor haben wir eine Spendenkampagne organisiert, um das Geld dafür aufzubringen, haben große Gebinde Reis, Nudeln, Bohnen, Linsen, Tee usw. gekauft und sind losgefahren. Wir wollten in Calais für die Flüchtlinge kochen und auch, um die dortigen Gruppen, wie die ‚No Border‘-Bewegung, zu unterstützen.

Nadelöhr am Eingangzum Eisenbahntunnel

In dieser französischen Küstenstadt am Ärmelkanal, die Teil der Festung Europa ist, warten Tausende Menschen ohne gültigen Pass, ohne Aufenthaltsstatus, viele sogenannte Sans-Papiers, auf irgendeine Möglichkeiten, trotz strenger Bewachung der Grenze, durch ein sehr winziges und gefährliches Nadelöhr auf illegale Weise nach England zu gelangen. Es gibt bereits eine Reihe von jungen Frauen und Männern, die beim Versuch, heimlich auf Lastwagen oder Zügen durch den Eisenbahntunnel nach England einzureisen, zu Tode gekommen sind.

Die Wartenden, die es immer wieder versuchen, sind schutzlos der Witterung und den polizeilichen Repressionen ausgeliefert. 2012 war die Repression gegen die Geflüchteten besonders heftig, weil anlässlich der Olympischen Spiele in London eine ‚Säuberungskampagne‘ in Calais durchgeführt wurde. Ständige Polizeigewalt in dem Lager, Razzien, Vertreibung von Menschen und Beschlagnahme ihrer Zelte, Schlafsäcke und sonstigen lebenswichtigen Utensilien waren an der Tagesordnung. Von Anfang Juni bis Ende September wurde die Essenversorgung der Geflüchteten besonders durch zwei Gruppen sichergestellt, ‚Salam‘ und ‚La Belle Etoile‘. Diese beiden Kochkollektive pausierten ab und zu. Damit die Versorgung der Geflüchteten gewährleistet war, wurden die Mahlzeiten während dieser Zeit von einem Freiwilligennetz aus ganz Europa zubereitet, so auch von uns.

Es kamen immer meist um die 200 Geflüchtete zu unserer täglichen Essenausgabe. Gekocht wird übrigens – und das von fast allen Küfas – ausschließlich vegetarisch/vegan. Nicht nur aus ethischen, sondern auch aus finanziellen und hygienischen Gründen. Wir versuchen, grundsätzlich biologische Zutaten zu verwenden und saisonal zu kochen. Bei den Flüchtenden berücksichtigen wir die unterschiedlichen Bedürfnisse. Also wir haben in Calais eine Art Dreikomponentenessen kreiert, bestehend vor allem aus Nudeln, Reis, Linsen und anderem frischem Gemüse.

Viele haben sich Gefäße und Plastikbehälter mitgebracht und sich das Essen eingepackt oder Portionen für andere mitgenommen, die nicht selbst kommen konnten. Wir legen großen Wert darauf, das Essen sehr nahrhaft zuzubereiten, damit die Leute, die ja im Stress sind und teilweise sehr, sehr lange Strecken zu Fuß zurücklegen, auch auf ihre notwendigen Kalorien kommen.

In Calais gab es einen zentralen Ausgabeplatz, der natürlich in dem Sinne nicht legalisiert war. Auch das Kochen selbst ist ja nicht legal, es ist im Prinzip eine Straftat, gilt als Unterstützung … als Fluchthilfe! Aber die Polizei hat uns lediglich observiert, ist mit dem Auto hinter uns her gefahren, mehr nicht. Die Verhältnisse in Calais insgesamt sind unbeschreiblich, und das schon über Jahre hinweg. Früher gab es große Feldlager, die von der UNHCR gestellt wurden und die die Regierung Sarkozy dann hat schließen lassen. Danach hat sich alles dezentralisiert. Es gibt Geflüchtete, die leben in besetzten Häusern – meist Frauen und Kinder. Andere haben in Industrieruinen Unterschlupf gefunden, wieder andere leben in Parks oder in kleinen Camps entlang der Autobahn – ohne Toiletten und Zugang zu Trinkwasser. Sie hausen unter Brücken, in den Wäldern an den Stadtgrenzen oder im Jungle de Calais, einer großen improvisierten Zeltstadt, in der Tausende unter notdürftigen, menschenunwürdigen Lebensbedingungen existieren. Sie alle waren und sind ständig von der Räumung ihrer Unterkünfte und der Zerstörung der Zeltlager durch Polizei und Bulldozer bedroht.

Auch in Calais marschieren rechte Gruppen

Aber auch auf Angriffe durch rechte Gruppen mit Feuerwerkskörpern und Molotowcocktails müssen sich die Geflüchteten jederzeit gefasst machen; so wie überall. Es gibt eine internationale Vernetzung der Rechten, in der übrigens auch die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, die Pegida, eine gewisse Rolle spielen. Pegida und andere Rechte planten ja am 6. Februar erstmals einen europaweiten Aktionstag, und da war auch Calais einer der ‚Aktionsorte‘, an denen Aufmärsche stattfinden sollten. Es wurden in Calais für diesen Tag zum Glück alle Demos verboten. Also man muss sagen, in Calais laufen sehr, sehr faschistoide Gruppen herum. Es herrscht eigentlich eine ständige Gefahr für Leib und Leben der Geflüchteten.

Voriges Jahr im November gab es einen Großbrand im Jungle de Calais, das war ein paar Stunden nach den Anschlägen in Paris, deshalb ging der Brand in der Berichterstattung ziemlich unter. Kaum jemand hat mitbekommen, dass mehr als 4.000 Menschen evakuiert werden mussten. Quasi das gesamte Zeltlager. Die Räumung stand übrigens unmittelbar bevor. Dass es keine Toten gab, grenzt an ein Wunder. Jedenfalls, beide Male, als wir in Calais waren, herrschte dort bedrückende Stimmung, besonders wegen der Polizeipräsenz und den Spezialeinheiten. Die waren jeweils nur kurze Zeit im Einsatz. Alles wirkte sehr militarisiert. Die Polizei kam auch öfter während unserer Essenausgabe, hat die Wartenden dort gezählt und dadurch sicher viele abgeschreckt. Denn es kommt vor, dass Geflüchtete einfach weg geholt und ins Polizeipräsidium oder gleich ins Gefängnis gebracht oder einfach irgendwo weit außerhalb der Stadt ausgesetzt werden. Das ist ohne Geld, ohne Orts- und Sprachkenntnisse furchtbar für die Betroffenen und überdies auch gefährlich.

Wir haben da einige Geschichten gehört von lokalen Aktivisten, die über das internationale Netzwerk Aktionsküchen den kompletten Sommer 2012 vor Ort waren. Gewohnt haben wir auch bei einem Aktivisten in seinem kleinen Haus, außerhalb von Calais. Haben dort im Garten unsere Küche aufgebaut und da gekocht. Wasser gab es aus dem Gartenschlauch. Das fertige Essen und den heißen Tee haben wir dann in Töpfen und Thermophoren in Autos verladen, sind damit zum Sammelpunkt gefahren und haben es ausgeteilt. Und das dreimal am Tag. Dort haben meist bereits 150 bis 200 Geflüchtete gewartet. Diese Essenmengen können wir sehr gut bewältigen, technisch kein Problem, aber psychisch schon. Das war jetzt das Beispiel Calais.

In Dresden haben wir auch viel gemacht. So bei der Besetzung des Theaterplatzes Anfang März 2015. Der Platz war ja quasi von Pegida in Beschlag genommen worden für ihre Kundgebungen. Samstag/Sonntag war damals eine Solidemo für die Geflüchteten mit etwa 5.000 Leuten, und im Anschluss daran wurde spontan auf dem Theaterplatz, direkt vor der Semper-Oper, ein Protestcamp errichtet. Die Forderungen waren: Abschiebestopp für alle Geflüchteten, Bewegungsfreiheit überall im Land, die Möglichkeit zu arbeiten, bessere medizinische Versorgung. Und, dass sie aus den Übergangsheimen und Bettenlagern rauskommen. Raus aus den Umständen, die dort herrschen, stattdessen dezentrale Unterbringung. Wir haben da Unterstützung geleistet und gekocht. Es war ja noch kalt und es gab einige größere Zelte, vergleichbar mit denen vom THW – eins davon war das Essenzelt. Strom gab es von der Semper- Oper, Wasser hatten wir im Wassertank mitgenommen. Da haben wir 200 Leute versorgt mit Essen, abends waren es ein bisschen mehr. Um Plastikmüll zu vermeiden, haben wir essbare Schalen verwendet, das ist zwar ein bisschen teurer, aber sinnvoll. Die Stimmung war sehr gut, Leute kamen vorbei, haben Lebensmittel gebracht, sich unterhalten, Tee getrunken, Musik gemacht. Aber es gab auch andere Situationen! Am Sonntagnachmittag und in der Nacht haben Hooligans von Dynamo Dresden das Camp angegriffen, wurden aber von Unterstützern und Polizei abgewehrt.

Unterstützer-Schutzringum die Essenkübel

Es gab auch einen konkreten Angriff der Pegisten während ihrer Montagsdemo, die sind eines Abends vorbeimarschiert. Plötzlich kam eine größere Gruppe angestürmt und sie brüllten ständig: ‚Räumen, räumen!‘ und ‚Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!‘. Wir befürchteten, dass sie uns die Essen­kübel umwerfen, aber das Camp war vorbereitet, es hatte sich so ein Schutzring von mehreren hundert Unterstützern um uns herum gebildet, den konnten die Pegisten nicht knacken. Viele der Geflüchteten und Unterstützer blieben über Nacht, denn man rechnete mit weiteren Angriffen und auch mit der Räumung.

Das Protestcamp war eigentlich für einen Monat geplant, es wurde aber bereits am nächsten Tag polizeilich geräumt.“ (Im Gerichtsbeschluss hieß es: Wer sich unter freiem Himmel versammle, setze sich zwangsläufig der Witterung aus und könne „nicht aus dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ein Recht zur Aufstellung von Zelten und Toiletten ableiten“. Anm.G. G.). „Die Räumung verlief übrigens friedlich. Trotz der kurzen Dauer dieses Protestes war es doch ein Erfolg und eine große Aktion. Er hat für sehr viel Wirbel gesorgt in der Stadt. Momentan haben wir in Dresden noch ein weiteres Problem, und zwar im Zusammenhang mit dem 13. Februar. Am Vorabend der Gedenkveranstaltungen zur sogenannten Bombennacht von Dresden wollten mehrere hundert Neonazis einen Gedenkmarsch mit Fackeln veranstalten, um – so ihre Diktion – an den ‚Bombenholocaust‘ zu erinnern. Wir hatten Informationen, dass die Marschroute – in diesem Jahr liegt sie wenigstens außerhalb des Stadtzentrums – vom S-Bahn-Haltepunkt Döbritz durch die Stadtteile Prohlis und Nickern zu einem Gedenkstein für die Opfer des 13. Februar in Altnickern führen soll. Dort gibt es Kranzablage und Ansprache. Der Gedenkstein ist in jedem Jahr eine Art Wallfahrtsort für Neonazis. Er trägt die Inschrift: ‚Wir gedenken der Opfer des angloamerikanischen Bombenterrors‘.

Sie passt damit ganz genau in ihr Geschichtsverständnis. Keinem scheint aber aufzufallen, dass es ohne die Nazis, auf die sie sich berufen, gar keine Bombardierung Dresdens gegeben hätte. Ich werde mal hingehen heute Abend. Man muss dem ja was entgegensetzen! In früheren Jahren sind sie immer am 13. Januar marschiert, aber seit 2014 machen sie das am 12. Wohl, weil sie für die Innenstadt keine Genehmigung mehr bekommen und auch, weil sie sich für den 12. mehr Medienaufmerksamkeit versprechen. Sie geben vor, mit ihrem Fackelzug still zu trauern, aber sie missbrauchen skrupellos die Emotionen in der Stadt, um auf sich aufmerksam zu machen und ihr braunes Gedankengut zu propagieren. Überhaupt sind sie in den letzten Monaten sehr selbstbewusst geworden, besonders nach den Auftritten in Freital und Heidenau. Da gab es 2015 ganz besonders heftige ausländerfeindliche Demonstrationen und Angriffe auf Geflüchtete und Unterstützer, Anschläge auf Flüchtlingsheime. Dort hatte die rechte Szene besondere Erfolgserlebnisse, ist auch verwurzelt in Kameradschaften und kann auf weitgehendes Wohlwollen der Bewohner zählen “ (Siehe dazu den ausführlichen Text zur Lage in Freital, taz v. 9./10. April 2016. Anm. G. G.).

Wie Pegida den Diskursin Dresden dominiert

„Und natürlich haben ihnen auch AfD und Pegida sehr viel Auftrieb gegeben. Seit über einem Jahr haben wir hier ja jede Woche montags Tausende von Asylgegnern, Fremdenfeinden und Rassisten auf der Straße. Der öffentliche Diskurs ist leider stark dominiert von Pegida. Und das liegt auch daran, dass es viele Punkte gibt, die einige tiefgreifende Schwierigkeiten in der Gesellschaft ansprechen, beispielsweise das mangelnde Vertrauen in Politik und Presse, der Mangel an Wertschätzung, die Mängel des sozialen Systems usw. Aber anstatt in einer kritischen Ursachenanalyse und Demonstrationen gegen die Verursacher zu münden, machen sich die Pegisten vorwiegend mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Luft. Das kann ja nicht hingenommen werden.

Ich bin total überrascht, auf welcher Ebene die Xenophobie stattfindet. Beispielsweise diese angebliche Angst vor den sexwütigen Männern, die vergewaltigend übers Land ziehen, dann der Futterneid: ‚Die kriegen alles, wir kriegen nichts!‘. Oder auch: ‚Die Kultur passt nicht zu uns.‘ Solche Sprüche hört man sogar von gebildeten Menschen. Sie sehen nicht, dass hier geistige Brandstiftung betrieben wird und dass die sich auswirkt, auch durch Übergriffe auf Geflüchtete und durch das Anzünden von Wohnheimen.

Aber kleine und sehr wichtige Fortschritte gibt es auch. Ein großer Erfolg ist, dass sich der offizielle Gedenkdiskurs 2016 deutlich verändert hat. Die Politik hat alte Muster revidiert, z. B. indem sie festgestellte, dass sie zuvor eigentlich jahrelang auf dem Heidefriedhof Seite an Seite mit den Nazis Kränze niedergelegt hat. Dort gibt es ja ‚das Rondell im Ehrenhain‘, mit einzelnen Gedenkstelen für die Konzentrationslager und für die Bombardierung Coventrys, Leningrads und Warschaus. Und es gibt auch eine Stele mit der Aufschrift ‚Dresden‘, womit die Bombardierung der Stadt sozusagen in eine Reihe gestellt wird mit Auschwitz, Bergen-Belsen und Coventry. Und diese Gleichsetzung, diese Opfer-Täter-Verdrehung, diesen besonders in Dresden herrschenden Opfermythos, prangern wir seit Jahren an. In diesem Jahr findet dort zum ersten Mal keine Veranstaltung statt. Aber die Stadt Dresden hat halt immer noch ihre Menschenkette. Das Umdenken dauert, aber es setzt allmählich ein! Das zeigt sich auch daran, dass der Täterinnen- und Täter-Mahngang, der ‚Mahngang auf den Täterspuren‘, inzwischen geradezu institutionalisiert wurde und beworben wird. Früher war er verboten und wurde kriminalisiert. Den Mahngang gibt es seit 2011, organisiert vom Bündnis ‚Dresden nazifrei‘. Die Idee war, zu zeigen, dass Dresden eben nicht die unschuldige Kulturstadt war, die hinterrücks zerstört wurde von den ‚Barbaren‘. Zum Mahngang kommen meist mehr als 2.000 Teilnehmer zusammen, jung und alt. Er bewegt sich an jedem 13. Februar durch die Stadt und sucht Orte auf, an denen die Nationalsozialisten Verbrechen begangen haben. Die Leitthemen sind immer sehr gut recherchiert und von Einführungen begleitet. Dieses Jahr ist der Themenschwerpunkt Euthanasie. Wir sind in Dresden gut vernetzt, es gibt zum Beispiel das NAMF, das Netzwerk für Asyl, Migration und Flucht, ein Netzwerk, das Aktivisten und Aktivitäten koordiniert, kann man sagen, also von Deutschkursen bis zu verschiedenen Unterstützungsstrukturen. Es gibt sehr viele alternative Wohn- und Kulturprojekte. Da hängen wiederum viele Personen und Gruppen zusammen. Es gibt in Dresden jede Menge Gruppen, die es geschafft haben, Menschen zu aktivieren, Leute dazu zu bringen, sich für dieses Thema zu engagieren.

Nachbarschaftsinitiativen sind sehr bedeutsam

Ich glaube, dass die Vernetzung auf diesen vielen kleinen Ebenen sehr wichtig ist: Nachbarschaftsarbeit hat große Bedeutung, man muss sich im Viertel zusammentun und gemeinsam die politische Arbeit organisieren, ob das nun die Solidarität mit den Geflüchteten ist oder in anderen Bereichen. Es geht auch darum, soziale Räume zu schaffen, in denen die Menschen zusammenkommen und auch mal gemeinsam miteinander Zeit verbringen können. Damit nicht nur immer über die Geflüchteten geredet wird, sondern auch mit ihnen. Wir haben Kontakte zu verschiedenen selbst organisierten Flüchtlingsgruppen, Kontakte, die im Laufe der Zeit entstanden sind, auch auf persönlicher Ebene, auf Freundschaftsebene. Das hat sich eigentlich sehr gut entwickelt.

Wie es mit uns, mit dem Kochprojekt ‚Black Wok‘, weitergehen soll, ist momentan allerdings etwas unklar. Viele von unserem Kollektiv, die seit Langem das Material von ‚Black Wok‘ verwalten, die Aktionen planen und kochen, haben kaum noch Kapazitäten. Es wird demnächst ein Treffen geben, auf dem wir uns mit diesen Fragen beschäftigen müssen. Mehr kann ich nicht sagen.“

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