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Ohne erhobenen Mittelfinger

Ausstellung „Billy Childish – unbegreiflich, aber gewiss“ in den Opelvillen Rüsselsheim

von Katharina J. Cichosch

Man könnte sich in einer Galerie moderner Klassiker wähnen, aber die Verortung will nicht ganz gelingen: Ist dieses Blumenarrangement hier nun ein Van Gogh, hat man es dort mit einem dieser typischen Munch-Bilder zu tun, auf dem Menschen in vorausgreifend psychedelischer Weise mit ihrer Umgebung verschmelzen? Ist der Akt von einem Gefährten Egon Schieles inspiriert?

Ganz falsch: Die Rüsselsheimer Opelvillen, sonst eher bekannt für ihre Fotografie-Ausstellungen, haben sich Malereien von Billy Childish ins Haus geholt. Über 20 Werke des britischen Alleskünstlers, des 1959 in Chatham geborenen und bis heute dort lebenden Poeten, Malers, Punkmusikers und Produzenten mit dem programmatischen Nachnamen hängen nun in den Räumen der ehemaligen Fabrikantenvilla, viele großformatig, daneben auch Monotypien und Devotionalien aus mehreren Jahrzehnten Self-Publishing, als das noch DIY und nicht Amazon hieß. Es gibt auch einen kurzen Film mit Billy Childish und Punkmusik, doch mit diesem biografischen Ausflug belässt es die Ausstellung auch, die Malereien sollen nicht im Klischee des überproduktiven Allround-Genies untergehen.

Bei genauerem Blick offenbart sich dann doch, dass die modernen Klassiker allenfalls Pate standen: Im Gestus des schnellen Pinselstrichs verzichtet Childish größtenteils ganz auf Grundierungen, so dass seine Bilder von Frau, Kindern, von sich selbst, aber auch von romantisierter Natur vielfach eher farbige Ölzeichnungen auf grauer Leinwand als richtige Gemälde sind. Die Kohleskizzen darunter scheinen durch. Matt, kein Firnis. Die Punkte, Striche, Arabesken, Schlangenlinien, aus denen sich seine Motive herausformen, sind immer wieder mit Neon durchsetzt: Knalliges Orange, Blau, Grün. Doch was ist das Amalgam, was all dies zusammenhält? Es bleibt ein irritierendes Moment.

Ignoranz des Zeitgeists

Das Anschauen setzt automatisch jene Prozesse in Gang, die der Künstler im Moment des Arbeitens tunlichst meidet: Intellektualisierung, Kontextualisierung, Sinnstiftung. In den 90er Jahren gründete Childish zusammen mit Charles Thomson die (von ihm, logisch, längst wieder verlassene) Stuckism-Bewegung, die sich explizit gegen Konzeptkunst, für die figurative Malerei aussprach und somit für das, was dem Künstler rund zehn Jahre zuvor seine damalige Freundin Tracey Emin an den Kopf warf: Seine Kunst, er selbst seien hoffnungslos steckengeblieben, stuck. Und man kann ihr ebenso gut recht geben, wie man Childishs völlige Ignoranz dessen, was gerade so Zeitgeist ist, sympathisch finden mag.

Denn natürlich ist seine Haltung, Konzeptkunst sei verkopft und elitär, nichts Neues. Aber umgekehrt: Was ist schon an ein paar Topfpflanzen, Taschentüchern, Polaroids und Lichterketten so progressiv? Wenn es allein um die Form geht, dann sind heute weder Installations- oder Konzeptkunst noch figurative Malerei Gütesiegel und Gradmesser an sich.

Insofern repräsentieren Billy Childishs Arbeiten eine Art Anti-Kunsthochschul-Kunst: Malereien, die keinem Zeitgeist, keinem Markt, aber eben auch keiner Akademieklasse irgendetwas schuldig sind (und die, Treppenwitz der Geschichte, nach vielen brotlosen Jahrzehnten inzwischen von namhaften Galerien vertreten werden). Die aufhört, bevor sie vollendet ist, die keine Vorstudien und Verbesserungen kennt, sondern Entwurf bleiben will, ganz im Geiste von Lo-Fi und Punk.

Einen möglichen Kontext für seine Malereien liefert Billy Childish gleich mit: „all of gods dark places / are mine“ titelt das Ausstellungsgedicht, das großformatig auf der Wand am Treppenabsatz prangt, und es schließt nach einer Aufzählung von Selbstporträts mit Pinsel, Schwänzen und Knochen, die sich außen statt innen befinden, von Bildern seiner Familie und Landschaften mit: „i / pick up my brush and glorify / myself all“. Egokunst also, wer braucht da schon ein Label wie Punk?

Auch wenn, zugegeben, der offen zur Schau gestellte Anachronismus heute besser wirkt als jeder Mittelfinger. Das kann man vielleicht belanglos finden oder dem rohen Ausdruck der DIY-Collagen, Fanzines und Plattencovern hinterhertrauern – der direkte Vergleich ist ja möglich –, wobei Letzteres nicht ganz frei von Anachronismus ist.

Wer sich um Rechtfertigungen nicht schert und Leerstellen begrüßt, kann sich mühelos in Childishs Bilder verlieben: In die überstilisierten Bergmänner und Birkenwälder, die irgendwo im Bild plötzlich auslaufen und die unbehandelte Leinwand offenstehen lassen wie eine klaffende Wunde. In diese merkwürdig vertrauten Ansichten von Mutter, Vater, Kind oder von Beduinen am See Galiläa, deren Idylle ein pinker Himmel mit Messerschmidt-Flugzeug pointiert.

Bis 26. Juni, Opelvillen, ­Rüsselsheim

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