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Knapp am Desaster vorbei

Algebra Der Landtag von Sachsen-Anhalt wählt Reiner Haseloff (CDU) erst im zweiten Wahlgang zum Ministerpräsidenten. Seine Koalition steht vor schwierigen Jahren

Schöne Aussichten: Haseloff am Montag im Landtag Foto: Jens Wolf/dpa

aus Magdeburg Michael Bartsch

Gespenstische Ruhe herrschte am Montagvormittag zu Sitzungsbeginn im Magdeburger Landtag. Wie in einer Kirche wurde nur geflüstert – als hätten vor allem die Abgeordneten der bereits besiegelten schwarz-rot-grünen Koalition geahnt, was kommen würde: Im ersten Wahlgang erhielt der bisherige Ministerpräsident und einzige Kandidat für die erneute Wahl, Reiner Haseloff (CDU), nur 41 Stimmen. Das sind drei weniger, als er für eine Mehrheit benötigt hätte, und fünf Stimmen weniger als die knappe Mehrheit der sogenannten Kenia-Koalition.

Nach einer einstündigen Auszeit glückte dann der zweite Wahlgang mit 47 Jastimmen, also mit mindestens einer Leihstimme jenseits der Koalition. Die Blumen, die auf den Tischen der Fraktionsvorsitzenden ohnehin erst zum zweiten Wahlgang bereitlagen, warteten nicht vergeblich. Damit ereignete sich ein ähnliches Szenario wie zur konstituierenden Landtagssitzung am 12. April. Damals hatte der zu wählende Landtagsvizepräsident Wulf Gallert (Linkspartei) einen Denkzettel erhalten, weil offensichtlich Teile der Union die Fraktionsdisziplin verweigerten. Dass dagegen in der konstituierenden Sitzung der zweite, von der AfD gestellte Vizepräsident glatt gewählt wurde, zeigt, dass die Sympathien mancher Unionsabgeordneter weit rechts liegen.

Dass seitens der CDU Vorbehalte gegen die Kenia-Koalition und insbesondere gegen den Einfluss der Grünen bestehen, zeigten auch von ihr unterstützte Demonstrationen von Landwirten. Mit 83,6 Prozent gab es beim Landesparteitag der CDU am Freitagabend auch die geringste Zustimmungsrate der drei Partner zum Koalitionsvertrag.

Die CDU hatte als einzige Fraktion auch keine Probeabstimmung durchgeführt, sodass es sehr wahrscheinlich ist, dass die fünf Verweigerer des ersten Wahlgangs aus ihrer Mitte stammten. Schon bei seiner ersten Wahl 2011 hatte Haseloff nur 57 Stimmen der damals mit 67 Sitzen aber komfortablen Mehrheit der Großen Koalition erhalten. Die Auszeit mit einer offensichtlichen Standpauke von Fraktionschef Siegfried Borgwardt brachte dann die Unionsfraktion auf Kurs.

Im ersten Wahlgang erhielt Haseloffnur 41 Stimmen

Nicht nur die auf 16 Abgeordnete geschrumpfte Linken-Opposition erwartet deshalb eine schwierige Legislaturperiode mit einem angeschlagenen Ministerpräsidenten. Der ausgesprochen detaillierte, 147 Seiten umfassende Koalitionsvertrag bietet zwar eine breite Grundlage. Die Spannweite reicht dabei von der Erwähnung der von der CDU geforderten Asylbewerber-Obergrenze für Sachsen-Anhalt bis hin zum konfessionellen Unterrichtsangebot für Muslime an Schulen. Das breite Einstiegskapitel widmet sich der Überwindung gesellschaftlicher Spaltungen und zeigt das Bemühen einer Kümmerer-Koalition.

Konsens besteht bei Mehrausgaben für Lehrer, Polizisten, Kommunen, Verkehr, Kinderbetreuung und Umweltschutz. Doch bei der Finanzierung dieses Sofortprogramms dürfte bald die erste Belastungsprobe auf die Koalition zukommen. Landesrechnungshofpräsident Kay Barthel hatte bereits vor einer neuen Verschuldung gewarnt. „Der Konsens in der Koalition wird mit finanziellen Zugeständnissen erkauft“, sagte er gestern am Rande der Sitzung.

Der alte und neue Ministerpräsident, nach der Wahl kaum entspannter als zuvor, bot denn in seiner Ansprache auch eine koalitionsübergreifende Zusammenarbeit an. Der ohnehin mehr auf Harmonie bedachte Reiner Haseloff will „eine weitere Polarisierung der Gesellschaft“ ebenso wenig zulassen wie Krach im Parlament. Diejenigen, die ihm zunächst ihre Stimme verweigerten, will er durch „gute Politik“ im Laufe der Legislatur überzeugen.

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