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„Tauchen an der Nordseeküste ist sinnlos“

Untenrum Der Tauchausbilder Erhard Schulz schwärmt vom Tauchen in der Ostsee: Immer noch vergleichsweise gute Sichtweiten, große Mengen wunderschön bewachsener Wracks auch schon in geringen Tiefen – und sogar Flora und Fauna haben einiges zu bieten. Die Nordsee kann da nicht mithalten

„Die Leute wollen eine Aufgabe unter Wasser haben“: Die zum Teil wunderschön bewachsenen Wracks zu fotografieren, kann ein Ziel sein. Foto: Erhard Schulz

Interview Klaus Irler

taz: Herr Schulz, was ist das Charakteristische am Tauchen in der Ostsee?

Erhard Schulz: Die Ostsee ist ein Flachmeer. Das heißt, Sie müssen schon mal so 200 Meter raus schwimmen, um auf fünf bis zehn Meter Tiefe zu kommen. Wir haben nirgendwo Steilabfälle. Es sei denn, Sie fahren nach Dänemark an den Kleinen Belt. Da können Sie vom Ufer aus innerhalb kurzer Distanzen bis zu 40 Meter tief tauchen. Auch der Bewuchs ist dort viel umfangreicher als in der südlichen Ostsee.

Was erwartet die Taucher auf dem Grund?

Immer dort, wo Fremdkörper unter Wasser sind, also Molen, Findlinge, Wracks oder Brückenpfeiler, siedelt sich Leben an. Trümmer wie zum Beispiel die der ehemaligen Torpedoversuchsanstalt in der Eckernförder Bucht sind ideale Verstecke für Fische. Wracks sind wunderschön bewachsen mit hunderttausenden von Seenelken. Auf dem eigentlichen Sandboden der Ostsee ist wenig sichtbares Leben. Das ist eher ein wüstenartiger Boden. Deswegen taucht in einfachem, flachen Wasser niemand gerne.

Wie sind die Sichtverhältnisse in der Ostsee?

Die Sichtverhältnisse haben leider sehr stark nachgelassen in den letzten 30 Jahren. Eine Erklärung können selbst Biologen nicht geben. Man vermutet, dass die Verschlechterung durch die Einträge der Landwirtschaft kommt, die nach Jahrzehnten durch die Böden sickern. Heute haben Sie Sichtweiten zwischen zwei und zehn Metern. Vor 30 Jahren waren es noch bis zu zwanzig Meter.

Zehn Meter Sicht ist ja nicht so viel.

Für unsere Gewässer in Norddeutschland schon, da sind zehn Meter ein Traum. Im Regelfall haben Sie drei bis fünf Meter Sicht.

Wo wird gerne getaucht?

In der Eckernförder Bucht, der Howachter Bucht. Vor allem aber vor Fehmarn. Da gibt es etliche Findlinge und Wracks.

Was sind das für Wracks?

Die VS 54 zum Beispiel, das ist ein ehemaliger Fischtrawler, der im Zweiten Weltkrieg mit Kanonen ausgerüstet wurde und durch eine Mine gesunken ist. Dann gibt es einen Dreimaster unbekannter Herkunft, der etwa fünf Seemeilen vor der Küste liegt. In der Flensburger Bucht gibt es die Inger Klit, auch ein ehemaliges Frachtschiff, das durch einen Zusammenstoß gesunken ist. Und es gibt etliche Wracks, die Sie nur finden, wenn Sie die GPS-Daten wissen.

Wie tief liegen die Wracks?

Zwischen 20 bis maximal 30 Meter.

Also eigentlich attraktiv für Hobbytaucher.

Richtig. Wrack-Tauchen ist eine Faszination, egal in welchem Meer.

Woran liegt das?

Es ist das Geheimnisvolle. Die Wracks sehen ja nicht aus wie zum Zeitpunkt des Sinkens, sondern sie sind bewachsen. Die Stimmung ist düster.

Wie sieht es mit dem Hineintauchen in Wracks aus? Würden Sie das empfehlen?

Das ist ein sehr umstrittenes Thema. Das geht nur für erfahrene Taucher, weil immer die Gefahr besteht, dass man durch Aufwirbeln der Schlammsedimente die Sicht auf Null setzt und den Rückweg nicht findet. Profis legen Leinen, um den Rückweg zu finden.

Findet man in den Innenräumen der Wracks noch Gegenstände?

Die Archäologen – da gibt es an den Unis Kiel und Rostock engagierte Leute – sind sehr besorgt über Wrack-Plündereien von Sporttauchern. In der Ostsee gibt es ja hunderte Wracks.

Werden die noch aktiv von den Wissenschaftlern untersucht?

Ja, die finden mit modernen Suchmethoden immer neue Wracks. Da sind auch welche dabei, die über 100 Jahre alt sind. Aber wenn Archäologen auf solche Wracks stoßen, dann wird der Fundort geheim gehalten. Sehr viele und besser erhaltene Wracks gibt es vor der schwedischen Küste, weil der Salzgehalt im Wasser dort geringer ist und es weniger Schiffsbohrwürmer gibt.

Was bietet die Ostsee für Landschaftstaucher?

Die werden sich mit dem Fotografieren und Filmen beschäftigen. Durch die Digitalisierung sind sehr kleine Kameras entstanden. Das ist ein großer Faktor für Hobbytaucher geworden. Die Leute wollen eine Aufgabe unter Wasser haben.

Foto: privat
Erhard Schulz

76, lebt in Hamburg, ist stellvertretender Ausbildungsleiter im Tauchsport-Landesverband Schleswig-Holstein, Sachbuchautor und Unterwasser-Fotograf mit Veröffentlichungen in Magazinen und Bildkalendern. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Technischer Leiter einer Druckerei. 1963 gründete er den Deutschen Unterwasser-Club Kiel.

Welche Tiere und Pflanzen gibt es zu fotografieren?

Man sieht Aale, wobei die selten geworden sind. Es gibt Dorsche, Seehasen, Strandkrabben. Sehr zugenommen haben die Feuerquallen und Ohrenquallen. Winzige Krabben und Seenadeln sind für die Makrofotografie interessant. Der Meeresboden besteht aus Sand oder Seegrasfeldern.

Welche Temperaturen erwarten die Taucher in der Ostsee?

Maximal 20 Grad an der Oberfläche. In der Tiefe nimmt die Temperatur rapide ab. Das kann im Frühjahr runter gehen auf fünf bis acht Grad. Deswegen wird heute immer mehr mit Trockentauchanzügen getaucht, mit denen Sie länger aushalten können. Getaucht wird in der Regel zwischen 30 und 60 Minuten.

Welche Jahreszeit empfehlen Sie?

Den Herbst. Da ist das Wasser mehr durchwärmt und die Sichtweiten sind besser, weil es weniger Plankton gibt als im Sommer.

Ist die Nordsee eine Alternative für Taucher?

An den Nordsee-Küsten ist das Tauchen aufgrund der geringen Sichtweiten sinnlos. Es hat nur Sinn, nach Helgoland zu fahren und sich dort eine Genehmigung der Behörden zu holen. Für die Nordsee brauchen Sie aber eine deutlich größere Tauch­erfahrung, weil es durch die Gezeiten sehr starke Strömungen gibt. Manchmal können Sie nur in der einen Stunde tauchen, in der Hoch- und Niedrigwasser wechseln. Die Flora und Fauna sieht ähnlich aus wie an der Ostsee, vielleicht ein bisschen reichhaltiger.

Welchen Tauchspot an der Ostsee finden Sie am besten?

Die ehemalige Torpedoversuchsanstalt in der Eckernförder Bucht. Die besteht aus Beton, wurde nach dem Krieg gesprengt und bietet zahllose Höhlen und Steilwände und Grotten, die alle schön bewachsen sind. Aber die Anlage ist im Besitz der Bundeswehr und zum Tauchen offiziell nicht freigegeben. Ansonsten empfiehlt sich das Tauchen vor Fehmarn , weil dort die Sichtweiten generell besser sind als in der Kieler oder Flensburger Bucht. Und auch der Kleine Belt in Dänemark ist eine tolle Geschichte.

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