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Attentäter aus dem Erzgebirge

Kunst Via Lewandowskys Leipziger Ausstellung „Hokuspokus“ stellt den Wahrheits-und Erkenntnisgehalt von Bildern, Texten und die Institution Museum selbst infrage

Was ausgestellt wird, wird umgehend zur Kunst Foto: VG Bild-Kunst Bonn

VON Sarah Alberti

Ein Kassettenrekorder versprüht farbigen Rauch, eine Bassgitarre reibt sich wie ferngesteuert an einem weißen Sockel, während lautes Räuspern aus einem Megafon tönt – die Ausstellung „Hokuspokus“ mit 60 Arbeiten von Via Lewandowsky im Museum der bildenden Künste in Leipzig eröffnet mit einem Nebeneinander von Absurditäten und technisch ausgeklügelten Objekten, die sich der Einordnung in gut gefüllte Schubladen der Kunstkommode sperren. Positioniert auf weißen hüfthohen Sockeln kommen die 18 Sinnbilder museal daher, hinterfragen dabei zugleich ihren Ausstellungswert: Eine Vitrine ohne Inhalt ist in sich zusammengerutscht, eine andere schützt das Modell ihres eigenen Sockels, auf dem wiederum ein Sockel steht – die Form der Präsentation wird in den Kunststatus erhoben.

Aura, Wunder, Fetisch

Die Ausstellung „Hokuspokus“, 2015 bereits in der Kunsthalle zu Kiel zu sehen, ist weder Retro­spektive noch monothematisch angelegt – dennoch stehen die ausgestellten Arbeiten aus den vergangenen zehn Jahren stellvertretend für das Schaffen des 1963 in Dresden geborenen Lewandowsky. Der scheinbare Wahrheits- und Erkenntnisgehalt von Bild und Text sei eines seiner zentralen Themen, schreibt Kurator Frédéric Bußmann im Katalog, der das Spektrum um die Schlagworte Aura, Wunder, Fetisch, höhere Gewalt und Huldigung erweitert.

Vor allem der Glaube bewegt sich mit den Besuchern durch das Untergeschoss des Leipziger Museums: Da flackert das Bibelzitat „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ in Neonhandschrift an der Wand. An einer Radioantenne baumelt ein Rosenkranz mit Kruzifix – Sinnbild für die Glaubwürdigkeit der Medien? In einem dunklem Raum erklingen Auszüge des alttestamentlichen Buchs Kohelet aus 80 Lautsprechern, unterbrochen von Fliegengesumme und Taschenrascheln. Eine digitale Anzeigetafel erinnert an den Warteraum beim Bürgeramt. Doch die Zahlen bewegen sich im behördenuntauglichen Tausenderbereich, folgen dabei ohne Logik aufeinander: 9613, 4588 und dazu im Ohr: „Was geschehen ist, wird wieder geschehen.“ Eine Aussage, die an Kraft gewinnt, wenn man um den Entstehungskontext der Installation weiß: 2011 konzipierte Lewandowsky sie für das Jüdische Museum in Berlin.

So inhaltlich aufgeladen die Soundinstallation erscheint, so banal wirken auf den ersten Blick die häuslichen Settings im Nachbarraum, deren Bühnenhaftigkeit auch auf Lewandowskys Biografie verweist. In den 1980er Jahren studierte er in Dresden Bühnenbild, gestaltete ein solches im vergangenen Jahr für Leander Haußmann am Berliner Ensemble. In Leipzig hat ein Feuer das Pizzamahl samt Geschirr verkohlt, doch der Tisch blieb unversehrt. Auf einer ans Erzgebirge erinnernden Werkbank werden neben Holzherzen auch Selbstmordattentäter produziert – in Form kleiner Pyramidenfiguren. Und neben einer gerahmten Bahn Raufasertapete auf Raufasertapete, steht ein Einweckglas, darin: die Fasern von entfaserter Raufasertapete.

An einer Radioantenne baumelt ein Rosenkranz – Sinnbild für die Glaubwürdigkeit der Medien?

Lewandowskys Arbeiten eint ihre Uneindeutigkeit, ihr Vermögen, viel und doch nichts zu erzählen. Eine erläuternde Textebene im Raum sucht man vergeblich, die Dechiffrierung bleibt Sache der Betrachter. Der Künstler selbst schrieb kurze Kommentare für ein Booklet, das Besucher kostenfrei an der Kasse erhalten. Doch auch dieses ist nicht frei von Ironie: Wenn ein Bügeleisen der Marke Rowenta gegenüber einem Wandspiegel regelmäßig Dampf ablässt, mag er es als Glaubensbekenntnis zum sinnstiftenden repetitiven Handeln des Bügelns verstanden wissen: „Der scheinbar vergebliche Vorgang wird zur Meditation, das fauchende Ausatmen des heißen Dampfes zum Om der Tätigkeiten im Haushalt.“

So viel Vermittlungswillen war 1995 noch nicht erkennbar: Als erster Preisträger des Kunstpreises der Leipziger Volkszeitung hatte Lewandowsky in den damaligen Museumsräumen einen abgebrochenen Ausstellungsaufbau inszeniert: Das Licht flackerte und ein Tonband informierte über katastrophale Todesfälle nach Texten von Durs Grünbein. Jetzt hängen neben all den raumgreifenden Arbeiten recht unscheinbar Fotografien an der Wand, handschriftlich ergänzt abermals um Sätze von Grünbein, die erzählen, etwa vom unglücklichen Sterben einer Hollywood-Diva aus späten Stummfilmzeiten, die der Ungezieferbekämpfung in ihrem Seniorenheim zum Opfer fiel. Die Fotoserie – eine subtile Hommage an die damalige Institutionskritik?

In Leipzig hat Lewandowsky den „Hokuspokus“ zusammen mit Durs Grünbein eröffnet, das Museum plant einen ersten Werkankauf. Auch heute sind es seine Arbeiten, ihre Präsentationsform und die verwirrenden Begleittexte, die dazu animieren, nicht nur die Glaubwürdigkeit der uns umgebenden Realitäten, sondern auch die Autorität des Museums wie die des ausstellenden Künstlers anzuzweifeln.

Bis 29. 5. 2016, www.mdbk.de

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