: Das Auge fährt mit
Umhängetaschen Im täglichen Radverkehr ist eine Menge an schrägem Chic unterwegs. Messenger-Style – hauptsächlich Design oder auch funktional und robust? Für das Laptop sollte auf jeden Fall Platz sein
Mein Großvater ist täglich mit dem Rad zur Arbeit gefahren. Ein Transportproblem hatte er nicht. Er hatte eine Aktentasche aus abgeschabtem Leder. Die große Klappe stülpte er übers Oberrohr, ließ die Scharniere einrasten, und das Ding hing störungsfrei inmitten des Rahmens. Einer der wenigen Hersteller, die heute noch auf die Idee kommen, eine Tasche an dieser Stelle zu befestigen, ist die Berliner Manufaktur Bagjack.
Ihre „Frame-Bag“ wird am Ober- wie auch am Sattelrohr angeklettet. Allzu groß ist sie nicht, für die leichte Regenjacke und ein paar Kleinigkeiten reicht’s. Aber sie ist aus Cordura, einer sehr widerstandsfähigen Nylon-Spielart, unverzichtbar für viele Radtaschenhersteller. Bagjack schneidert daraus vor allem Umhängetaschen, in Handarbeit. Zumindest im urbanen Radverkehr scheint das die Biker-Rucksäcke und Hinterradtaschen verdrängt zu haben, die Rahmentaschen sowieso.
Die mächtigste Bagjack-Tasche kostet 319 Euro und fasst 50 Liter. Das reicht noch nicht für den Sack Kartoffeln, geht aber in die Richtung. Jedenfalls sind das 15 Liter mehr als bei einem Einzelexemplar der „Back-Roller Pro“, laut Hersteller Ortlieb „die größten wasserdichten Fahrradtaschen der Welt“. Die allerdings sind für den hinteren Gepäckträger gedacht. Bagjack macht’s auch ein paar Nummern kleiner: 30, 20 oder 13,5 Liter, alles da. Typisch fürs Sortiment wie auch für das Gros der heutigen Umhängetaschen: Sie liegen per Gurt dicht am Körper, zumeist schräg in der Rückengegend. Das Material ist robust, das Innere unterteilt und das Design auffällig. Abgeschabtes Leder war vorgestern.
Ortlieb ist mit seinen Gepäckträgertaschen groß geworden. Da aber kein Radfahrer mit seinem Rad verwachsen ist, findet sich an diesen Exemplaren auch der Schultergurt für den Fußweg zwischendurch. Doch das macht sie nicht unbedingt zu einer Umhängetasche, wie sie Fahrradkuriere, radelnde Banker oder auch Hipster mögen. Verständlich, meint Peter Kühn, Ortliebs PR-Manager: „Die klassische Hinterradtasche ist prädestiniert für die Radreise, die längere Tour.“ In den Städten nehme aber das Pendeln per Rad zu, also seien Taschen gefragt, in denen sich auch Laptop oder Aktenordner sicher verstauen lassen. Und aufgemerkt: „Wer mit dem Rad zur Uni oder ins Büro fährt, will nicht nur Funktion, sondern auch Style.“
Auf solchen Erkenntnissen basiert offensichtlich Ortliebs „Urban Line“, zu der auch echte Umhängetaschen gehören. Hergestellt aus einem mit Polyurethan (PU) beschichteten Mischgewebe aus Baumwolle und Cordura, einem wasserdichten Sofastoff quasi. Unser „Beitrag zur Asphalt-Ästhetik“, so der Hersteller. Die kleinere Größe (11 Liter) ist für etwa 150 Euro zu haben. Dieselben Modelle stellt Ortlieb auch noch aus PU-beschichtetem Nylongewebe her. Haben die ein bisschen weniger Ästhetik? Etwas preisgünstiger sind sie schon.
Wie bei allen angesagten Produkten sind auch bei den Umhängetaschen nicht nur die Platzhirsche aktiv. Junge Unternehmen versuchen, sich eine Nische zu erobern, so winzig diese auch erst mal sein mag. Bei Auguste 86 scheint das recht schnell zu klappen. Neben maßgeschneiderter Radbekleidung präsentiert der kleine Betrieb in Rostock eine Umhängetaschenkollektion – und ist bereits im Jahr 2013 für seine Ideen als „Kultur- und Kreativpilot“ ausgezeichnet worden.
Philipp Heyna, einer der beiden Gründer und Geschäftsführer, sitzt selbst an der Nähmaschine. Design? Klar, sagt er, aber schwer zu beschreiben. „Da arbeiten wir mit viel Intuition und viel Gefühl“. Mindestens genauso wichtig seien jedoch handwerkliche Qualität sowie Materialien, die auch die Großen haben und obendrein möglichst etwas Besonderes sind. So sei ihr 3-Punkt-Gurtsystem „selbstentwickelt und wirklich neuartig“, wie Heyna schwärmt. Und neben Cordura kommen etwa auch Markisenstoffe und vor allem eingewebte Reflektorfäden zum Einsatz. Auffallende Sicherheit. HD
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