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Das Maß finden

Konfektion Körper und Mode nach Maß: Die „Uni-Form?“-Schau in Potsdam widmet sich der Geschichte der Vermessung und Standardisierung des Körpers in der Textilindustrie

von Susanne Messmer

Nicht immer gestaltete sich der normale Klamottenkauf, wie wir ihn alle hassen, so: Man stürzt in einen Klamottenladen, schlägt sich zur Abteilung mit den präferierten „Styles“ durch, greift vier oder fünf Hosen und Shirts der gewohnten Größe von der Stange, probiert das Zeug an und hat nach Pi mal Daumen 15 Minuten den obligatorischen Einkauf zum Wechsel der Jahreszeiten abgehakt.

Die Konfektionsgrößen, wie wir sie heute kennen und wie sie unseren Einkauf rationalisieren, setzten sich erst in den 1960er Jahren durch. Davor gab es durchaus umständlichere Zeiten, in denen fast jedes Geschäft und Warenhaus eigene Techniken des Maßnehmens, Zuschnitts und des Konfektionierens kannte – und weil die Kundinnen damals die Kleidung nicht selbst anprobierten, gab es sogar sogenannte Vorführdamen. Berliner Konfektionäre, die Gebrüder Manheimer, waren es, die für ihr Konfektionshaus in der Nähe des Hausvogteiplatzes eines der ersten Größensysteme erfanden: die bunten Sterne. So kam es, dass blaue Sterne für die Mädchengröße reserviert wurden, Gelbsterne als Vorläuferinnen der Models für die ideale Normgröße und rote, grüne und weiße Sterne für Ältere-Damen-Größen.

Die Geschichte der Vermessung und Standardisierung des Körpers in Textilhandwerk und -industrie ist das Thema der Ausstellung „Uni-Form? Körper, Mode und Arbeit nach Maß“, die vor wenigen Tagen im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam eröffnet hat. Historische Exponate, Foto- und Videoinstallationen sowie künstlerische Interven­tionen setzen sich mit den Spannungen zwischen gesellschaftlichen Idealen und dem Wunsch nach Individualität auseinander, mit der Entstehung dieser Spannungen und dem vorläufigen Endpunkt, der Globalisierung der Textilproduktion.

„Die Suche nach den idealen Maßen und Regeln beginnt bereits in der Antike mit künstlerischen Proportionsstudien der menschlichen Gestalt“, so Kulturwissenschaftlerin und Kuratorin der Ausstellung Daniela Döring. Doch auch, wenn der menschliche Körper so lang schon vermessen und fragmentiert wird, wie die Menschen denken können, ging es mit den Kleidergrößen erst im 18. Jahrhundert los.

Die Arbeit am Maß

In der Ausstellung „Uni-Form? Körper, Mode und Arbeit nach Maß“ im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam widmet man sich der Geschichte und Gegenwart des textilen Handwerks und der Bekleidungsproduktion in Brandenburg-Preußen

Zu sehen ist die Schau im Kutschstall, Am Neuen Markt 9, bis 24. Juli dieses Jahres, Di.–Do. 10–17 Uhr, Fr. 10–19 Uhr, Sa., So. und an Feiertagen 10–18 Uhr

Zur Ausstellung gibt es ein Begleitprogramm. Am Mittwoch, 20. April, ist in einem Werkstattgespräch die Ausstellungsgestaltung selbst das Thema: „Vom Zuschneiden und Modellieren des Ausstellungsraums“. Geklärt wird das ab 18 Uhr. Weitere Information und Programm findet sich unter www.hbpg.de

Es ist wohl kein Zufall, dass einige der Gebrüder Manheimer später für die preußische Armee arbeiteten, denn hier hatte bereits ein Jahrhundert zuvor der Berliner Schneider Steudner die ersten vier Normalgrößen in Anlehnung der Aufstellung der Soldaten in vier Reihen erfunden. Natürlich liegt einer der Ursprünge aller Kategorisierung der Körper in Preußen: Der obligatorische Blaue Rock der Soldaten, eines der wertvollsten Stücke der Ausstellung, dokumentiert es eindrücklich.

Hightech gegen Kneifen

Auch diese Erkenntnis aber vermittelt die sehr anregende Ausstellung „Uni-Form“: Das standardisierte Kleidungsstück, das jedem passt, der weiß, wie er sich zu vermessen hat, ist bis heute nicht erfunden worden. Die Hose von der Stange wird am Ende immer an irgendeiner Stelle kneifen oder schlabbern.

Darum arbeiten Wissenschaftler in Hightech-Ländern wie unserem bis heute an der Lösung dieses Problems und entwickeln beispielsweise Avatare, auf denen die Kleidung lebensecht simuliert werden kann. Um diese Entwicklung geht es in der Ausstellung Hanna Fitch, Kokuratorin von „Uni-Form“, die in einer Black Box einen Bodyscanner nachgebaut hat: aus Legosteinen. „In ihrem Fortschrittsglauben ist die Wissenschaft manchmal naiv“, so Daniela Döring. Wissenschaftler können sich oft nicht damit abfinden, dass immer ein Rest, eine Abweichung, etwas Unpassendes bleiben wird.

Und was ist mit jenen, die kein Hightech zur Verfügung haben? Sie arbeiten sich nicht am Vermessen des Körpers ab, sondern am Vermessen der Arbeit. Gleich gegenüber vom Eingang in die Black Box setzt sich die Künstlerin Helena Waldmann damit auseinander, mit welchen Zwängen die Textil­industrie auf der „Rückseite“ unserer Welt zu kämpfen hat. Mit zwölf Tänzerinnen und Tänzern hat sie in den Textilfabriken von Bangladesch recherchiert und die Arbeitsbedingungen dort in Tanz übersetzt. Man sieht im Dokumentarfilm: Die bunt gekleideten Tänzerinnen und Tänzer hämmern den sonst so verspielten Kathak-Tanz zum Takt von Nähmaschinen in den Boden.

Sie wirken derart eingeklemmt in den harten Techno-Takt wie ein Mensch in einer schlecht sitzenden Hose, die er binnen 15 Minuten erworben hat.

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