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Real und sein Seismograf

Champions League Mit drei Treffern verhindert Cristiano Ronaldo im Alleingang die Blamage von Real Madrid. Beim Halbfinaleinzug gegen Wolfsburg zeigt der 31-Jährige seine Qualitäten als Instinktstürmer und Führungsfigur

aus madrid Florian Haupt

Auch was sein Torwart ihm vor dem entscheidenden Freistoß geflüstert hatte, wurde noch geklärt, am Ende dieser Nacht. Seiner Nacht. Der „magischen Nacht“, die er versprochen hatte. Langsam anlaufen und schießen, wie (nur) er es könne, habe Keylor Navas empfohlen, verriet Cristiano Ronaldo, dafür war der Keeper in der 77. Minute also 70 Meter über den Platz geeilt. Die plötzliche Lücke zwischen den Wolfsburgern Naldo und Guilavogui – kein Versagen? Etwa Magie? Sogar Plan? „Keylor sieht mich trainieren, er weiß, wovon er spricht.“

Wahr ist, dass Ronaldo mit den Jahren seinen Spielstil verändert hat. Der dreifache Weltfußballer agiert längst nicht mehr sospektakulär

Andere wissen es nicht, das ist das ewige Leid von Cristiano Ronaldo, dreifacher Torschütze beim 3:0 gegen den VfL Wolfsburg, Retter eines Real Madrid, das mit einer mehr konzentrierten denn umwerfenden Leistung eine der größten Blamagen der Vereinsgeschichte abwendete, den Mythos der europäischen Aufholjagden im Estadio Santiago Bernabéu restaurierte und doch noch das Champions-League-Halbfinale erreichte. Andere, vor allem in den Medien. „Sie kritisieren mich, sie kritisieren mich, sie kritisieren mich …“, sagte Ronaldo nach seiner großen Show, strahlend im schwarzen Glitzerfummel mit goldener Gürtelschnalle. „Aber auf mich ist immer Verlass“. 46 Tore hat er jetzt schon wieder geschossen in dieser Spielzeit, 16 allein in der Champions League, in der ihm nur noch ein Treffer auf den eigenen Rekord aus der Saison 2013/14 fehlt. „Gar nicht so schlecht für eine schlechte Saison, oder?“

Es klang freundlich und geradezu verständnisvoll, nicht so kühl und arrogant, wie er auch klingen kann, an den nicht so magischen Abenden, von denen es in dieser Saison schon reichlich gab. Wenn er selbst seine Millionen Anhänger mit kryptischen Äußerungen irritierte. Wenn man ihn über den alten Vorwurf der Egozentrik hinaus als Auslaufmodell abstempelte. Wenn es hieß, er habe sich mit seinen 31 Jahren und 359 Toren in 342 Spielen für Real bestens amortisiert, jetzt gelte es ihn zu verkaufen, solange sein Marktwert noch stimme. Auch im Klub wird durchaus mal mit diesem Gedanken gespielt.

Wahr ist, dass Ronaldo mit den Jahren seinen Spielstil verändert hat. Der dreifache Weltfußballer agiert längst nicht mehr so spektakulär, die Dribblings über das halbe Spielfeld samt Übersteiger und Hackenvorlagen gehören der Vergangenheit an. Selbst sein Astralkörper kann sie nicht endlos reproduzieren. Was er an ihre Stelle gesetzt hat, wird oft unterschätzt, weil die Wandlung weniger augenfällig ist als die seines ewigen Kontrahenten Lionel Messi, der vom Rechtsaußen über die falsche Neun zum totalen Fußballer mutierte. Ronaldo bringt dagegen eine klassische, fast altmodische, oft unsichtbare Tugend zur Aufführung – den Instinkt des perfekten Mittelstürmers. Gegen Wolfsburg verlor er elfmal den Ball und scheiterte bei allen sechs Dribbelversuchen. Aber er tauchte nach einer Viertelstunde binnen 84 Sekunden zweimal an der richtigen Stelle im Strafraum auf, um das 0:2 aus dem Hinspiel früh zu egalisieren.

Wahr ist außerdem, dass er die Führungsqualitäten entwickelt hat, die ihm lange abgesprochen wurden. In der Extremsituation des drohenden Ausscheidens schien er das Team emotional zu steuern, tippte sich an den Kopf, wenn er zu Ruhe und Geduld mahnte, und ruderte mit den Armen, wenn er mehr Leidenschaft für angebracht hielt. Im Umgang mit der Öffentlichkeit wiederum ist er einer der wenigen Stars der Branche, die sich überhaupt noch regelmäßig zum Interview stellen. Selbst an Tiefpunkten wie zuletzt vor anderthalb Monaten beim 0:1 zuhause gegen Stadtrivale Atlético, als der neue Trainer Zinédine Zidane resigniert über Einstellungsprobleme klagte und Ronaldo mal wieder ein kleines Erdbeben auslöste mit der Bemerkung: „Würden alle auf meinem Niveau spielen, wären wir vielleicht Tabellenführer“.

Wahr ist nämlich vor allem, dass „unsere Ikone“ (Kapitän Sergio Ramos) auch der Seismograf dieses Real Madrid ist – einer Mannschaft, die heute entschlossen wirken kann und morgen passiv, mal hinreichend harmonisch und dann wieder hoffnungslos durcheinander. Allein in den letzten drei Spielen hat sie beim Überraschungssieg in Barcelona (2:1) eine ängstliche erste Halbzeit hingelegt und eine todesmutige zweite, hat in Wolfsburg mit dem Desaster geflirtet und es zu Hause abgewendet. So geht das schon die ganze Spielzeit. Prognosen für Champions League oder Meisterschaft (vier Punkte hinter Barcelona) wagt da längst niemand mehr.

Um ihre Zukunft ringen auch die Wolfsburger: Europa League lautet sie in der nächsten Saison, bestenfalls. „Wir sehen eben, wo es noch fehlt bei uns“, sagte Trainer Dieter Hecking, nachdem sein Klub eine historische Chance verpasste, weil Cristiano Ronaldo es so wollte.

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