Was außer Beten bleibt

kunst In der Kulturambulanz ist die Schwierigkeit erfahrbar, sich fünf Jahre nach Fukushima zur Katastrophe zu positionieren

Keine rosigen Aussichten: „Das große Werk der Welt“ von Alex Cerveny Foto: Kulturambulanz

von Jens Fischer

Ein sonores Fiepen, fies monoton, windet sich durch die Ohrmuscheln ins Gehirn. Will genau dorthin, wo es wehtut. Kopfschmerzgefahr. Böse Blicke suchen den vermeintlichen Verursacher. „Nein, das ist nicht der Lärm der Klimaanlage“, erklärt Kulturambulanz-Chef Achim Tischer, „das ist Kunst.“ Ein Störgeräusch als Soundtrack der Diaschau „Verlorene Heimat“.

Fotos aus Geisterstädten flimmern über einen Bildschirm. Krautige Botanik erobert Orte einer sich selbst zerstörende Zivilisation zurück. Lässt Risse in den Häusern zu klaffenden Wunden aufplatzen. Einst um Kunden werbende Getränkeautomaten und betobte Spielplatzattraktionen rosten vor sich hin. Eine Sammlung von Screenshots, die jeder aus dem Internet ziehen kann, wenn er nach aktuellen Bildern aus der Todeszone Fukushima sucht. Installationskünstler Helmut Hennig integriert sie als Mahnung in die Jubiläumsschau „Incidents – Zwischenfälle“: fünf Jahre nach dem GAU-Triple aus Erdbeben, Tsunami und AKW-Kernschmelze im Nordosten Japans, 30 Jahre nach Tschernobyl.

Auf dem Boden der Galerie und auch im Park vor dem Galeriefenster hat Frank Fuhrmann Bilderbücher über Sushi-Variationen und andere japanische Kinderzimmerutensilien unaufgeräumt arrangiert und mit Absperrband als verseuchte Sperrzone deklariert. Verweist sowohl auf die lächerliche Willkür, radioaktiven Fall-out einzugrenzen und Sicherheit für die „Zukunft unserer Kinder“ zu simulieren.

Das sind aber schon die einzigen offensichtlichen künstlerischen Positionierungen. Ansonsten stört wenig die meditative Ruhe der Ausstellung. Gefasst, sogar heiter wirkt vieles. Ganz im Sinne der buddhistischen Lehre, die den Tod als dem Leben zugehörig begreift und es für unschicklich hält, etwas zu beklagen, was ohnehin nicht oder nicht mehr zu ändern ist. Was können Künstler da tun? Vielleicht beten. Bildnerische Requiems schaffen.

Shintaro Yanagida versucht es mit einem filmischen Frühlingsgedicht, reimt mit der Kamera buttergelbes Sonnenlicht und Kirschblütenpracht auf tröpfelndes Regennass, addiert wird ganz entspanntes Klaviergeklimper, bei dem jeder der wenigen Töne zwei, drei Sekunden Nachhall bekommt. Über den Bildschirm gleitende Blubberblasen seien gen Himmel schwebende Seelen, notierte der Videokünstler. Was froh stimmt. Tropfen sie doch irgendwann zurück auf die Erde. Wiedergeburt genannt. So entspannt dem Werden angesichts allgegenwärtigen Vergehens zugewandt, ist auch die Koreanerin Kwanho Yuh. Klitzekleine Samenkörner, teilweise beflügelt, porträtiert sie in grobflächigen Handinnenflächen.

Der französische Fotograf Denis Rouvre inszeniert Menschen, die aus der Katastrophenregion evakuiert wurden, fast alles verloren haben – aber nicht ihren würdevollem Gesichtsausdruck. Verblüffend ist, dass im Ausstellungsflyer wie selbstverständlich der „Atomkraft? Nein danke“-Smiley prangt, während in Japan, das durch den Abwurf der US-Atombomben noch eine ganz eigene Opfergeschichte hat, eine entsprechende Massenbewegung zur Energiewende ausblieb. Es wird weitergemacht wie bisher: atomkraftmeiernd.

„Darüber zu reden, ist verpönt“, beschreibt Tischer seine Erfahrungen bei der Recherche. Aus dieser Sprachlosigkeit erklären sich auch die eher abstrakten Artikulationsformen. Takashi Suzuki malt sechs Varianten zweier händchenhaltender Rauten, die in jeweils anderem Ausmaß aus dem Zentrum, aus dem Gleichgewicht ihrer postkartengroßen Leinwände verrückt sind – diesen Kunstgedanken beendet ein hinter die Werke platzierter Punkt, oder genauer: ein Quadrat aus einem roten und blauen Dreieck.

Über den Bildschirm gleitende Blubberblasen seien gen Himmel schwebende Seelen. Was froh stimmt.

Wer dem Künstler folgen mag, sieht darin das Unverbundene vereint, die Angst vor Verstrahlung und eine Hoffnung auf Zukunft. Zum innerlichen Dialog über diese Polarität lockt Bildhauer Michael Zwingmann. Er hat im Freien eine Bank gebastelt und einen Teich angelegt – zum Sinnieren über das Wasser als Urstoff des Lebens und Killerwelle. Als Element ist es geradezu Hauptmetapher der Ausstellung. Apart zart etwa Ute Seiferts Wassertropfen hinter Glas – als wären es gefangene Tränen. Dekorativ Chieko Fumikuras Plantschen in Farben: Aufloderndes Wasser malt sie und mischt noch Glitzerpigmente darunter.

Nicht Documenta-würdige Großkunst wird ausgestellt, aber ein optisch durchdachtes Vexierspiel zur Fukushima-Erinnerung ist der Kulturambulanz mit der Schau gelungen, die in ähnlicher Zusammenstellung bereits in Hannover und Bielefeld zu sehen war. Hat das Thema auch was mit Bremen zu tun? „Wir leben doch hier auf vermintem Gelände, sind umzingelt von AKWs und Atomzwischenlagern“, erläutert Tischer. Und deutet auf einen weiteren Bezug – draußen in den Bäumen des Klinikum-Parks.

Geradezu poetisch hängen dort nächtens illuminierte Häuschen. Tagsüber sehen sie aus wie Notbehausungen – was sowohl auf die Realität der Strahlenflüchtlinge verweist, mit denen in Japan keiner zu tun haben will, wie auch der Geflüchteten in den behelfsmäßigen Unterkünften auf dem Krankenhausgelände, die Willkommenskultur nur mit Störgeräuschen kennen.

Ausstellung „Incidents – Zwischenfälle“: Bis 19. Juni, Galerie im Park am Klikum Bremen-Ost