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Aus der Obhut verschwunden

Flüchtlingskinder Fast 6.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind aus dem Blick der Behörden geraten. Die meisten sind wohl weitergereist

BERLINtaz| In die Debatte um Hunderte verschwundene Flüchtlingskinder hat sich jetzt auch der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) eingeschaltet. Der Fachverband geht davon aus, „dass ein Großteil von ihnen sich selbstständig auf den Weg gemacht hat, um zu Angehörigen und Bezugspersonen zu gelangen oder weil sie sich in anderen Städten bessere Aufnahmebedingungen erhoffen“.

Sobald sie aus ihrer bisherigen Unterkunft verschwinden und nach 24 Stunden nicht wieder auftauchten, würden sie als vermisst gemeldet, so der Verband. „Wenn ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling in einer Kommune verschwindet und später andernorts wieder auftaucht, ist jedoch nicht gesichert, dass diese Information weitergeben wird – die Minderjährigen gelten dann dauerhaft als vermisst.“

Am Montag war bekannt geworden, dass im Jahr 2015 in Deutschland fast 6.000 minderjährige Flüchtlinge aus dem Blick der Behörden verschwunden seien. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Grünen hervor, über die mehrere Zeitungen berichtet hatten. Laut Innenministerium sind von 8.006 im vergangenen Jahr als vermisst gemeldeten minderjährigen Flüchtlingen nur 2-171 wieder aufgetaucht. 5.835 minderjährige Flüchtlinge gelten demnach als verschwunden.

Bereits Ende März hatten mehrere Europa-Abgeordnete in einem Brief darauf hingewiesen, dass verschollene minderjährige Flüchtlinge womöglich Opfer von paneuropäischen Banden würden, die sie für Sexarbeit, Sklaverei oder Organhandel missbrauchten. Die Grünen-Politikerin Luise Amtsberg kritisierte, die Bundesregierung ziehe diese Gefahren „nicht ernsthaft in Betracht“.

Aus dem Innenministerium hieß es, dazu lägen ihm keine Hinweise vor. Das Bundesfamilienministerium erklärte, dass in der Statistik wohl viele Jugendliche auftauchen, die nach ihrer Registrierung in Deutschland auf eigene Faust zu Familienmitgliedern in anderen europäischen Staaten weitergereist sind. Außerdem dürfte eine Reihe von Minderjährigen mehrfach in der Statistik auftauchen, wenn sie auf ihrer Reise an verschiedenen Orten in der Bundesrepublik registriert wurden.

Der BumF erklärte jetzt, es gebe zwar Hinweise darauf, dass manche von ihnen zu Prostitution oder Diebstahl gezwungen würden, weil sie zum Beispiel Schulden an Schlepper zurückzahlen müssten. Das Ausmaß sei dem Verband jedoch nicht bekannt. Er fordert die Bundesregierung auf, Kinder und Jugendliche in der Umsetzung ihrer Rechte zu unterstützen und vor Gefahren zu schützen. Dazu müssten die Aufnahmestrukturen in Deutschland entsprechend der Kinderschutzmaßgaben und Rechte von Flüchtlingskindern gestaltet werden und ein zügiger Zugang zur Schule gewährleistet werden.

Fast 6.000 minderjährige Flüchtlinge sind verschwunden

Gleichzeitig müsse die Bundesrepublik dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche zu Angehörigen und Bezugspersonen verteilt werden und sich nicht selbstständig auf den Weg machen müssten. Hierzu sei ein bundesweit einheitliches Verfahren notwendig, welche eine Zusammenführung der Jugendlichen mit Angehörigen und Bezugspersonen sicherstellen.

Daniel Bax

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